Kapitel 28

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Ein eiskalter Schauer lief Shirley über den Rücken. Die Welt wirkte auf einmal so klein und unbedeutend. Sie wiederholte die von Tina eben ausgesprochenen Worte und starrte sie ungläubig an.

Doch auf einmal machte so vieles Sinn: Leons abweisendes Verhalten, die Trennung, Tinas Tränen und sein verbissener Kampf um den Titel. Er wusste er würde bald keine Gelegenheit mehr bekommen solche Turniere zu spielen. Deshalb hatte Leon jede Sekunde gekämpft, ganz gleich was es ihn auch kostete. Selbst wenn er aus dem Krankenhaus nicht mehr heraus kommen würde.

Er hatte offenbar nicht nur sie belogen, denn die ROX waren fassungslos.
„Seit wann weißt du das?", wollte Ian wissen.
„Seit ein paar Wochen", flüsterte Tina schluchzend. Sie hielt immer noch Shirleys Blick stand. Sie presste reuevoll die Lippen aufeinander.
„Und wie lange weiß Leon es?", piepste Sarah.
„Seit dem Abend, an dem Rico und Justin versucht haben ihm einen Mord anzuhängen."

Shirley schluckte. So lange wusste er es schon. Sie konnte sich nicht einmal annähernd vorstellen wie schwer das für Leon gewesen sein musste.

„Bist du deshalb fort gewesen?", fragte Susan bestürzt.
Tina nickte.
„Es ging ihm von Tag zu Tag schlechter. Er wollte es nicht zeigen, hat sich verstellt. Nicht zuletzt, um mir es nicht so schwer zu machen. Trotzdem konnte ich es nicht ertragen und habe jeden Tag geweint, bis du das herausgefunden hast, Shirley."

Tina senkte den Kopf.
„Ich wollte ihm nicht zur Last fallen und bin fort gegangen. Nur heute wollte ich dabei sein. Ich habe so etwas nämlich befürchtet, dass er sich überanstrengt und hinterher zusammen bricht. Er hätte eigentlich gar nicht spielen dürfen."

„Wie viel Zeit bleibt ihm noch?", wollte Ian wissen und legte tröstend den Arm um Tinas Schulter.
„Wochen, Monate...schwer zu sagen. Wenn er so weiter macht nicht viel."
Shirley schüttelte den Kopf. Das durfte alles nicht wahr sein. Sie trat langsam von den anderen weg. Sie konnte nicht mehr zuhören. Das alles war so entsetzlich, dass sie es kaum begreifen konnte.

Sie musste sofort mit Doctor Noris reden. Er musste ihr das bestätigen.
Jemand rief noch ihren Namen, als sie aus der Halle eilte. Sie musste weg, musste diese schreckliche Nachricht erst einmal verdauen. Sie lief über den Parkplatz und weiter an der Straße entlang. Sie suchte keinen Bus und auch kein Taxi. Sie lief den ganzen Weg zu Joannas Haus.

Jeder Schritt fiel ihr schwerer und mit jedem Schritt wurde ihr klarer wie wahrhaftig es doch war. Leon war todkrank. Er würde nicht mehr lange leben. Allein dieser Gedanke brachte sie um den Verstand. Hatte er sie deshalb verlassen?

Und sie hatte ihm noch an den Kopf geworfen, dass er zur Hölle fahren sollte. Das schlechte Gewissen plagte Shirley. Wenn sie es doch nur gewusst hätte, dann hätte sie nicht solche Dinge gesagt. Warum nur hatte er sie getäuscht?

Wollte er wirklich ganz alleine von der Bildfläche verschwinden, ohne ihr die Wahrheit zu sagen?
Anhand Tinas Gesichtsausdruck hatte Shirley es erraten. Eigentlich hätte sie die Worte gar nicht hören sollen. Doch sie hatte sie gehört. Sie hatte alles vernommen und nun musste sie ihrem weinenden Herz erzählen, dass dieser Mensch bald nicht mehr sein würde.

Shirley blieb stehen. Sie musste nach Luft schnappen, weil sie unbewusst beim Laufen angefangen hatte zu weinen. Die Tränen wollten auch nicht aufhören. Der Kummer war zu groß. Langsam schleppte sie sich vorwärts. Sie beruhigte sich etwas und lief wieder schneller, nur um nach ein paar Metern wieder stehen zu bleiben und zu schluchzen.

Einige Passanten guckten sie irritiert an und wichen ihr aus. Das kümmerte sie nicht. Sie war ein nervliches Wrack. Trotzdem lief sie den ganzen Weg zu Doctor Noris. Sie schlurfte durchs Gartentor über den Steinweg und kam endlich an ihr Ziel.

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