3.Kapitel

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„Wann wünschen Sie ihr Produkt auf den Markt zu bringen, Mrs. Campbell?", frage ich die Frau im mittleren Alter und hoffe, dass sie mir ein realistisches Datum nennt, sodass mir eine Diskussion erspart bleibt. „Am Anfang des nächsten Monats. Das letzte Launching liegt nun schon einige Wochen zurück und ich will keine weitere Zeit verschwenden. Wie Sie wissen ist Zeit bekanntlich Geld", erläutert sie mir in einem so hochnäsigen Tonfall, dass ich mich zwingen muss, meinen freundlichen Gesichtsausdruck beizubehalten. Natürlich nennt sie mir kein machbares Datum. „Mrs. Campbell, ich verstehe natürlich Ihre Bedenken und stimme Ihnen zu, ihre Kollektion sobald wie möglich zu veröffentlichen. Allerdings erfordert eine erfolgreiche Publikation genügend Planung, gut durchdachte Marketingstrategien und viel Medienpräsenz, nur um einige Beispiele zu nennen. Da reicht ein Monat nicht."

Mrs. Campbell ist erst seit kurzem Leiterin eines Kosmetikunternehmens und überaus motiviert ihr erstes Projekt so schnell wie möglich Publik zu machen. Sie hat wohl das Gefühl sich als neuer Kopf der Firma beweisen zu müssen und übt sich deswegen in Ungeduld.
„Mein Team und ich werden uns selbstredend bemühen, ihrem gewünschten Erscheinungsdatum entgegenzukommen", versichere ich ihr höflich und hoffe dass sie es dabei belässt, damit ich endlich in meine Mittagspause kann. „Wieviel Zeit benötigen Sie und ihr Team denn schätzungsweise Ms. Torres? Wobei ich es, um ehrlich zu sein, bevorzugen würde, Sie würden sich an meine Prämisse halten", erkundigt sie sich mit gehobener Augenbraue und lehnt sich in dem gepolsterten, grauen Sessel vor. „ Das kann ich Ihnen so pauschal nicht beantworten", gebe ich zurück, weil ich mir selbst keinen Zeitrahmen setzen möchte, den ich möglicherweise nicht einhalten kann. „Ich brauche Zahlen Ms. Torres, selbst wenn sie ungenau sind", lässt sie nicht locker und strapaziert mittlerweile wirklich meine Geduld.
Was wahrscheinlich weniger an ihr liegt, als daran, dass ich schlecht geschlafen habe und heute Morgen keine Zeit mehr hatte, zu frühstücken. Mittlerweile habe ich mich an übereifrige oder ungeduldige Kunden gewöhnt und verliere wirklich sehr selten die Ruhe, vor allem nicht, wenn es erst 12 Uhr ist. Aber Heute habe ich nur die Nachricht meines drogenabhängigen Vaters im Magen und auf die hätte ich gut und gerne verzichtet.
Ich kam noch nicht dazu, ihm zu antworten und selbst wenn ich Zeit gehabt hätte, wüsste ich nicht, was ich schreiben sollte. Genau genommen will ich ihm überhaupt nicht schreiben.

„Gut, wenn Sie mich fragen, würde ich Ihnen empfehlen die Lippenstift-Serie in 2-3 Monaten zu launchen. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ihrer Bekanntmachung schon sehr viel Hype vorausgeht und die Verkaufszahlen prompt in die Höhe schießen werden", mache ich ihr klar und merke, dass sie nicht zufrieden ist, „Bisher haben wir 16 fertig entwickelte Lippenstifte und auch das Packaging ist in sich abgeschlossen. Aber das wars auch schon. Was bleibt ist, eine Marketingstrategie zu entwerfen, die ihr Produkt, zu dem Produkt des Monats macht und das ist selbstverständlich in unser beider Interesse. Ich sorge dafür, dass Sie- genau wie Ihre Vorgängerin- eine mehr als zufriedene Kundin sein werden und im Gegenzug räumen Sie mir ein wenig Vertrauen ein, sodass unsere Zusammenarbeit weiterhin angenehm und reibungslos verläuft. Beim nächsten Treffen werde ich Ihnen eine Strategie präsentieren, die wir dann umgehend in die Tat umsetzen, insofern sie Sie überzeugt hat", schließe ich meinen Monolog ab und bin erleichtert, als ich sehe, dass sie zufrieden lächelt.
Und jetzt habe ich mir doch einen Zeitrahmen gesetzt.
„Wie lange sagten Sie, haben Sie für meine Mutter gearbeitet?", möchte sie wissen und lehnt sich in ihrem Sessel zurück. „Fast 2 Jahrelang. Sie war eine meiner ersten Kundinnen und eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Ihr Verlust tut mir sehr leid", bekunde ich mein Beileid und hoffe nicht in ein Fettnäpfchen getreten zu sein, da ich noch sehr deutlich in Erinnerung habe, dass die beiden kein gutes Verhältnis zueinander hatten. Die alte Mrs. Campbell war eine herausragende Geschäftsleiterin, aber als Mutter hat sie wohl keine so gute Form gemacht. Doch ob nun gute oder schlechte Mutter, sie zu verlieren muss sehr weh tun.
„Danke", erwidert sie und steht auf, was ich ihr nachtue. „Sollten Sie noch weitere Anliegen haben, zögern Sie nicht, mich anzurufen. Weiter werde ich unseren nächsten Termin an ihre Sekretärin weiterleiten", sage ich und gebe ihr zum Abschied meine Hand. „Freut mich, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, Ms. Torres", antwortet sie und überrascht mich mit einem äußerst festen Händedruck. Ja, die Frau weiß, was sie will. „Angenehmen Tag noch, Mrs. Campbell".

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