Kapitel 15

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~ Ben ~

Den Rest meines Dienstes nahm ich wie in Trance wahr. Heute stand glücklicherweise nicht ganz so viel auf dem OP-Plan, sodass ich nach einigen kleinen Eingriffen Zeit für Papierkram hatte. Doch nach jedem Satz, den ich in den Laptop tippte, machte ich eine längere Pause und verlor mich in meinen Gedanken. Das bevorstehende Treffen mit Leyla bereitete mir mehr als nur Kopfzerbrechen. Ja,ich hatte tatsächlich irgendwie Angst davor. Was würde sie mir sagen wollen? Würde sie einen Schlussstrich unter unsere Beziehung ziehen und wollte sich von mir trennen? Oder war da auch bei ihr noch ein kleines Fünkchen Hoffnung, dass wir uns doch nochmal zusammenraufen konnten? Aber wie sollte es dann weitergehen? Ich jonglierte einen Kugelschreiber zwischen meinen Fingern, während ich ins Leere starrte. Draußen hatte es zu regnen begonnen. Die Tropfen prasselten gegen die Fensterscheibe und hinterließen wässrige Schlieren. Wie wahnsinnig gut das Wetter doch gerade zu meiner Stimmung passte! Immer wieder legte ich mir Sätze zurecht, die ich Leyla sagen wollte und überlegte krampfhaft, wo ich nur anfangen sollte. Natürlich wusste ich nicht, ob ich überhaupt später zu Wort kommen würde, oder ob ich es schaffte, das, was mir auf der Seele lag, zum Ausdruck zu bringen. Denn ich hatte Leyla wirklich so viel zu sagen. Ich nahm mir fest vor, ihr meine Sicht der Dinge bis ins Detail zu erklären, dass sie mein Handeln vielleicht etwas besser nachvollziehen konnte. Warum ich damals so verletzt war, als sie ohne mich diese alles verändernde Entscheidung getroffen hatte und in London geblieben ist.
Weshalb ich mich allmählich so zurückgezogen hatte und den Kontakt vermieden habe...
Als ich so darüber nachdachte, bekam ich schlimme Schuldgefühle. Ich hatte sie so oft einfach ignoriert. Wenn ich ihren Namen auf meinem Display entdeckt hatte, legte ich mein Telefon nicht nur einmal einfach weg, ohne den Anruf entgegen zu nehmen. Vielleicht manchmal aus Trotz und weil ich ihr damit signalisieren wollte, dass ich gekränkt war. Doch ich hatte das ihr gegenüber nie verbalisiert. Dass ich mich verloren gefühlt hatte und ihre Unterstützung hier zuhause so dringend gebraucht hätte, hatte ich niemals zugegeben. Dafür war mein Stolz einfach zu groß. "Verdammt!" entfuhr es mir schließlich und ich pfefferte den Stift aus meiner Hand gegen die Wand, an der er zersprang und in mehreren Teilen zu Boden fiel. Irgendwie musste ich jetzt wirklich versuchen, mich zu beruhigen. Wenn ich in diesem Zustand bei dem Treffen aufkreuzen würde, wäre es sonst gut möglich, dass ich mich in Rage redete und Leyla Dinge an den Kopf werfen würde, die alles nur noch schlimmer machen würden. Ich wollte ihr nicht weh tun, denn ich wusste, dass ich das wohl schon viel zu oft getan hatte. Überhaupt hatte ich im letzten Jahr dazu tendiert, Menschen, die ich eigentlich sehr liebte, zu verletzen.
Es fing mit dem Streit zwischen mir und Elias an. Kurz nachdem Leyla mir eröffnet hatte, dass sie sich freistellen lassen wollte, war bei mir irgendwie eine Sicherung durchgebrannt. Mir war mit einem Mal alles zu viel. Damals hatte ich einen extrem schwierigen Fall, bei dem ich nicht ganz fehlerfrei agiert hatte. Weil ich mir zu viel aufgehalst hatte und den Überblick komplett verloren hatte, waren mir wichtige Details einfach nicht aufgefallen. Als Bährchen sich dann in die Behandlung hatte einmischen wollen, war mir schlichtweg der Kragen geplatzt. Ich hatte ihn sehr ungerecht behandelt und Sachen gesagt, die ihm wahnsinnig weh getan haben. Auch wenn es keine Entschuldigung dafür gab, seinen besten Freund so vor den Kopf zu stoßen, hatte ich meinen Frust einfach an ihm ausgelassen und riskiert, einen der wichtigsten Menschen in meinem Leben zu verlieren. Ich hatte mich zugegebenermaßen wie ein Arschloch benommen und mein riesiges Ego verwehrte es mir anfangs auch, diesen Fehltritt zuzugeben. Wochenlang redeten wir kaum ein Wort, gingen uns aus dem Weg oder giftten uns an, sobald wir doch irgendwo aufeinander trafen. Es ging mir in dieser Zeit wahnsinnig schlecht. Im Normalfall fing mich Leyla in solchen Situationen immer auf und gab mir Halt. Doch sie hatte mich im Stich gelassen und interessierte sich keinen Deut für meine Gefühle und Probleme. In ihrer Welt gab es nur noch Zoe, die Kinder und England. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und atmete tief durch. Der Schmerz saß einfach noch so tief.
Irgendwann rappelte ich mich doch nochmal auf, nahm einen Schluck von meinem mittlerweile kalten Kaffee und beendete den Arztbrief. Wahrscheinlich war dieser voller Rechtschreibfehler und unsinnigen Sätzen. Es wäre mit Sicherheit keine schlechte Idee, ihn morgen vor dem Verschicken nochmal probe zu lesen, um die Kollegen der Klinik, an die der betroffene Patient verlegt werden würde, nicht gänzlich zu verwirren. Es reichte schon, dass in meinem Kopf gerade das totale Chaos herrschte...
Dennoch musste ich es jetzt einfach auf mich zukommen lassen. Niemandem half es, wenn ich mich schon vor dem Gespräch verrückt machen würde. Ich klappte den Laptop zu, nahm meinen Kittel und beschloss, mich umziehen zu gehen. Etwas Produktives würde ich heute hier wahrscheinlich sowieso nicht mehr auf die Reihe bringen.

The distance between usWhere stories live. Discover now