Kapitel 2

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Taron

Ich hasse es hierher zu kommen. Diese Dunkelheit vermischt mit glühendem Rot ist gar nicht nach meinem Geschmack. Dazu kommt der stets verbrannte Geruch, dessen Herkunft Ada mir nie verraten will. Ich glaube zwar nicht, dass sie irgendwo in einer Ecke die Toten verbrennt – toter als tot geht schlecht – aber von irgendetwas muss der Gestank herrühren.

Vielleicht ist es auch einfach Teil der Unterwelt. Wie man im Reich der Lebenden die Sonne spürt und frische Luft einatmen kann, so herrscht hier unten Dunkelheit und Gestank.

„Danke, Ada", erwidere ich, nachdem sie mich in den Empfangsraum gebracht hat, der sich schier unendlich ausdehnt. Hunderte von Toten sind darin versammelt wie eine Schafherde, die auf Befehle ihres Hirten wartet.

„Als Blutsklaven müssten sie genügen. Sie sind erst heute eingetroffen."

Ich nicke. Großvater hat mich dazu verdammt, die neuen Blutsklaven abzuholen. Er weiß genau, wie sehr ich die Unterwelt verabscheue und am liebsten nie wieder einen Fuß in dieses Reich setzen würde, aber wie üblich interessiert es ihn nicht. Vielleicht ist es sogar ein inoffizieller Teil meiner Strafe, nachdem ich den Protektor und seine Freunde laufen ließ. Wer weiß das schon bei diesem Geisteskranken?

Ada schwebt vor mir durch die Menschenmenge, die sich für sie teilt. Die Toten sind nackt und strecken ihre Arme nach der Göttin aus, aber sie behandelt sie wie lästige Fliegen. Ich lasse den Blick über die Toten gleiten auf der Suche nach vielversprechenden Exemplaren. Die Liste in meiner Hand besagt genau wie viele ich mitnehmen soll.

„Für die Küche würde ich diesen hier empfehlen", sagt Ada und packt einen Mann aus der zweiten Reihe rechts von ihr. Er baumelt an ihrer Hand in der Luft und schnappt nach Atem, weil sie ihn an seiner Kehle festhält. „Er war ein Gastwirt."

„Nehme ich."

Ich streiche die Stelle auf meiner Liste und gehe weiter, während Ada dem Mann befiehlt, uns nachzulaufen. Sie zieht noch ein paar weitere Tote aus der Menge, von denen sie glaubt, dass ich sie gebrauchen könnte. Bald sind alle Stellen auf meiner Liste durchgestrichen und hinter mir trabt eine ganze Truppe bestehend aus nackten Toten. Ich vermeide es, sie zu betrachten, obwohl es hier unten üblich ist, dass außer Ada und ihrem Mann, dem Herrscher der Unterwelt, keiner angezogen ist.

Ich sehe in die Gesichter und schiebe den Gedanken, dass sie vor kurzer Zeit noch lebende Wesen waren, weit aus meinen Gedanken. Gut, dass nur Ada die Gedanken der Toten lesen kann, denn sie hasst es, wenn man mehr über das frühere Leben dieser Menschen wissen will. Diesen Fehler habe ich beim ersten Besuch gemacht und musste mir dafür eine gehörige Standpauke Adas anhören, bei der sie Feuer ausgeatmet und mir die Hälfte meiner Haare verbrannt hat. Eine ganze Weile musste ich mit angesengten Haaren herumlaufen, weil Großvater es als eine angemessene Strafe für zu viel Neugierde hielt.

Mein Blick bleibt an einem Mädchen hängen, das auch als junge Frau durchgehen könnte. Sie erwidert meinen Blick mit ihren blauen Augen, versucht sich aber gleichzeitig mit ihren Händen zu bedecken. Ich zwinge meinen Blick auf ihr Gesicht, obwohl ich dieses Mal durchaus geneigt wäre, ihn nach unten wandern zu lassen.

„Was ist mit ihr?", frage ich und nicke zu dem blonden Mädchen.

„Nichts", erwidert Ada mit verengten Augen. „Sie wird meine persönliche Dienerin."

Das Mädchen starrt mich an, so eindringlich, als will sie mir etwas per Gedankenkraft mitteilen. Ihre Haut ist von grauem Schmutz bedeckt, von dem lediglich die blauen Augen und das blonde Haar herausstechen. Seltsamerweise sind ihre Haare vollkommen sauber.

Leben oder sterben - Jhanta Chroniken 1.5Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt