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Noch immer bin ich unendlich dankbar, dass Bo und seine Freunde mich aufgenommen haben. Ich bin nun drei Wochen hier und habe mein Bein geschont, während die anderen unterwegs waren. Sie begehen allesamt kleine Diebstähle, hier eine Brieftasche, da eine schicke Uhr, um sich über Wasser zu halten.

Es hat keine zwei Tage gedauert, da habe ich ihnen genug vertraut, um mein Geld zu ihrem zu legen. Immerhin haben sie mir ohne zu zögern eine Unterkunft und etwas zu essen gegeben.

Mittlerweile kann ich wieder laufen, ohne schreckliche Schmerzen zu haben und Bo hat angekündigt, dass ich heute das erste Mal auf die Jagd gehen kann. Eigentlich ist es mir unangenehm. Ich möchte niemanden beklauen, aber heute ist irgendein Strassenfest und Bo meinte, dass sie sich ohnehin Mühe geben nur die zu bestehlen, die reich aussehen. Deshalb kann ich damit leben.

Und nun stehe ich hier. In einer grossen Menschenmenge, die sofort dafür sorgt, dass mir mulmig wird. Aber was bleibt mir anderes übrig. Ich kann nicht für immer in der Lagerhalle hocken und nur auf die anderen warten. Ausserdem ist es bei so vielen Menschen auf einem Haufen ganz rational gesehen total unwahrscheinlich, dass er mich finden wird. Das muss nur noch der irrationale Teil meines Körpers begreifen. Der, dem bereits der Angstschweiss auf die Stirn tritt und sich gleich vor Panik in die Hose macht.

Ich blicke mich um und erkenne etwas weiter weg im Gewühl Hailey. Sie sieht mich und grinst mir zu, bevor sie sich umdreht und sich noch weiter ins Getümmel stürzt.

Was solls. Ich muss ja doch dadurch.

Ich tue es ihr gleich und halte nach einem möglichen Opfer Ausschau. Schnell erblicke ich einen Mann, der aussieht, als würde er aus gutem Hause kommen und auch noch so blöd ist, seine Brieftasche in der hinteren Hosentasche aufzubewahren.

Ich reisse all meinen Mut zusammen und versuche mein rasendes Herz zu ignorieren, während ich mich auf ihn zu schlängele. Er bleibt kurz stehen, um sich an einem Stand am Rande der Strasse etwas anzusehen. Ich ergreife die Chance und greife nach dem Portemonnaie. Schnell lasse ich es in meinen Ausschnitt gleiten. Dort wird er garantiert nicht nachsehen. Langsam, als hätte ich nichts zu verbergen verschwinde ich erneut in der Menschenmenge, ohne das er etwas gemerkt hätte.

Auf einmal fühle ich mich ganz leicht und alles in mir schreit danach, begeistert auf und abzuhüpfen. Ich weiss in meinem Inneren, dass es falsch ist, andere zu bestehlen, aber gerade bin ich einfach nur glücklich. Denn zum ersten Mal seit Wochen werde ich nicht mehr von der unendlichen Leere erdrückt, die sich in mir ausgebreitet hat und die Stelle meiner Erinnerungen angenommen hat.

Nicht viel später treffen wir uns alle in der Halle, wo meine Freunde mindestens ebenso ausgelassen wirken. Der Mann, den ich beklaut habe, hat ein reichlich bestücktes Portemonnaie. Mehrere edel aussehende Karten, aber auch vierhundert Dollar in bar.

«Das müssen wir feiern.» Erklärt Derek mit seiner tiefen Stimme. Der zwanzigjährige wühlt in einigen Kartons, die wir hier herumstehen haben und sagt: «Ich finde wir können uns ein Lagerfeuer und Marshmallows ausnahmsweise mal gönnen.»

Hailey und Anastasia quietschen begeistert auf und Bo leckt sich bereits über die Lippen. «Oh ja, das haben wir.» Als wäre seine Aussage die benötigte Bestätigung, machen wir uns alle an die Arbeit.

Nicht viel später sitzen wir an einem angenehm warmen, relativ kleinen Feuer und braten uns Marshmallows.

«Ich finde, es ist die richtige Gelegenheit für Geschichten.» Meint Hailey da und sieht mich aus den Augenwinkeln an. Ich weiss, worauf sie hinaus will. Noch immer wissen die anderen rein gar nichts über meine Vergangenheit und ich habe auch nicht nach ihrer gefragt, weil es mir unfair vorkommt, nichts zu erzählen aber alles wissen zu wollen.

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