Wenn
Wenn er dich anlächelt, geh doch auf ihn zu. Komm schon, sei nicht schüchtern. Schon immer wolltest du über deinen Schatten springen, nun fühlst du dich sogar leicht. Etwas kribbelt in deinem Bauch. Schmetterlinge? Was für eine dämliche Metapher. Du kennst ihn gar nicht. Er könnte sonst wer sein. Ein Axtmörder, ein Drogendealer, ein Pädophiler ... die Liste ist so lang. Seine Kleidung ist dunkel, wirkt bedrohlich. Passt nicht zu seinem warmen, hellen Lächeln. Es schreckt dich ab. ER schreckt dich ab. Doch er lächelt immer noch. Seine Augen leuchten, scheinen so viel zu wissen, so viel gesehen zu haben. Doch DU willst es nicht wissen. Willst nicht noch mehr Probleme, fürchtest dich davor, was passieren könnte, wenn du zu ihm gehst, mit ihm sprichst und schüchtern deinen Kopf an seine Schulter lehnst. Doch was soll denn hier passieren? Unter all den Leuten, die nichts anderes im Kopf haben, als den Problemen aus dem Weg zu gehen, den Menschen aus dem Weg zu gehen und der Zukunft aus dem Weg zu gehen. So wie du. Was soll denn hier passieren?
Er lächelt immer noch. Hartnäckig. Irgendwie süß. Nein, krank, meint dein Gewissen, welches sich sehr nach deiner Mutter anhört. Der kann nichts Gutes im Schilde führen. Das macht er sicher jede Nacht, fährt mit der U-Bahn und lächelt fremde Frauen an. Verzaubert sie. Verführt sie. Bringt sie zu sich nach Hause. Kommt ihnen zu nah, egal, wie sehr sie sich wehren und wenn sie beginnen zu schreien, mag er es nur umso mehr. Er ist böse, schlecht, gemein. Lass es besser sein.
Er lächelt immer noch. So schief, dass es beinahe seine Grübchen verdeckt, doch sie sind da. Er sieht gut aus, weiß es bestimmt auch. Wird es ausnutzen, wenn du zurücklächelst. Wird wissen, wie er sich verhalten muss, weil er Frauen kennt. Wird wissen, wie er dich ansehen muss, weil er dich mit Blicken ausziehen will. Wird wissen, wie er deine Hand halten muss, weil er sich auf Körperkontakt versteht. Wird wissen, was er sagen muss, weil er weiß, was du hören willst. Was du brauchst. Schon hat er dich. Vorsicht, er ist böse.
Er lächelt immer noch. Ja, er würde wissen, wie er sich verhalten muss, weil er DICH kennt. Er würde wissen, wie er dich ansehen muss, weil er DICH sieht. Er würde wissen, wie er deine Hand halten muss, weil sie ein Teil von DIR ist. Er würde wissen, was er sagen muss, weil DU vor ihm stehst. Doch das weißt du nicht. Du hältst dich lieber fern.
Er lächelt immer noch. Du denkst an all das Schlechte, was passieren könnte. Wie sehr er dich verletzen könnte, mehr, als du es selbst je könntest. Hast Angst vor ihm, was sich hinter der Maske verbirgt, was er aus sich herausholen und wie er dich verändern könnte.
Er lächelt immer noch. Du bist verwirrt. Wieso sollte er dich anlächeln? Wieso sollte er DICH anlächeln, wenn er doch nichts Böses im Sinn hätte?
Du denkst nicht an die schönen Momente, die ihr teilen würdet. An jeden Kuss, jedes Lachen, jedes gemeinsame nebeneinander Aufwachen. Du denkst nicht an die Gefühle, die du empfinden würdest, denkst nicht an die GEFÜHLE, die du empfinden würdest, wenn er dich liebkost, dich umarmt, dir sanft übers Haar streicht, dich beschützt. Du denkst nicht an die Kinder, die ihr haben würdet, wunderschön und sie würden sein Lächeln haben. Seine Grübchen.
Er lächelt dich an, doch du bleibst, wo du bist.
Er lächelt dich an, doch du denkst so viel nach.
Er lächelt dich an, doch du lächelst nicht zurück.
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Wort für Wort
PoetryWort für Wort ist eine Kollektion meiner Texte (Gedichte, Poetry Slams, usw.).