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     Or'da bir köy var uzakta...

     Derya fuhr mit ihrem Zeigefinger über ihre weiße Kommode, die in der Ecke ihres Zimmers stand, während sie leise zu dem Lied mit summte, welches sie vor wenigen Minuten angemacht hatte. Auf ihrer Kommode stand ein einziger Bilderrahmen mit einem weißen Rand, umgeben von dutzenden, hübschen Kerzen, die sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr angezündet hatte. Derya war noch nie ein großer Fan davon, viel Schmuck oder Dekoration in ihrem Zimmer zu haben, weshalb sie vor wenigen Wochen alles in ihrem Zimmer auf das Mindeste reduziert hatte. Einen Grund hatte sie eigentlich dafür nicht, es war ihr einfach nur ein Dorn im Auge, wenn Sachen schief standen oder farblich nicht mit der Dekoration daneben passten.

     Seufzend nahm sie den Bilderrahmen von der Kommode und strich die dünne Staubschicht weg, bevor sie ihre offenen Haare hinter ihr Ohr wischte und lächelte. Es war ein Bild von ihrer Mutter und ihr, frisch nach ihrer Geburt im Sommer 2004. Damals wohnte die kleine Familie noch in einer kleinen Wohnung mitten im Problemviertels in Dortmund, bevor ihr Vater es mithilfe eines Kredites schaffte, ein kleines Haus an der Grenze Recklinghausens zu kaufen, wo sie seitdem wohnte.

     Ihre Mutter trug ein weißes Kleid, welches sie selber genäht und mit kleinen Gänseblümchen geschmückt hatte, Derya eingewickelt in einem dünnen Sommertuch auf ihrem Arm. Schon immer hörte sie von den Menschen um sich herum, wie sehr sie ihrer Mutter ähnelte, was vor allem mit fortschreitenden Alter immer deutlicher wurde.

     Mit einer lieblichen Bewegung wischte sie über das sanfte Gesicht ihrer Mutter, bevor sie den Bilderrahmen wieder an seine Platz stellte und weiterlief. Gleich neben ihrer kleinen Kommode, in der sie hauptsächlich ihre Schulsachen und alte Klamotten verstaute, stand ihr Schminktisch, den sie vor drei Jahren zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Damals nutze sie ihn nur als eine Ablage und Schreibtisch, doch mittlerweile konnte sie das Haus nicht mehr verlassen, ohne mindestens dreißig Minuten auf dem kleinen Stuhl zu sitzen.

     Deryas Zimmer war nicht sonderlich groß, weshalb sie nicht viele Ecken hatte, die sie abklappern konnte und nach wichtigen Sachen scannen konnte, also war sie schon nach wenigen Minuten wieder fertig und eilte quer durch das Zimmer, um das Lied wieder an den Anfang zu spulen.

     O köy bizim köyümüzdür...

     Als wäre ihr Schminktisch aus Glas, setzte sich das junge Mädchen so langsam und sanft wie möglich auf den gepolsterten Stuhl, bevor sie über die leere Fläche des Tisches fuhr und spürte, wie sich der Staub an ihren Händen festsetzte. Wann hatte sie hier eigentlich zuletzt geputzt?

     Derya öffnete die oberste Schublade und nahm eins nach dem anderen ihre Lip Tints heraus, von der sie jeweils ein Exemplar in jedem rot und pink Ton hatte, den es wahrscheinlich auf dieser Erde gab. Sie hatte so viele, dass gar nicht alle ihrer Schminksachen in einen Kulturbeutel passten und sie gleich mehrere auf ihrem Bett liegen hatte, wo sie ihre Schminksachen jeweils getrennt aufbewahrte.

     Zu der Musik summend drehte sie sich auf ihrem Platz und griff nach der ersten Tasche, ein kleiner Stoffbeutel mit kleinen Herzen, die ihre Mutter ihr vor einer Woche gekauft hatte. Sie war sich nicht ganz sicher, ob dass ein schwacher Versuch ihrer Mutter war, Deryas Laune wieder etwas gerade zu biegen, aber sie war dankbar für diese kleine Geste. Dieser kleine Stoffbeutel fühlte sie ein wenig an, als würde man auf einer Müllhalde ein funktionstüchtiges Handy finden, oder am Ende eines Tunnels endlich wieder Licht sehen.

     Als Derya endlich all' ihre Lip Tints verstaut hatte, öffnete sie die nächste Schublade, in der ihre Concealer lagen, sie dann wiederum in einem anderen Beutel verstaute, bis sie den kleinen Schrank vollständig ausgeleert hatte und wieder aufstehen konnte. Ein Teil von ihr war sich bewusst, dass sie im Moment unnötig viel Zeit mit kleine Dekorationen und Krimskrams verschwendete, aber andererseits hatte sie das Gefühl, dass sie, sobald sie anfängt, ihre Klamotten einzuräumen, sich eingesteht, was eigentlich gerade passiert. 

Palast der Tränen | derya & yuşa Where stories live. Discover now