9 - [Willkommen]

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Durch die Fenster konnte ich die Scheinwerfer von Jacobs Wagen erkennen.

Ich schnappte mir Cataleya bei der Hand und stellte mich mit ihr vor der Tür.

Alles erschien mir aufeinmal so viel lauter. Ich hörte, wie Jacob seinen Schlüssel in die Tür steckte und diese aufschloss.

Die Tür fiel auf und sofort traf mein Blick seinen.
,,Avery" Stellte er glücklich fest. Er streckte seine Arme nach mir aus, doch ich wich nach hinten.

Entäucht sah er mich an, doch versuchte er sein Lächeln zu behalten.

Er wendete seinen Blick ab und starrte stattdessen zu Leya.
,,Und du bist?" Fragte er verwirrt.

Ich beobachtete sie. Ihre Finger krallten sich in den Stoff ihrer Kleidung, während sie kleinere, aber dafür schnellere Atemzüge tätigte.

,,Das ist Cataleya. Sie verbringt die Feiertage mit uns" Sprach Jacob schnell für sie. Dankend lächelte Leya ihn an.
,,Schön dich kennenzulernen" Sagte er und hielt ihr seine Hand entgegen. Zögernd schüttelte Cataleya sie.
,,Ich bin Hank" Sie erwiederte ein kleines Lächeln, doch schwieg.

,,Und wo ist dein Freund, Avery?" Fragte er in aller Ernsthaftigkeit.

Stille legte sich über uns.
,,Lasst uns essen" Schlug Jacob schnell vor, um dieser unangenehm Ruhe zu entkommen.

Er war verwirrt, doch sagte nichts dazu.

Wackelig auf den Beinen, liefen Leya und ich den beiden hinterher. Er setzte sich neben Jacob, doch starrte mich von der anderen Seite des Tisches direkt an.

Der Tisch war gedeckt und das Essen war dank der Mikrowelle noch warm.
,,Das sieht alles sehr köstlich aus" Er richtete sein Kompliment an alle, da er nicht wusste, wer gekocht hatte.

Mein Blick war starr auf ihn gerichtet, ich bemerkte nicht einmal richtig, als Leya meinen Teller nahm, um ihn Jacob zu geben, der ihn befüllte.

Ich spürte den Geruch vom Essen in meine Nase steigen. Ich hätte mich übergeben können.

Im Augenwinkel konnte ich erkennen, wie Cataleya nervös mit der Gabel im Essen rührte. Ihr war wahrscheinlich genauso schlecht gewesen, wie mir. Auch Jacob bemerkte es, er aß auch nicht wirklich etwas.

Nur er aß. Ich hörte sein Besteck über seinen Teller kratzen. Genau wie das Ticken der Uhr, hörte sich dieses kratzen unerträglich laut an.

,,Es ist lange her" Sprach er, nachdem er seinen Bissen runtergeschluckt hatte. Seine Augen richteten sich auf mich.

Ich ließ meine Hand unter dem Tisch verschwinden, verzweifelt versuchte ich Cataleyas zu ergreifen.
,,Jacob hat mir viel von dir erzählt" Er sagte, als wäre ich eine fremde gewesen.

In gewissen Punkten war ich das vielleicht auch. Ich konnte mich nicht einmal mehr daran erinnern, wann wir zuletzt einen vernünftigen Satz miteinander sprachen.
,,Schwer zu glauben, dass du nicht mehr zur Schule gehst" Lachte er, doch ich blieb stumm.

Sein Lachen verging ihn schnell und sofort wandte er sich Jacob zu.
,,Was ist eigentlich aus deiner kleinen Freundin geworden?" Fragte er nach.
,,Wie hieß sie noch gleich? Lydia, Lilith, Lilian?"
,,Lily. Ihr Name ist Lily" Korrigierte er ihn.

,,Lily, genau. Wie lange seit ihr eigentlich schon zusammen?" Jacobs Augen weiteten sich.
,,Wir waren nie zusammen, Dad" Er klang verletzt und enttäuscht. Als hätte er das schon tausend Mal klargestellt.

