Kapitel 15

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Liz

Kurz war da der Gedanke, einfach mit ihm zu reden. Einfach mal all meinen Frust rauszulassen. Aber diesen Gedanken hatte ich so schnell wieder zur Seite geschoben, dass ich da gar nicht länger drüber hatte nachdenken können. Ich konnte das nicht. Nicht, wenn ich wollte, dass niemand sonst davon erfuhr. Denn ob er wirklich seinen Mund halten konnte ... sicher konnte ich mir dahingehend ja nun nicht sein. Und ehrlich gesagt hatte ich sogar ein wenig Schiss, dass er bereits seine gestrige Beobachtung munter herumerzählte. Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht, dass noch jemand hinter meine verletzliche Seite kam. Und so musste ich darauf vertrauen und hoffen, dass er es wirklich für sich behielt ...

Ein Blick in den Himmel ließ mich seufzen. Es bahnte sich tatsächlich das nächste Unwetter an. Und ich hatte wirklich keine Lust, wieder so klitschnass zu werden. Also schluckte ich all meinen Stolz herunter und machte mich auf den Weg nach Hause. Dort dauerte es nicht lang, bis meine Mutter in meinem Zimmer stand. „Kannst du mir mal erzählen, wo du die letzten Tage warst?", donnerte sie auch direkt los. „Nicht da", bekam sie von mir eine sehr stumpfe Antwort. „Hab ich gesehen! Wie kannst du dir eigentlich herausnehmen, so eine Aktion abzuziehen, Nach allem, was dein Vater und ich da in der Schule für dich gegeben haben, damit du die Klasse nicht wiederholen musst?" „Ich habe euch nicht darum gebeten! Wie oft willst du es denn noch hören?", wurde ich nun deutlich lauter. „Du weißt doch gar nicht zu schätzen, was wir hier alles für dich tun, damit du auch Medizin studieren kannst! Wies es sich eben gehört!" „Ich will aber nicht Medizin studieren!", schrie ich nun, „Aber das könnte ich auch einer Wand erzählen und würde mehr Resonanz bekommen! Vermutlich auch mehr Verständnis! Jede Wand würde mich vermutlich sogar mal ernstnehmen! Nicht so wie ihr! Euch ist es doch scheiß egal, was ich möchte! Ich kann es euch doch so oder so nicht recht machen. Egal was ich mache, Justus war immer besser und wird in euren Augen immer besser sein! Und von Charlotte muss ich ja wohl nicht anfangen! Ich hab so die Schnauze voll von euch! Ich hasse euch!" Unsanft schubste ich sie aus dem Zimmer und Schloss auch gleich die Tür ab. Ich wollte nicht, dass sie auch nur eine Träne sah, die sich in meinen Augen sammelten. Die Blöße wollte ich ihr nicht geben. Ich war einfach nur sauer. Und ich bereute es auch gleich, nach Hause gegangen zu sein. Vermutlich war es selbst bei jedem Unwetter draußen besser als hier. Ich hasste es hier. Hier war nicht mein zu Hause. Hier gehörte ich nicht her. Ich war hier völlig Fehl am Platz. Nicht erwünscht. Nicht gewollt. Nicht geliebt.

So sehr ich das alles schon lange wusste. So sehr traf mich diese erneute Erkenntnis gerade. Und das erste mal seit langer Zeit, saß ich auf meinem Bett und weinte. Ich ertrug es gerade einfach nicht mehr. Und ich konnte nicht mal erklären, wieso es ausgerechnet jetzt so aus mir herausbrach.

Irgendwann stand ich auf und zog mich um. Die Tränen waren schnell weggewischt und frisches Make-Up sorgte dafür, dass man gar nichts mehr von dem kurzen emotionalen Ausbruch sah. Und dann tat ich etwas, was ich der Vergangenheit auch schon des Öfteren getan hatte. Ich kletterte aus dem Fenster und schlich mich davon. Ich wusste, dass auch am heutigen Tag wieder eine Party stattfand. Und ich brauchte jetzt ganz dringend Ablenkung. Und Alkohol. Anders würde ich diesen Tag nicht überstehen. Und anders würde ich auch nicht auf andere Gedanken kommen.

Der Ort der Party war schnell ausgemacht. Im Grunde waren es eh immer die gleichen Leute, die die Partys schmissen. Für mich machte es solche Aktionen deutlich leichter. Und da es dort sowieso niemanden interessierte, wenn da eine Person mehr auftauchte, hatte ich auch nie Probleme. Statt auf die Tanzfläche zog es mich heute auf direkten Weg zu den Getränken. Ich brauchte auch nicht lang, bis ich meine eigene Flasche Wodka gereicht bekam. Was das anging, war ich dann doch recht gut bekannt. „Liz? Willst du tanzen?", lallte mir irgendein Typ ins Ohr. Vermutlich hatte ich mit dem mal rumgeknuscht. Ich wusste es nicht mehr. Aber heute war mir einfach so gar nicht nach tanzen. Also drückte ich ihn weg. „Nein. Kein Bedarf", sagte ich also kühl, „Verzieh dich." „Aaach komm schon", lallte er und schon lag seine Hand auf meiner Hüfte, „Zier dich doch nicht so." „Verzieh dich", schrie ich ihn an und scheuerte ihm eine, dass eine roter Handabdruck auf seiner Wange zurückblieb. Aber irgendwie schien er es auch dadurch nicht kapieren zu wollen. „Och Liz. Wir hatten doch immer so viel Spaß", lallte er, als er plötzlich ruckartig nach hinten gezogen wurde. „Hast du Zwiebeln in den Ohren, oder was?", machte ihn der brünette Typ, Vinicio oder so ähnlich, an, „Deutlicher geht es doch wohl nicht!" „Was willst du denn du Affe", lallte der Typ, „Ist ne Sache zwischen Liz und mir. Und ich will Spaß haben." „Schön. Dann hab Spaß. Aber verpiss dich von hier", der Brünette funkelte ihn böse an. Und ich? Ich nutzte den Moment, um möglichst schnell mit der Flasche Wodka zu verschwinden. Und tatsächlich verließ ich auch auf sofortigem Weg diese Party. Ich konnte das irgendwie nicht. Ich musste allein sein.

Betonherz - Mein Herz war mit Zement bedecktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt