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Antakya, 1947

Afet Cengiz wurde 1947 in die erbarmungslos einsamen Berge Antakyas geboren, dass Herz der Provinz Hatay, wo sie das erste Kind eines Ehepaares wurde, was nicht hätte unglücklicher sein können. Es war ein sehr heißer und lähmender Sommertag, denn im Gegensatz zu anderen Städten in der Türkei, verlief der Sommer in Antakya viel härter. Niemand wollte mehr sein Haus verlassen, die Menschen waren dazu gezwungen, durch das starke Schwitzen mehrmals am Tag ihre Klamotten zu wechseln und Zuhause wurde um das Wetter gestritten.

Trotz all dem hatten sich an dem Sommerabend ihrer Geburt mehrere Familienmitglieder vor dem Haus versammelt und waren gespannt darauf, endlich herauszufinden, was für ein Geschlecht das Kind hatte. Zeit und Lust für einen Arztbesuch in der Stadt hatte ihr Vater nicht, und die Dorfhelferin konnte auch nur bis zu einem bestimmten Punkt spektakulieren, also blieb ihr Geschlecht bis zum Ende ein kleines Mysterium – ein Mysterium, was von diesem Punkt an über ihr ganzes Leben entscheiden würde, doch das wollte niemand so offen zugeben.

Natürlich wünschte man sich einen Sohn. Ein Sohn bedeutete immerhin Unterstützung für die Familie, jemand, der den Nachnamen weiterträgt und später auf die Eltern aufpasst – sie wurden geliebt, von manchen sogar beinahe vergöttert und lebten nach der Ideologie, dass ihnen die ganze Welt gehört. Ein Mädchen hingehen war nichts außer eine Last. Sie trug die Ehre der Familie auf ihren Schultern und würde der Familie nur Probleme machen, vor allem wenn sie schön und hübsch war, nur um am Ende dann zu heiraten und somit die Familie im Stich zu lassen.

Sie gehörte die ersten Jahre lang einem Mann, nur um dann zu heiraten und einem anderen Mann zu gehören.

Neben ihrer Mutter Züleyha waren bei ihrer Geburt noch eine Frauen aus dem Dorf dabei, die sich ein wenig mi Medizin und Naturheilkunde auskannten und mit ihrem Wissen versuchten, die Geburten der Frauen in der Umgebung ein wenig zu erleichtern. Züleyha Cengiz hatte sonst keine Freundinnen, die ihr während diesen schwierigen Stunden an der Seite standen und ihre Hand halten wollte, und ihr eigener Mann Osman Cengiz weigerte sich, den Raum zu betreten – für ihn war das "Frauensache", ein Mann hatte da nichts zu suchen.

Draußen vor der Haustür warteten mehrere Verwandte und Freunde von Osman, die gemeinsam mit ihm versuchten, die Zeit zu vertreiben. Für sie war das langweilig, sie mussten sich wegen nichts Sorgen machen und gingen erst rein, wenn das Kind geboren wurde, mehr nicht. Sie alle saßen um den großen Holztisch, den Osman vor Jahren gebaut hatte, und spielten Karten, während sie sich parallel an dem Essen bedienten, welches Züleyha noch heute morgen gekocht hatte – sie hatte keine Gelegenheit, auch nur einen Löffel davon zu probieren, doch keiner dachte daran, ihr etwas übrig zu lassen.

Auch Osmans eigener Vater saß am Tisch. Ein eiskalter, gefühlloser Mann, der an nichts außer die Ehre seiner Familie dachte, für dessen Auferhaltung aber aus unerklärlichen Gründen nur die Frauen seiner Familie zuständig waren. Er selber war zwei Mal verheiratet, seine beiden Frauen lebten in einem Haus und teilten das gleiche Besteck, brachen das selbe Brot und kümmerten sich gemeinsam um ihre Kinder, doch für ihn war das nichts, was hinterfragt werden dürfte.

Afet hatte Jahre später erfahren, dass sie eine sehr schwere Geburt war. Ihre Mutter war gerade einmal 17 Jahre alt, frisch verheiratet und hatte keine Ahnung, wie man ein Kind zu Welt brachte – die Anweisungen der Frauen um sie herum machten sie nur noch wütender und mit jeder vergehenden Sekunde hatte sie das Gefühl, dass sie jeden Moment sterben würde.

Sie schwitzte wie ein Schwein, ihre Haare, die unter ihrem geblümten Kopftuch hervor schauten, welches total verrutscht war, klebten wie wild an ihre Stirn und obwohl Tante Emine alle paar Sekunden mit einem nassen Tuch über ihre Stirn fuhr, änderte sich nichts für Züleyha.

kara sevdam. | afet & azizWhere stories live. Discover now