,,Und wie sieht es mit euch aus?" Wandte er sich mir und Leya zu, während sich eine schuldbewusste Stirnfallte bildete.
,,Zwei so schöne Mädchen müssen doch einen Freund haben" Er sah zwischen uns beiden hin und her, doch er behielt seinen Blick länger auf Cataleya gerichtet.

Als könnte er mich nicht ansehen.

Leya schluckte stark und sah zu mir. Ich dürfte entscheiden. Ich konnte lügen, oder die Wahrheit sagen. In beiden Fällen, wäre sie mir nicht wütend gewesen.

Ich sah zu Jacob, doch er verbarg seinen Blick in seinem Essen. Ich schaute Leya mit einem nervösen Lächeln an und hielt unsere Hände in die Luft. Fest waren sie um einander geschlungen.

Unsere beiden Atmungen wurden hektischer. Er sah uns an, als verstand er die gesamte Welt nicht mehr.

,,Seid ihr beide...?" Das wars, er machte sich nicht einmal richtig Mühe den Satz zu Ende zu sprechen. Geschockt sah er uns an, bevor er sich zu Jacob drehte, welche ihn mit einem aufrichtigen Lächeln ansah.

Jacob war stolz auf uns gewesen.

Wenn ich ehrlich sein sollte, verlief seine Reaktion besser als erwartet. Bevor in die Entzugsklinig ging, hatte er starke Aggressionsprobleme, die von seinem ganzen Trinken kamen.

Ich hatte öfters fantasiert, was passiert wäre, wenn er gewusst hätte, dass ich lesbisch bin. Aber egal wie sehr ich mich anstregte, egal wie sehr ich wollte, dass er es gut aufnahm, es endete immer im Chaos.

,,Wie lange?" Fragte er fassungslos, aber ruhig. Langsam nahmen wir unsere Hände hinunter, doch hielten sie noch fester als vorher.
,,Drei Jahre" Sagte ich lächelt, auch wenn ihm dieses nicht galt. Mein Blick war ganz allein auf Cataleya gerichtet. Ich konnte es nicht glauben, dass es dieses Halloween vier Jahre wären.

,,Warum, Avery?" Er wollte darauf keine Antwort, trotzdem verlangte er eine, um es zu verstehen.
,,Du könntest doch ein normales Leben führen"
,,Das ist ein normales Leben!" Sprach ich deutlich lauter. Cataleya und Jacob schreckten beide auf.

,,Nein. So war das nicht gemeint, Avery" Versuchte er zu sagen.
,,Wie denn?" Ich spürte, wie meine Emotionen am überlaufen waren.

Ich wollte ihn all die Sachen an den Kopf spucken, die ich all die Jahre heruntergeschluckt hatte.

,,Avery-" Fing er an, doch ich unterbrach ihn sofort.
,,Sei still!" Ich schob meinen Stuhl zurück und stand sofort von diesen auf, knallte mit Gewalt meine Handflächen auf den Tisch und begann ihn alles mitzuteilen, was ich eigentlich mit ins Grab nehmen wollte.

,,Ich hasse es, wenn du mich Avery nennst. All die Jahre, hattest du diesen Namen mit Enttäuschung und eckel ausgesprochen!" Er drehte sich verzweifelt zu Jacob, in der Hoffnung, dass er mich zum stoppen bringen würde, doch er sah mich nur lächelnd an.

,,Immer wieder, wenn du betrunken warst, würdest du meinen Namen sagen und dich für mich entschuldigen, wann immer du Moms Bild ansahst" Er mied meinen Blick und starrte lieber den Boden an, auf welchen er so unendlich viel male Alkohol verschüttet hatte.

,,Du hast mich für ihren tot verantwortlich gemacht. Ich war ein Kind, ich konnte nichts dafür, es war nicht meine Schuld!" Es fiel mir schwer meinen eigenen Worten glauben zu schenken.

,,Jacob meinte, dass du dich gebessert hättest. Ich wollte nicht einmal hier sein, ich bin nur hier, weil meine Freundin - meine feste Freundin dich kennenlernen wollte und weil Jacob es verdient hat. Er hat eine normale Familie verdient, für die er seit Jahren sorgt" Sprach ich nun die Wahrheit aus, von der mich Jacob gebeten hatte, sie für mich zu behalten.

Ich wollte ihn nie wieder sehen.

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