First

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Ein ganz normaler Morgen begann für mich eigentlich nie mit Frühstück.

Das war das erste nicht normale an diesem Tag.

Denn als ich nach unten in die Küche ging, stand dort ein gedeckter Frühstückstisch mit allem drum und dran.

Seufzend hatte ich mich daran gemacht, all das Zeug wieder wegzuräumen.

Ich hasste es, wenn Nathan das tat. Er machte es meistens unabsichtlich, aber aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, dass es diesmal pure Absicht war.

Diese kleinen Dinge, die er tat und von denen er ebenso gut wusste, dass ich sie nicht ausstehen konnte, begannen, mir gehörig auf die Nerven zu gehen.

Ich lief gehetzt durch die Wohnung und suchte meine Sachen zusammen. Nachdem ich alles in meine Tasche geschmissen hatte, ohne jegliche Rücksicht auf irgendetwas, warf ich mir einen Blick im Spiegel zu und blieb stehen.

Ich sah aus wie ein Zombie.

Unter meinen Augen lagen tiefe Ringe, meine Haare waren ein einziger Strubbelhaufen und mein Nagellack blätterte ab.

Ich seufzte zittrig und beschloss nicht länger hinzusehen, sondern stattdessen zur Arbeit zu gehen.

Mühsam schloss ich die Tür ab und musste mich stark gegen den Drang wehren, einfach wieder hinein zu gehen und mich krank zu melden.

Ich würde diesen Tag überstehen.

Es war nicht das erste Mal, dass es mir so ging.

Jedes Jahr an diesem Tag brach ich zusammen.

Vielleicht, weil ich ihn so sehr geliebt hatte.

Vielleicht, weil er mein bester Freund gewesen war.

Vielleicht, weil er der Mensch war, der mich zu jemand anderem, jemand Besserem gemacht hatte.

Vielleicht, weil ich ihn so unendlich vermisste und ebenso gut wusste, dass er nie wieder wirklich zu mir gehören würde.

Vielleicht aber auch, weil er der erste Junge war, der mein Herz gestohlen hatte, dem ich mich geöffnet hatte.

Der erste Junge, der mich kannte, wirklich kannte.

Und mich genau so liebte, wie ich war.

Das Schlechte an mir war, dass ich mich meinem Liebeskummer hingab. Völlig und ganz und gar.

Ich sah mir Fotos von früher an, durchforstete das Internet nach den Bildern, die ich irgendwo unter meinem Bett in eine Kiste gestopft hatte, an dem Tag, an dem er mir sagte, dass er nicht mehr konnte.

Jedes Mal, wenn ich diese Kiste hervorholte, fielen neue Tränen hinein.

Tränen für drei Jahre.

So gut es ging, versuchte ich, mich zusammenzureißen. Doch es endete jedes Mal damit, dass ich bereits am Nachmittag nachdenklich in meinem Bett lag und am Abend weinend versuchte, Schlaf zu finden.

Egal, wie ich es anstellte, ich brach zusammen. Jedes Jahr.

Nathan verstand mich nicht. Wie sollte er auch? Er war der Neue, der den Platz eines anderen eingenommen hatte und er wusste ebenso gut wie ich, dass ihm das niemals so gut gelingen würde, wie Louis damals.

Ich trat auf die Straße und warf der Sonne einen Blick zu, der sie vermutlich hätte erlöschen lassen, hätte ich keine Sonnenbrille aufgehabt, um meine Augenringe zu verdecken.

Reiß dich zusammen, es kann doch nicht wahr sein, dass dir das jedes Jahr wieder passiert, irgendwann ist auch einmal Schluss damit, sagte ich mir immer wieder.

Doch was brachte das schon?

Ich beschloss die fünfzehn Minuten zur Arbeit zu laufen und ließ mein kleines Auto in der Auffahrt stehen.

Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit, als ich die ersten fünf Minuten hinter mir hatte. Meine Füße schlugen den Umweg zu seinem Haus ein, bevor ich es realisiert hatte.

Und dann stand ich da.

Atmete ein. Atmete aus.

Und ging weiter.

Ein Straße weiter kamen mir mindestens doppelt so viele Menschen entgegen, wie gerade eben noch.

Manchmal hatte ich das Gefühl, ich würde vom Dorf in die Stadt kommen, obwohl man nur von einer Straße zur nächsten kam.

Mein Blick strich flüchtig über die Gesichter der Menschen, niemanden nahm ich richtig wahr.

Bis ich hängen blieb. An diesem Detail. Diesem Detail in diesem Gesicht. Seinem Gesicht. Die Narbe, die leicht versteckt unter seinem Kinn hervorlugte.

Nein, nein, nein, nein, nein. Nicht heute. Bitte nicht.

„Hannah?“, hörte ich seine Stimme verwundert fragen.

Einfach weitergehen, Hannah, vielleicht meint er nicht dich, einfach weitergehen!

Doch er meinte mich. Ein zweites Mal rief er nach mir, diesmal dringlicher.

Ich blieb stehen.

Seine Stimme war zu viel für mich. Ich konnte mich nicht mehr rühren, meine Beine verweigerten den Dienst.

Stumm starrte ich auf den Boden, sah auf meine abgenutzten Schuhe und beobachtete, wie sich ein Paar Toms direkt vor mir positionierten.

„Hannah?“, fragte er ein drittes Mal. Tränen bildeten sich in meinen Augen.

„Louis.“, flüsterte ich und ballte meine Hand zu einer Faust, um nicht anzufangen zu weinen.

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-> vergesst nicht, meine neue Geschichte 'Nachts um 2 im Froschpyjama' zu lesen! Das bedeutet mir viel ♡

Back Then (One Direction) [ON HOLD]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt