Serial Killer

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Du kannst dich doch noch gut an das erste Lebewesen erinnern, das du getötet hast. Jedenfalls an ein solches, das größer als eine Mücke war. Du warst mit deinem besten (und einzigen) Freund auf der Wiese hinter deinem Haus. Ihr seid herumgerannt und habt euch mit Spielzeugpistolen beschossen, wie kleinen Jungen das nun mal so tun. Die Plastikgeschosse taten genug weh, dass das Spiel aufregend blieb. Gerade wolltest du wieder spielerisch auf deinen Freund zielen, doch dir fiel etwas anderes ins Auge. Etwas Lebendiges. Zwar war es nur ein Vogel, der ruhig auf einem Ast saß, doch konntest du, einmal ins Auge gefasst, den Blick nicht mehr von ihm wenden. Die Waffe wog plötzlich schwer in deiner Hand.

Die Waffe wog plötzlich schwer in deiner Hand. Du hattest sie schon seit einiger Zeit gegen echten Stahl ausgetauscht und das Gewicht zog an deinen Armen. Sie zu beschaffen war nicht schwer gewesen, vor allem nicht in dieser Stadt. Obwohl natürlich genau dein Schlappschwanz von Vater der einzige Mann im ganzen Umkreis war, der keine bei sich zu Hause versteckte. Oder vielleicht hatte er sie auch nur weggeschafft, damit sich das Baby nicht verletzen konnte. Die Ironie dahinter war einfach zu komisch. Tja, daraus wird wohl nichts. Du grinstest.

Du grinstest. Du warst schon immer ein Tierfreund gewesen. Sogar gegen Katzen hattest du nichts einzuwenden. Doch obwohl du es dir nicht einmal vorstellen konntest, habe ICH dafür gesorgt, dass die Waffe in deiner Hand plötzlich auf den Vogel zielte. Du spürtest die Anspannung in der Luft und die Verwunderung deines Freundes wegen des plötzlich unterbrochenen Spiels. Du fühltest dich mächtig, ein Leben dermaßen im Griff zu haben, auch, wenn es nur ein so unbedeutendes war. Du erschaudertest. Diese Energie. Du spürtest sie bis in die letzten Fasern deines Körpers. Du würdest jemand anderes sein, nachdem zu abgedrückt hattest.

Du würdest jemand anderes sein, nachdem zu abgedrückt hattest. Das war dir so klar wie damals. Und wie damals hielt dich nichts zurück. Vor allem ICH nicht. ICH war vielmehr die Kraft, die dich nach vorne trieb. War ICH doch selbst gespannt, was passierte. Und wie könntest du MIR widersprechen? ICH bin ein Teil von dir. Der essentielle Teil. Der Teil, den du nie mehr loswirst. Während du zu seinem Zimmer schleichst, fuhrst du mit dem Waffenlauf langsam über deinen Unterarm. Von einer Narbe zur nächsten. Es fühlte sich so gut an.

Es fühlte sich so gut an. Alles. Das Wetter war perfekt, der ganze Tag war perfekt und natürlich die Gelegenheit, die sich mit einem Kitzeln bemerkbar machte. Du fokussiertest den Vogel, sein graues Gefieder, seine kleinen, dürren Beinchen, seine Position, damit du ja nicht danebenschießt. Diese ganzen Gedanken wirbelten schnell durch deinen Kopf. Ohne noch länger nachzudenken, immerhin wurde auch ICH langsam ungeduldig, drücktest du auf den Plastikabzug. Das kleine, harte Kugelschoss traf die Taube am Kopf und sie fiel in kleinen kreisenden Bewegungen zu Boden. Du sahst in das erschrockene Gesicht deines Freundes, der mit schreckgeweiteten Augen auf den noch leicht zappelnden Vogel blickte. Diesen Ausdruck wirst du nie vergessen. Es gab dir einen Kick.

Es gab dir einen Kick zu wissen, was gleich passieren würde. Du öffnetest die Tür und tratst in den Raum, der von der Kinderkrippe an der Wand dominiert wurde. Mit sachtem Schritt gingst du vorwärts und ließest dich von MIR leiten und führen. Das Baby schlief tief und fest. So gegensätzlich zu den letzten Nächten, wo es dich wegen seines Geschreis nicht hatte schlafen lassen. Mit einem kurzen Blick auf sein kleines Gesicht, betätigtest du den Abzug. Du machtest dir keine Mühe, den Schuss zu dämpfen. Stattdessen begabtest du dich auf den Weg zum Schlafzimmer deiner Eltern, die Waffe leicht rauchend an deiner Seite. Du hinterließest eine Spur aus Blut.

Und seien wir ehrlich. Du musst das nicht tun. Aber du willst. WIR wollen.

Wort für WortWo Geschichten leben. Entdecke jetzt