Kapitel 4

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Ayla

Ich schüttle das Kinderkleid. Es ist so wie gewünscht, von den eingenähten Goldstücken sieht und hört man nichts. Vorsichtig falte ich das Kleidungsstück zusammen und packe es in den Beutel. Niemand darf erfahren, dass ich weiß, wo sie ist.

Wie gern würde ich sie nur ein einziges Mal treffen. Ich habe ein Baby und weiß nicht, wie es aussieht. Aber die Akademie hat recht - wir sind nicht dazu geboren, Kinder aufzuziehen. Das Einzige, wozu wir fähig sind, ist das Kämpfen.

Es klopft leise an der Tür. Ich nehme den Beutel und öffne die Holztür einen Spalt. Kalte Luft drängt in meine kleine Kammer, als die ältere Frau eintritt. Sie ist gebeugt und traut sich nicht mir in die Augen zu sehen.

„Danke, dass du gekommen bist, Meih." Ich drücke ihr den Stoffbeutel in die Hand und schließe ihre Finger um zwei weitere Goldmünzen. „Wie immer ist der Rest für dich und deinen Mann."

Meih nickt und tätschelt meine Hand. Immer noch meidet sie meinen Blick. Aber ich bin es gewöhnt, dass die Menschen Angst vor mir haben.

„Wie geht es ihr? Ist alles in Ordnung?"

Sie nickt erneut. „Miss Ayla, Naya geht es gut. Sie ist munter für ihr Alter und lernt sehr schnell. Inzwischen kann sie schon einige Schritte ohne Hilfe gehen."

„Das ist schön." Ich stelle mir ein kleines Mädchen mit krausem rotem Haar vor, das Laufen lernt. Doch ihr Gesicht bleibt mir immer verborgen. Obwohl die Traurigkeit sich in meine Gedanken schleicht, bleibt mein Gesicht ausdruckslos. „Du gehst am besten wieder, Meih. Hier haben sogar die Wände Ohren." Wenn der König davon wüsste, würde er Naya an einen anderen Ort bringen lassen.

Meine oberste Pflicht ist es, den Prinzen zu schützen. Notfalls mit meinem Leben. Da kann ich nicht auch noch ein Kind unterbringen. Trotzdem fühle ich manchmal diese Sehnsucht in mir. Bedeutet das, ich versage in meiner Bestimmung? Dieser Gedanke macht mir Angst, denn ich kenne kein anderes Leben als dieses.

Nachdem Meih wieder verschwunden ist, stecke ich meine Locken hoch. Den obligatorischen Akademie-Zopf vermisse ich nicht eine Sekunde lang. Er ist nur für die Novizen und die Ausbilderinnen verpflichtend.

Ich lege den Schleier aus schwarzer Seide über mein Gesicht und binde die Enden an meinem Hinterkopf zu einer Schleife. Der Stoff, mit Aussparungen für die Augen, bedeckt das Gesicht bis zur Nasenspitze und soll verhindern, dass sich ein Mann von mir angezogen fühlt.

Nichts schadet unserer Bestimmung mehr, als die Liebe. Danach ziehe ich die schwarzen Lederhandschuhe an und trete in die kalte Nachtluft hinaus auf den Hof.

Meine Kammer liegt im hinteren und ungepflegten Teil der königlichen Hofanlage, neben der Wäscherei und den Arbeitsräumen der Näherinnen. Die eisige Kälte, die wegen der schlechten Dämmung immerzu durch mein Zimmer strömt, stört mich nicht.

In meiner Ausbildung habe ich gelernt, sie zu ignorieren.

Die Menschen, die mir auf dem Weg über den Hof begegnen, senken sofort den Blick. Einen Gruß murmeln sie trotzdem, den ich erwidere. Respekt ist gut. Aber es ist traurig, dass sie sich nicht trauen, mir ins Gesicht zu sehen. Und es macht einsam.

Ich bleibe vor einer großen Holztür stehen, die von zwei mit Hellebarden bewaffneten Soldaten flankiert wird. Ihre dunkelroten Westen erinnern an geronnenes Blut. Als sie mich sehen, verbeugen sie sich leicht und öffnen die Tür.

Auf dem Weg in Prinz Shangars Räume komme ich an einer Kammer vorbei, die normalerweise als Abstellkammer benutzt wird.

Ich halte inne, als ich plötzlich etwas höre, mit dem ich nicht gerechnet habe. Aus dem Innern der Kammer dringen gedämpfte Stimmen. Zuerst glaube ich, dass es sich hierbei lediglich um das heimliche Treffen zweier Liebenden handelt. Aber dann sickert ein Wort durch die geschlossene Tür und krallt sich in meinem Ohr fest. „Gift."

Kateryna - Die Reise des Protektors Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt