Kapitel 1

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Kat

Von fern höre ich den kreischenden Ruf eines Eichelhähers und sofort spannt mein ganzer Körper sich an. Aufregung durchflutet mich und meine Fingerspitzen kribbeln in Erwartung. Dunja ist etwa dreihundert Meter von mir entfernt und hält Ausschau nach der fürstlichen Kutsche, die - ihrem Signal zufolge - gerade den Wald von Brigansk passiert.

Ich begebe mich auf Position und peile die Stelle an, an der alles stattfinden soll. Der allmorgendliche Nebel hat sich inzwischen verzogen und strahlend blauer Himmel ist zurückgeblieben. Meine Sicht auf die kleine Schlucht ist frei und ich lasse den Blick über die felsigen Wände zu beiden Seiten des Weges schweifen. Wir befinden uns etwa drei Meter oberhalb davon. Verdeckt von den Bäumen, die jedes Jahr mit ihren dicken Wurzeln mehr von den Felswänden erobern.

Der Fürst von Templow wird gleich mit seiner Kutsche und den Lastkarren den Weg entlang kommen. Sie werden zwischen den Felsen hindurch müssen, denn es ist der einzige Weg, der die beiden Dörfer miteinander verbindet.

Ich ziehe das Tuch über meine Nase, sodass meine untere Gesichtshälfte bedeckt ist. Meine langen, dunkelblonden Haare sind unter einer grünen Kapuze verborgen. Eine Vorsichtsmaßnahme, obwohl mich die meisten sowieso für einen schmal gebauten Jungen halten.

Dann höre ich den lieblichen Gesang einer Singdrossel. Juri. Ich suche die Gegend mit meinen Augen ab und sehe ihn etwa fünfzig Meter weiter ebenfalls auf einem Baum hocken.

Ein Pfeil liegt schussbereit auf seiner Sehne, auch wenn diese noch nicht gespannt ist. Er dreht seinen Kopf in meine Richtung und lächelt. Ich erwidere es, dann fällt mir ein, dass er meinen Mund gar nicht sehen kann, also winke ich ihm.

Der fürstliche Wagenzug ist inzwischen so nah, dass ich das dunkle Rumpeln der Räder auf dem steinigen Boden hören kann. Jetzt zieht auch Juri sein Tuch über die Nase.

Es ist so weit. Endlich biegen eine Kutsche und vier Lastkarren um die Ecke, die mit Kisten voller Waren und Handelsgüter beladen sind - alles Zwangsabgaben. Einem Fürsten kann man ja nicht zumuten, selbst für sein leibliches Wohl zu arbeiten. Stattdessen lässt er seinen dicken Körper einmal im Monat durch die umliegenden Dörfer kutschieren, wo seine Soldaten die Abgaben einsammeln.

Ich betrachte die schwarze Kutsche, an deren Seiten das Wappen des Fürsten von Templow prangt. Es ist oval, weiß und zeigt einen zähnefletschenden Drachen, der sich um einen Stab windet. Der Drache wird von blutroten Djelrosen umgeben, die für ihre übergroßen und giftigen Dornen bekannt sind.

Einundzwanzig mit Schwertern und Bogen bewaffnete Soldaten reiten verteilt um die Karawane herum.

Plötzlich fällt mir eine weitere Person auf. Ein junger Mann, der an Handfesseln hängt. Zwei Soldaten haben die Ketten an ihren Sätteln befestigt, sodass er zwischen ihren Pferden laufen muss.

Seine Kleidung ist fremdartig, ich kenne keine Person, die jemals solche Stoffe besessen hat. Sie schimmern leicht und haben kräftige Farben, die seinen Körper zum Leuchten bringen. Selbst das Grün meiner Kleidung ist dagegen nur ein blasser und billiger Abklatsch. Auch seine Haare wirken viel dunkler als das Schwarz, das ich kenne. Vielleicht ist er ein reicher Gefangener aus Ranim, dem benachbarten Königreich.

Juri erzählte mir früher Geschichten über die Menschen aus diesem Land. Märchen über Magie, Tod und Liebe, die ihm seine Mutter jeden Abend erzählt hat, als er noch ein Kleinkind war. Ranims Bewohner gelten hierzulande als seltsam und jeder versucht den Kontakt mit ihnen so gering wie möglich zu halten.

Der Gefangene stolpert, doch seine Fesseln verhindern einen Fall und er wird von der Kraft der Pferde weitergezogen. Obwohl seine Beine über den Boden schlurfen, ist sein Kopf trotz allem hoch erhoben. Ich kann nicht umhin, ihn dafür zu bewundern.

Kateryna - Die Reise des Protektors Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt