Kapitel 1

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- 2011 –

Liz

„Na. Das war wohl nichts", kommentierte Frau Kümmel mit hochgezogener Augenbraue, während sie mir mein Zeugnis auf den Tisch donnerte, „Dein Bruder hatte seiner Zeit nur Bestnoten." Ich verdrehte genervt die Augen und stopfte das Zeugnis achtlos in die Tasche. Es überraschte mich wenig, dass ich dieses Schuljahr nicht geschafft hatte. Aber es interessierte mich auch gar nicht. Wozu denn auch das Ganze? Schule nervte und ich konnte mir so viel Besseres vorstellen als zu lernen. Oder Abitur zu machen. „Nächstes Jahr solltest du dich mehr anstrengen", mahnte Frau Kümmel noch streng, „Du bist sicher eine echte Enttäuschung für deine Familie." „Jaja. Sie mich auch", murmelte ich nur patzig. Die Olle konnte mich doch mal. Was verstand die denn schon von meinem Leben?

Das Klingeln der Schulglocke sorgte für allgemeine Aufbruchstimmung. „Halt, halt", unterbrach Frau Kümmel das Gewusel, „Ich bin noch nicht fertig." Ein lautes Raunen und seufzende Schüler ließen sich auf ihre Stühle zurückfallen. Aber daran dachte ich sicher nicht. Ich war raus. „Madame von Bregedorf das gilt auch für dich", zischte Frau Kümmel giftig. „Sie können mich herzlichst", rief ich nur, als ich schon im Türrahmen stand. Zum Abschied erhielt sie noch einen Gruß meines Mittelfingers und dann war ich weg. Als ob die mich länger festhalten würde, als ich musste. Und es interessierte mich auch nicht, was die Alte mir hinterherrief. Es waren Sommerferien und ich hatte sechs Wochen Ruhe vor diesem Theater hier.

Während ich also nach draußen ging, lief ich an ein paar älteren Schülern vorbei, die wohl auch endlich in ihre Ferien stürmten. Dabei rempelte mich ein großer, brünetter Typ an. „Man pass doch auf du Idiot", pampte ich ihn nur an und schubste ihn unsanft zur Seite, um dann auch ungehindert weiterzugehen.

Für mich untypsch, steuerte ich heute tatsächlich geradewegs den Heimweg an. Normalerweise drückte ich mich ja davor, nach Hause zu gehen. Ich hatte keine Lust, dass das Generve dort weiterging. Aber heute hatte ich etwas vor. Etwas, von dem ich wusste, dass es meine Eltern wieder einmal zur Weißglut treiben würde. So wie so ziemlich alles, was ich tat. Wortlos wie immer betrat ich unser Haus, schmiss meine Tasche achtlos zur Seite und stapfte geradewegs zur Treppe. „Junge Dame! Aber sofort zurück!", hörte ich meine Mutter rufen. Aber ich ignorierte sie. Sie sollte mich nicht nerven. Und meine Mutter nervte mich immer. Mein Weg führte mich also wortlos in mein Zimmer, wo ich die Tür hinter mir abschloss. Meine einzige Chance auf ein wenig Ruhe. Ich drehte die Musik laut und kramte dann die Farbe aus der Schublade. Diese hatte ich mir schon vor zwei Wochen heimlich gekauft, aber bisher war noch kein passender Moment gewesen. Aber jetzt stand etwas an, was ich mir schon lange gewünscht hatte. Eine Veränderung musste her. Und zwar eine gewaltige Veränderung. Eine Veränderung, die meine Eltern ordentlich verärgern würde. Aber was verärgerte sie eigentlich nicht? Fragten wir doch lieber so.

Ein lautes Poltern gegen meine Tür, ließ mich kurz aufschrecken. Obwohl die Tür abgeschlossen war, ließ ich die Farbe schnell unter meinem Bett verschwinden. „Junge Dame", ertönte die schrille, nervtötende Stimme meiner Mutter, „Mach die Tür auf." „Verpiss dich!", rief ich nur genervt und dachte gar nicht daran, ihr die Tür zu öffnen. „Na warte nur ab, bis dein Vater nach Hause kommt." „Und dann? Der kann mich genauso kreuzweise wie du", rief ich nur noch genervter. Danach war es still. Und trotzdem harrte ich eine viertel Stunde aus, ehe ich einen Blick aus meinem Zimmer warf. Meine Mutter war weg. Endlich. Dann konnte es ja nun losgehen. Ich fischte also die Farbe unter meinem Bett hervor und huschte ins Bad.

Betonherz - Mein Herz war mit Zement bedecktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt