5. Kapitel

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Mein Vater war ein Wrack. Und auf einem kalten Entzug.
Weil mir nichts anderes eingefallen ist, dass ich in dem Moment hätte tun können, habe ich ihn erst einmal mit zu mir nach Hause genommen und ihm eine Decke und warme Suppe gebracht. Also mehr, als er eigentlich verdient hätte.
Und die ganze Zeit streift nur eine Frage meine Gedanken; Wieso zur Hölle helfe ich ihm?
Ja, er ist rein biologisch gesehen mein Vater, aber Blut allein macht uns noch lange nicht zur Familie. Und sosehr ich auch hasse es mir einzugestehen, aber trotz allem was passiert ist und was er mir angetan hat, ist er mir nicht egal.
Und seine ganze Erscheinung ist so,- so mitleiderregend, dass ich wahrscheinlich auch nicht einfach an ihm hätte vorbei laufen können, wenn er nicht mein Vater gewesen wäre.
Einen völlig Fremden hätte ich aber natürlich nicht zu mir nach Hause gebracht. Das wars aber schon. Dieses Detail unterscheidet meinen Vater von einem Fremden.

Weil er die Suppe kaum angerührt hat, bringe ich die Schüssel in die Küche und auch, weil ich eine Minute brauche, um mich zu sammeln.
Ich weiß worauf das Ganze hinauslaufen wird. Er wird mich nach irgendwelchen Medikamenten bitten, weil er so Schmerzen hat und wenn ich sie ihm nicht gebe, wird er auf die Toilette müssen, nur um zu schauen, ob er selbst welche finden kann. Und wenn er nichts findet,- was er nicht tun wird-, wird er gehen wollen. Oder er wird sauer werden. Ich hoffe er wird einfach nur gehen wollen.
Aber als ich zurück ins Wohnzimmer laufe und ihn noch im letzten Moment dabei erwische, wie er irgendwas in seine Jackentasche stopft, bin ich trotzdem enttäuscht, obwohl ich mich vor schlimmerem gewappnet hatte. Ich frage mich, was es sein könnte, weil ich ganz sicher keine Medikamente habe liegen lassen und vermute, dass es irgendwas anderes sein muss. Irgendwas, aus dem er Geld machen kann.
Ich sage nichts. Ich tue so, als hätte ich nichts gesehen. Ich warte ab. Ich weiß nur nicht, worauf ich warte.

„Geht es dir besser?", frage ich ihn und versuche mich damit abzufinden, dass er mich gerade bestohlen hat und sich kein Funke Reue oder Schuld in seiner Mimik spiegelt, „J-Ja, Danke. Ich w-will dich nicht lä-länger st-stören". Er wartet kurz auf eine Reaktion meinerseits,-aber nicht zu lange-, und als nichts kommt, steht er auf und läuft beinahe ungeduldig zur Tür, um sich unbeholfen die Schuhe anzuziehen. Jetzt, wo er die Drogen schon fast schmecken kann, geht es ihm anscheinend viel besser, aber vielleicht bilde ich es mir auch nur ein.
Und während ich ihm dabei zuschaue, wie ihn nichts mehr zu interessieren scheint, als die Aussicht auf Drogen, passiert etwas in mir.
In einem Moment hatte ich Hoffnung und im nächsten nicht mehr. Ich kann förmlich spüren, wie etwas in mir gefriert. Nicht langsam, nicht nach und nach, sondern mit einer Brutalität und Geschwindigkeit, die mich schaudern lässt. Wenn ich bildlich beschreiben müsste, was gerade passiert ist, dann würde ich sagen, dass ich meinen Vater aus meinem Herzen verbannt habe. Dass ich ihn binnen Sekunden endgültig und unwiderruflich aufgegeben habe. Und dann kann ich nicht anders, als mich zu fragen, wieso jetzt? Ich muss mich nicht anstrengen, um dutzende Erinnerungen vor meinem inneren Auge abzuspielen, in denen er mich viel tiefer verletzt hat.
Vielleicht bin ich es auch einfach nur leid. Ich habe ihn lange nicht gesehen, mich distanziert und entschieden, dass ich ihn nicht mehr in meinem Leben will. Am Liebsten würde ich vergessen, dass er je existiert hat.

„Ich will dich nie wieder sehen", eine Hand auf der Türklinke dreht er sich zögernd um und schaut mir verwundert ins Gesicht, „Ich will dich nie wieder sehen, hast du das verstanden? Es interessiert mich nicht, ob du halb am verrecken bist oder nicht.Und-", schmeiße ich ihm vor die Füße, „Ich will zurück haben, was auch immer du mir klauen wolltest". Er antwortet nicht, schaut mir nicht in die Augen, während er mir die Uhr in meine Handfläche legt, die mir Aiden letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hat, dreht sich um und öffnet die Tür, um zu gehen, aber ich bin noch nicht fertig, „Das nächste Mal, das wir uns sehen, ist auf deiner Beerdigung" und dann fällt die Tür ins Schloss.
Und ich stehe noch einige Minuten an der selben Stelle, die Uhr in meiner Hand fest umklammert und kann nichts gegen den Schmerz tun, der sich in meinen Lungen ausbreitet und mein Herz überfällt. Es ist okay. Es ist gut so. Es ist okay. Sage ich mir immer und immer wieder und atme gegen den Schmerz. Ich atme gegen die Tränen, weil ich nicht weinen werde. Ich habe genug geweint und ich werde jetzt nicht weinen. Ich war ein weinerliches Kind, aber ich bin schon lange kein Kind mehr.
Ich atme noch ein Mal und sperre Schmerz und Tränen weit, weit weg. An einen Ort, ganz tief in meinem Bewusstsein. Da, wo sie mich nicht stören können.

Heavy HeartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt