Kapitel 35

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Wincent

Ich war schon enttäuscht, dass Liz mir nicht direkt zugesagt hatte. Der Rest war mir eigentlich egal, ich wollte nur so gern Liz dabei haben. Sie war mir in den letzten Monaten wirklich wichtig geworden. Und sie lag mir wirklich sehr am Herzen. Sie hatte es so schwer und allmählich bekam ich das Gefühl, dass sie bei mir wieder sie selbst war. Also wirklich sie selbst. Nicht die eiskalte, gefühllose Liz, wie sie sich immer gegeben hatte. Sie lachte. War locker und gelöst. Ein ganz anderer Mensch.

„Kommt Liz eigentlich auch?", wollte meine Mutter wissen, als sie und meine Schwester gerade dabei waren das Feld zu räumen. Sie wollten den Abend bei Freunden verbringen und überließen mir die Wohnung. „Weiß nicht", murmelte ich enttäuscht. Meine Mutter seufzte und schaute mich etwas mitleidig an. „Aber direkt abgesagt hat sie nicht?", fragte sie vorsichtig. „Ne. Sie meinte, sie überlegt es sich", murmelte ich, „Na ja. Ich kann es ihr ja nicht mal verübeln. Gerade Christian hält sehr an diesen ganzen Gerüchten fest und na ja kann ich ihr nicht übel nehmen, wenn sie dann keine Lust darauf hat." „Das wird schon. Vielleicht kommt sie ja doch. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie dir zur Liebe über ihren Schatten springt", blieb meine Mutter zuversichtlich, „Ich glaub, sie mag dich. Hast du dir aber auch echt lang erarbeitet." „Ich wusste einfach, dass sie nicht so sein kann, wie alle in der Schule erzählen", zuckte ich mit den Schultern. „Ja. Und ich bin wirklich stolz auf dich. Du hast selbst mich davon überzeugt, diesen Gerüchten nicht ganz so viel Glauben schenken darf. Da hab ich doch noch mal was von dir lernen können", meine Mutter schmunzelte, „Na ja. Macht euch einen schönen Abend. Lasst aber bitte alles heile, ja?" „Machen wir", versicherte ich ihr.

Zwei Stunden später trudelten dann alle ein. Alle außer Liz. Man musste mir meine Enttäuschung angesehen haben, denn Marco schaute mich recht mitleidig an. „Du hast sie auch eingeladen, oder?", fragte er mich, als wir kurz in der Küche waren, um neue Getränke zu holen. „Sicher", murmelte ich, „Aber ich kann sie auch verstehen, wenn sie keine Lust hat." „Vielleicht kommt sie ja noch", blieb Marco zuversichtlich, „Immerhin habt ihr ja die letzte Zeit doch viel Zeit miteinander verbracht." „Mal schauen", zuckte ich nur mit den Schultern und ging wieder ins Wohnzimmer, wo ich recht teilnahmslos daneben saß. Irgendwann klingelte es an der Tür. Natürlich sprang ich sofort auf und öffnete die Tür. Tatsächlich. Liz. Aber irgendwas stimmte nicht. Hatte sie geweint? Und ihre Wange war so rot. „Hey", brachte ich recht überfordert raus, „Komm rein." „Danke", murmelte sie und stellte ihren riesigen Rucksack ab. „Ist alles okay?", fragte ich vorsichtig. Sie nickte nur, wich meinem Blick aber aus. Alles klar. „Komm", ich zog sie einfach mit in mein Zimmer und schloss die Tür hinter uns, „Du hast doch geweint." „Ist schon okay", nuschelte sie. „Ne ist es nicht. Warum ist deine Wange so rot?" „Hab mich mit meinen Eltern gestritten. Und dann hat mir mein Vater halt ne Ohrfeige verpasst", gab sie leise zu, „Dann hat er mich in meinem Zimmer eingeschlossen. Na ja dann bin ich halt aus dem Fenster abgehauen." „Scheiße", murmelte ich und nahm sie in den Arm. Eine kleine Geste, die sie mittlerweile glücklicherweise auch zuließ. „Ich würd da gern gar nicht so viel weiter drüber nachdenken heute, wenn ich ehrlich bin", murmelte sie irgendwann. „Klar. Kriegen wir hin", versicherte ich ihr. „Okay. Ich geh nur noch kurz ins Bad", murmelte sie und verschwand auch direkt. Ich ging derweil ins Wohnzimmer zurück. „Wer war das?", wollte Christian wissen. „Liz. Die kommt gleich. Wäre ganz nett, wenn ihr euch zusammenreißen würdet", seufzte ich. „Hm. Na gut", murmelte Christian.

Liz kam wenig später dazu und setzte sich neben mich. Aber so wirklich hatte ich nicht das Gefühl, dass sie auf andere Gedanken kam. Sie wirkte den ganzen Abend über sehr nachdenklich und ruhig. So kannte ich sie eigentlich gar nicht. Aber ich wusste, dass es heute nichts brachte, mit ihr darüber zu reden. Ich hatte es ihr ja auch irgendwie versprochen.

Kurz vor Mitternacht gingen wir dann raus in den Hof. Doch als Liz sich zurückfallen ließ, stutzte ich. Also blieb ich stehen und drehte mich zu ihr um. Recht schnell schloss ich die Lücke zwischen uns. „Was ist los?", fragte ich vorsichtig. Liz blickte sich um, aber inzwischen waren wir hier ganz allein. „Mach mal die Augen zu. Und lass sie bitte zu", bat sie mich. Ich schaute sie nur ziemlich verwirrt an. „Wieso?" „Mach einfach. Bitte", bat sie mich erneut. „Und wie lang?", fragte ich noch etwas skeptisch. „Bis du die ersten Raketen hörst", sagte sie ziemlich deutlich, „Du vertraust mir doch, oder?" „Klar vertraue ich dir", murmelte ich und schloss dann die Augen. Einen Moment lang passierte einfach nichts. Und dann ... spürte ich, wie sie ihre Lippen auf meine legte und mich ganz sanft küsste. Ich war im ersten Moment wirklich überfordert, konnte diesen Kuss aber nur genauso sanft erwidern. Aber der Kuss war wirklich schön ... schmeckte aber irgendwie salzig. Nach einem kurzen Moment löste sie sich, ich spürte noch, wie sie kurz meine Hand streifte, dann passierte nichts mehr. Und nur wenige Augenblicke später, hörte ich, wie die ersten Raketen in den Himmel stiegen. Wie versprochen, öffnete ich meine Augen. Aber Liz war weg. „Liz?", rief ich verunsichert und spürte erst dann den Zettel in meiner Hand. Ich schluckte. Zitternd faltete ich den Zettel auseinander. Mein Gefühl war wirklich nicht gut. Und das, was ich da zu lesen bekam, ließ mein Herz in tausend Teile zerbrechen.

>> Wincent. Du weißt inzwischen ziemlich gut: Ich bin nicht der Mensch vieler Worte. Und über meine Gefühle reden, das kann ich auch nicht besonders gut. Aber dennoch versuche ich, das hier so vernünftig wie möglich zu schreiben.

Ich glaube, ich habe mich nie so wirklich dafür bedankt, was du in den ganzen letzten Monaten für mich getan hast. Ich konnte dir das nie so sagen, wie du es verdient hast. Als du mir da anfangs so auf die Nerven gegangen bist, dachte ich wirklich, du bist einfach nur ein Idiot, der sein Ego pushen will. Du hast mich vom Gegenteil überzeugt. Du warst der erste Mensch seit Jahren, der hinter meine Fassade blicken wollte und auch wirklich darum gekämpft hat. Du hast mir gezeigt, dass es nicht nur Idioten da draußen gibt. Bei dir habe ich gelernt, wieder ich zu sein. Gefühle zuzulassen. Aber nur bei dir konnte ich das. Umso schwerer fällt es mir, nun diese Zeilen zu verfassen. Und dir Lebe Wohl zu sagen. Es ist die letzten Monate zu Hause immer schlimmer geworden. Alles, was mich die letzte Zeit noch hier gehalten hat, warst einzig und allein du! Ich weiß, wie sehr ich dir jetzt wehtun werde. Und es tut mit leid. Vielleicht tröstet es dich, dass es auch mir sehr wehtut. Aber ich kann nicht anders. Ich halte es zu Hause nicht mehr aus und ich muss da weg. Ich kann einfach nicht mehr.

Bitte. Such nicht nach mir. Ich weiß selbst noch nicht, wo ich landen werde. Aber ich bitte dich: Leb dein Leben. Lern ein nettes Mädel kennen, dass all deine Bemühungen zu schätzen weiß und sie auch verdient.

Ich lass dein Herz los, ich lasse es zieh'n. Da draußen ist jemand, der es verdient!

- Liz <<

- ENDE –

Betonherz - Mein Herz war mit Zement bedecktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt