Kapitel 12

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„Ich kann einfach nicht fassen, dass Kendall Oliver geschlagen hat!“  Daliah sah kopfschüttelnd zu dem Blonden hinüber, der versuchte während der Besprechung der neuen Szene nicht alt zu verkatert auszusehen. Sie war sauer auf ihn, einerseits, weil er sich so unreif benommen hatte, wie sie fand und andererseits, weil sie irgendwie…enttäuscht von ihm war. Sie wusste nur nicht so recht wieso. Vielleicht war sie auch einfach nur mit der Situation überfordert. Kendall empfand noch etwas für sie… und Logan auch. Aber sie war mit Oliver zusammen. Das war einfach alles zu viel.
„Er wird schon seinen Grund gehabt haben. Ohne einen triftigen wird er sich wohl kaum freiwillig die Hand zertrümmert haben. Ich kann von hier aus sehen, wie blau seine Knöchel sind. Ich glaube, du hast den falschen zum Krankenhaus begleitet…“ Liv besah sich ihre Fingernägel, als wäre diese Unterhaltung eigentlich unter ihrem Niveau.
„Warum hast du ihn dann nicht gefahren? Ihr scheint euch ja in letzter Zeit schon sehr nahe gekommen zu sein….“ Stichelte Daliah.  Sie konnte es sich irgendwie nicht verkneifen.
Liv winkte nur ab, grinste aber.
„Was hat er eigentlich letztens zu dir gesagt, als ich euch allein gelassen habe?“
Daliah schluckte. „Dass er mich zurück will. Und…em… Logan auch…“
„Was? Echt?“ Anna versuchte nicht alt zu sehr auszuflippen.
„War ja offensichtlich. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was du an Oliver findest…Warum gibst du Kendall nicht eine zweite Chance? Das wäre intelligenter.“ Meine Liv.
„Als ob Liebe was Rationales wäre….“ Seufzte die Brünette. Sie hatte schon immer irgendwie etwas für den tollen Oliver empfunden, den alle in der Stadt wollten, mit seinem fast zu perfekten Aussehen. Und doch hatte auch Mia ihn ihr damals ausreden wollen. Doch hatte sie niemals damit gerechnet, dass sie doch einmal mit ihm zusammen kommen würde.
„Da sagst du was Wahres, Schwester!“ Liv schlang ihren Freundinnen die Arme um die Schultern.
„So, ihr Hübschen, was machen wir heute an unserem freien Abend?“
„Wir machen etwas?“ fragte Anna überrascht.
„Klar! Es sind nur noch….“ Liv sah auf ihre Uhr, die die Form einer Eule hatte und die an einer langen Kette um ihren Hals baumelte, „20 Minuten, bis zum Feierabend!“ Quiekte sie freudig und erregte damit die Aufmerksamkeit der Jungs, die zu ihnen herüber sahen um das, was das Geräusch gemacht hatte, auszumachen.
„Aber Oliver wollte mich…“
„Scheiß auf Oliver! Heute ist Mädelsabend!“ fuhr sie Daliah dazwischen und lies ihr nicht mal Zeit empört etwas zu erwidern, da war sie schon zu den Jungs hinüber geeilt. Daliah beobachtete mit verschränkten Armen, wie Liv zielstrebig Kendall ansteuerte, ihn etwas von den anderen weg zog und dann seine tatsächlich grün-blaue Hand in ihre nahm. Sie zwang sich woanders hin zu sehen und  verstand nicht so recht, warum ihr das eigentlich so schwer viel, Liv mit ihm zu sehen. Warum störte es sie, wenn Liv und Kendall etwas anfingen? Sie hatte Oliver und Kendall hatte sich für sie erledigt. Sie empfand nichts mehr für ihn. Nichts!
„Liah, kommst du, oder willst du hier bleiben und weiterhin ins Blaue starren?“ Anna schüttelte sie sanft an der Schulter, worauf hin sie aus ihrer Trance erwachte. Automatisch zogen Kendall und Liv wieder ihren Blick auf sich wie ein Magnet ein kleines Stück Metall. Ein kleines Stück scharfkantiges Blech Metall, dass tief zu schneiden vermochte.
Liv beugte sich zu ihm vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann umarmten sich die beiden und Liv lief  Daliah und Anna entgegen, die sich gerade auf den Weg zum Tor machten. Die Brünette tat schnell so, als hätte sie die beiden nicht gerade beobachtet.
Liv grinste überglücklich, harkte sich bei beiden unter und so verließen sie das Gelände. Daliah sah noch mal kurz zurück, aber der Blonde war schon aus ihrem Blickfeld verschwunden.

Eine Stunde später stand die Brünette im beengten Bad ihres Apartments (Sie konnten sich noch kein größeres leisten) vor dem Spiegel und gab ihrem Look – Smoky Eyes – noch den letzten Schliff. Eigentlich hatte sie nicht viel Lust auszugehen, aber wenn Liv etwas beschlossen hatte, dann musste man ihr folgen, egal ob man wollte oder nicht. Als sie fertig war strich sie ihr weißes Top glatt, atmete kurz durch und rief dann Oliver an.
„Hey…“
„Hey, Babe. Es ist gerade mega schlecht. Ich ruf dich später irgendwann zurück.“ Versuchte er sie abzuwimmeln. Im Hintergrund konnte sie Gelächter und Geflüster hören.
„Ich wollte dich nicht lange stören. Eigentlich wollte ich dir sagen, dass ich heute mit Anna und Liv ausgehe und deshalb keine Zeit….“ Versuchte sie zu erklären, aber Oliver schnitt ihr das Wort ab.
„Das ist fantastisch!“
„Wie bitte?!“ Daliah war verwirrt.
„Ich meinte, ich habe heute viel zu tun, modeln, du weißt, deshalb trifft sich das ganz gut. Könnte es nicht ertragen, dich ohne Beschäftigung zu versetzten.“
„Okay, achso…dann… tschüss und viel Spaß und….“ Oliver hatte schon mit einem „Bye!“ Aufgelegt. In diesem Moment wurde ihr klar, dass er ihr noch nie gesagt hatte, dass er sie liebte. Diese Erkenntnis stichelte ihr Herz schmerzhaft. Sie hatte sich so frei gefühlt, während der Zeit allein ohne einen Typen in Texas, nur mit ihren Freundinnen. Jetzt wo Oliver hier war, fühlte sie sich durch ihre Gefühle an ihn gebunden. Sie schnurrten ihr die Luft ab, wie einen Hund an einer zu kurzen Leine. Sie spürte, auch ohne die Meinungen ihrer Freundinnen, dass er schlecht für sie war, aber wie gesagt, ihre Gefühle fesselten sie an ihn. Seufzend und enttäuscht über seine kalte Art, verließ sie das Badezimmer und zauberte noch ein gespieltes Lächeln auf ihre Lippen. Sie wollte nicht danach gefragt werden, was los war und wieder zu hören bekommen, dass Oliver nicht der Richtige war. Das wusste sie schließlich selbst.
„Liah, das Top ist der Hammer, das werde ich mir mal ausleihen!“ Überfiel sie Liv, als sie heraus trat. Das war Liv, sie fragte nicht, ob sie etwas haben durfte, sie nahm es sich einfach. Aber da sie so ein toller lieber witziger Mensch war, nahm ihr das niemand übel. Die Brünette wünschte sich schon wie so oft, die gleiche Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen, zu besitzen.
„Da fehlt irgendwie noch was…Du trägst ja gar keinen Schmuck, außer dieser Kette…“ Sie drehte den kleinen Holzanhänger zwischen ihren Fingern.
„Wo hast du den eigentlich her?“ Fragte sie, wandte sich von ihr ab und kramte in einer kleinen Tasche, in der sie ihren Schmuck aufbewahrte. Sie zog schließlich einen Knäul von Ketten, Armbändern und Ohrringen heraus, die sich alle verknotet hatten und entwirrte sie mit geschickten Fingern, als täte sie das ständig.
„Ach em…“ druckste Daliah herum.
„Ja stimmt, den trägst du ständig.“ Engänzte Anna und schloss die Schnallen an ihren Riemchenpumps.
Als Daliah immer noch nicht antwortete, wandte Liv sich ihr wieder zu.
„Ist der von Oliver?“
„Nein, er ist von Kendall, stimmt’s?“ Verblüfft sahen die beiden Anna an. Normalerweise war Liv die mit dem Gespür für so etwas, nicht Anna, die meist ihre Gedanken für sich behielt und eher zuhörte.  Liv wandte vielsagend den Blick zurück zu der Brünetten.
„Was denn?!“ Daliah schob ihre Fuße umständlich in ihre Schuhe, sodass sie keinen der beiden ansehen musste.
„Es stimmt! Du trägst immer SEINE Kette um den Hals!“ Quiekte Liv begeistert.
„Das hat nichts mit ihm zu tun, sondern damit, dass sie schön ist, und es schade wäre, sie weg zu schmeißen!“ Daliah fühlte sich in die Ecke gedrängt, was sie sauer machte.
„Als ob.“ Gab Anna sarkastisch aber sehr leise von sich. Wieder waren die anderen beiden von ihrer Reaktion überrascht. Was war bloß mit ihr los?
„Nein, verdammt! Ich liebe Oliver, klar!? Jetzt lasst uns gehen, damn!“ sagte sie in dem hohen Ton, den sie immer anschlug, wenn sie aufgebracht war, setzte sich ihren weißen Trilbyhut auf und stapfte aus dem Zimmer.
„Ob sie gemerkt hat, dass ihr letztes Wort englisch war?“ Fragte Liv, breit grinsend. Anna schüttelte den Kopf.
„Ich glaube sie hat auch nicht gemerkt, wie sehr sie damit verraten hat, was sich in ihrem Kopf abspielt.“ Fügte sie dann leise hinzu.
Anna und Liv holten sie ein,  als sich die Brünette schon wieder beruhigt hatte. Sie beschlossen, während sie in mit dem Bus in den Stadtkern fuhren, zunächst in einer Cocktailbar vorzuglühen und dann in die Lizard Lounge zu gehen, eine angesagte Disco in Dallas,  wo heute eine Neonsplashparty stattfand. Wie Liv dafür noch Karten hatte ergattern können war rätselhaft, da der Erfolgshit aus Europa, der erst seit kurzem in Amerika Wurzeln schlug, sehr begehrt war, wie die Jungs erzählt hatten, als Liv freudig berichtet hatte, dass die drei dorthin gehen würden. Deshalb hatten sich die drei auch in weiß gekleidet. Daliah war erst einmal auf einer in Deutschland gewesen, und war gespannt, wie die texanische Version sein würde.
Liv gab die erste Runde aus, dann die zweite und die dritte. Zunächst verwunderte es sie, dass Liv so spendabel war, nicht weil sie sonst geizig gewesen wäre, sondern weil sie alle drei bekanntlich nicht viel Geld zur Verfügung hatten. Doch nach der dritten Runde schlürfte Daliah glücklich an ihrem Long-Island-Icetea und freute sich einfach nur über die Großzügigkeit, ihren eiskalten Cocktail, die sinkenden tropischen Temperaturen und den schönen Abend mit ihren besten Freundinnen. Es war so wie vorher, so wie die ersten Monate, die sie hier in Texas verbracht hatten, so ganz ohne Jungs und die Probleme, die sie mit sich brachten. Oliver und seine gleichgültige Art von vorhin, waren wie aus ihrem Kopf radiert. Sie lachten viel und machten sich dann ordentlich angeschickert auf den Weg zur Lizard Lounge. 
Während sie am Eingang Schlange standen und langsam vorwärts in Richtung Party rückten, konnten sie die Beats der Musik im inneren bis auf die Straße hören. Daliah war sich sicher, dass gerade „Stay the night“ von Zedd gespielt wurde. Selbst hier draußen vibrierte der Bass leicht durch ihren Körper.
„Hier, das könnt ihr gleich gebrauchen…“ Liv zog kleine Farbflaschen aus ihrer winzigen Handtasche die eigentlich nicht so aussah, als würde mehr hinein passen, als ihr Handy und vielleicht ihre Brieftasche. Sie drückte jedem eine Falsche in die Hand und schwenkte vielversprechend mit ihrer eigenen, die in der Dunkelheit schon leicht leuchtete.
„Danke…. Aber…warum bist du heute so spendabel? Hast du einen Sponsor, von dem wir nichts wissen?“ drückte Daliah ihr Verwundern aus, dass immer noch durch den Alkohol gedämpft wurde.
Liv grinste nur: „Ach, wenn ihr wüsstet, meine Schätzchen!“ Sie lachte glockenhell und zog die beiden an ihren Händen hinter sich her, da sie endlich am Anfang der Schlange angekommen waren und sie nun unter strengem Blick der Türsteher eintreten konnten.
Die Party war unglaublich. Alles leuchtete neonbunt unter dem Schwarzlicht, alle bewegten sich zu den House- und Technobeats, alles pulsierte. Daliah ließ sich mitreißen und genoss die Freiheit. Nach einer geschätzten halben Stunde waren ihre Farbflaschen schon leer, ihre Klamotten hingegen leuchteten in den unterschiedlichsten Farben. Auch wenn sie erst gar nicht mit hatte gehen wollen, so war dieser Abend der beste seit Langem. Aber so war das meistens: Wenn man sich auf etwas überhaupt nicht freute, wurde es meistens unglaublich schön. Und das traf auf diesen Abend zu… bis sie jemanden in der wogenden Menge erblickte. Anna und sie kamen gerade vom Klo zurück und schauten sich suchend nach Liv um, die sie zurückgelassen hatten, da stieß Anna Daliah leicht in die Seite und deutete auf die Tanzfläche unterhalb der Treppe, auf der sie standen, um besser sehen zu können.
Oliver tanzte dort, eng umschlungen mit einer Rothaarigen mit Modelmaßen. Sie war wunderschön. Und ihr Freund umschlang gerade diesen wunderschönen Körper mit seinen gierigen Armen. Daliah keuchte.
„Komm. Wir gehen. Das musst du dir nicht weiter ansehen…“ Flüsterte Anna ihr ins Ohr und zog sie zaghaft an der Hand. Die Brünette ließ sich von ihr mitziehen durch die Menge, bis sie schließlich  Liv fanden, die gerade mit einem dunkelhaarigen unheimlich heißen Latino tanzte. Er erinnerte sie entfernt an Carlos, obwohl er um einiges größer war. Als Liv ihre Gesichter sah, lies sie den Typen eiskalt stehen, als wäre er ein Kleiderständer und fragte: „Was ist los?“ Anna erzählte es ihr kurz und knapp, als sie sich in eine Ecke drückten, in der es verhältnismäßig still war. Während der ganzen Zeit ließ sie Daliahs Hand nicht los und diese war froh über die Geste, froh über das Gefühl, jemanden zu haben, der sie nicht fallen ließ.
„Oh, ich bring den Kerl um, wo ist er?!“ War Livs erste Reaktion. Sie ballte ihre zierlichen Fäuste.
„Nein.“
„Wie nein?“ Anna und Liv sahen ihre Freundin überrascht an.
„Dann tust du dir nur weh.“
„Aber er hat dir weh getan!“ Protestierte die Größte der drei.
„Das ist er nicht wert, oder?“ Sagte die Dunkelhaarige, während sie versuchte gefasst zu wirken.
Plötzlich stahl sich ein Lächeln auf Livs Gesicht.
„Warum grinst du jetzt so?“ Fragte Anna in einem empörten Ton.
„Ach nur so. Ich freu mich einfach, dass du es endlich begriffen hast, Süße.“ Sie strich ihr schwesterlich eine Strähne aus dem Gesicht und zog ihr Handy aus ihrer Handtasche und tippte darauf eine Nachricht.
„Mit wem schreibst…“ wollte Anna fragen, doch Liv schnitt ihr das Wort ab.
„Komm, wir sollten den Abend feiern, statt Trübsal zu blasen. Liah, du bist frei!“ Und mit diesen Worten schob sie sich zielstrebig durch die Menge in der Annahme, die beiden anderen würden ihr schon folgen.
Der Abend, der zuerst so schön gewesen war, war nun furchtbar. Es tat weh, dass Oliver sie so ausgenutzt und verarscht hatte. Sie traute sich gar nicht aufzusehen, in der Angst, sie könnte ihn wieder mit der anderen sehen. Diesem Arschloch war sie doch nie wirklich wichtig gewesen. Sie hatte sich, nüchtern betrachtet, immer nur wie ein Besitzstück gefühlt. Eigentlich musste sie froh darüber sein, dass sie nun wusste, was für eine Zeitverschwendung er gewesen war. Doch sie war einfach nur verletzt. Liv spendierte ihr weiter Getränke, sodass der Alkohol ihren Schmerz wenigstens betäubte.

Konkurrenz für Kendall (Teil 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt