Lieblingsnichte

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An diesem kühlen Dezembermorgen waren die Bewohner Schloss Burgeck's schon früh wach, da sie alle mit Vorbereitungen des heutigen Geburtstags beschäftigt waren.
Es war Ophelia's 100ster Geburtstag und sie hatten sich entschlossen, eine kleine Feier für sie zu organisieren.
König Julius, Königin Konstanzia und Maria hatten die Geschenke auf dem langen Tisch im Speisesaal versammelt während der königliche Adjutant Charles die Geburtstagstorte hineinbrachte und mit Kerzen bespickte
(natürlich nicht mit ganzen 100 Kerzen, da sie unmöglich alle darauf passen würden).
Das Schlossgespenst hatte sich wiederum vorgenommen, seine Nichte mit einem leckeren Frühstück im Bett zu überraschen und es auch persönlich vorzubereiten.
Zwar war Hui Buh nicht der beste Koch, aber gefräßig wie er war, hatte er sich genug abgeschaut, um es mit ein paar Ausrutschern schließlich hinzubekommen.
Gerade war er dabei, warmen Sirup auf die frisch gebackenen und etwas durcheinander geratenen Waffeln zu gießen.
Waffeln mit Ahornsirup und heißer Kakao, das war Ophelia's Lieblingsfrühstück.
Als sie vollkommen eingeweicht waren, blickte Hui Buh verstohlen über die Schulter bevor er sich etwas von der süßen Flüssigkeit aus der Sirup Flasche in den Mund goss.
"Hui Buh?"
Wie ertappt fuhr Hui Buh herum und sah Julius im Kücheneingang stehen.
"Ich konnte mich nicht beherrschen!" rief das Gespenst hastig.
"Ganz ruhig, Scherzkanone!" beruhigte der König ihn spöttisch. "Ich wollte nur sagen, dass alles andere vorbereitet ist. Wie sieht es bei dir aus?"
Hui Buh nahm das Tablett mit Ophelia's Frühstück zur Hand und hielt es stolz vor sich. "Guck doch selbst!"
Julius zog in gespieltem Erstaunen die Augenbrauen hoch. "Na schau mal an.." sagte er. "Alles klar, dann bring dem Geburtstagskind mal ihr Frühstück!"
Hui Buh nickte eifrig und wollte gerade mit dem Tablett davonhuschen, als Julius noch schnell die Hand hob:"Und denk dran zu Fuß und vor allem vorsichtig zu gehen, damit dir nichts runterfällt."
"Ach ja, gut das du mich erinnerst, Julius!"
erwiderte Hui Buh mit verlegenem Lächeln.

Endlich schaffte das Schlossgespenst Ophelia's Zimmertür mit dem Ellenbogen zu öffnen. Die ersten beiden Male war ihm das Tablett fast runtergefallen, und er sah es als ein Wunder, dass er sich dabei noch rechtzeitig aufgefangen hatte.
Langsam betrat Hui Buh das Zimmer und hörte, wie seine Nichte sich regte.
So schnell er konnte, stellte er das Tablett auf ihren Nachttisch und machte sich unsichtbar.
Gähnend setzte Ophelia sich auf und streckte sich. Dann drehte sie sich zu ihrem Nachttisch und bekam große Augen als sie das Tablett mit ihrem Lieblingsfrühstück bemerkte.
"Wow..." hauchte sie.
Das war Hui Buh's Stichwort. Er machte sich direkt vor ihr sichtbar und rief breit grinsend:
"Guten Morgen, Geburtstagsschlafmütze!"
Ophelia musste sofort loslachen. "Guten Morgen, Onkelchen!"
Sie deutete auf ihr Frühstück. "Hast du das selbst gemacht?"
Verwirrung stahl sich auf Hui Buh's Gesicht. "Äh, wie hast du das..?"
"Die Waffeln und der Kakao sehen etwas...ungeschickt geraten aus..." antwortete die kleine Hexe.
"Oh.."
"...aber lecker!" setzte sie netterweise hinzu.
"Oh!" wiederholte Hui Buh erleichtert. "Ja, habe ich! Lass es dir schmecken! Wir sehen uns unten ihm Speisesaal. Es sind nämlich noch mehr Überraschungen für dich geplant."

(Später)
Mit schiefem Lächeln hielt Ophelia das Kleid hoch, das Charles ihr geschenkt hatte. Es war aus kunstvollen, eleganten weißen Federn gemacht und erstreckte sich fast bis auf den Boden.
"Es hat misch etwas gedauert, um das passende Kleid zu finden, doch isch bin überzeugt, dass ihr in diesem absolument magnifique aussehen werdet, madame Ophelia!" erklärte der Adjutant selbstzufrieden.
In Wahrheit war das Kleid so garnicht nach Ophelia's Geschmack, doch sie bedankte sich trotzdem.
"Nur wenn sie sich gern als Taube verkleidet!" dachte Hui Buh und musterte das Kleid wenig wohlwollend.
Ophelia's restliche ausgepackten Geschenke waren schon auf dem langen Tisch verteilt. Eine Halskette, Schleifen für jeden ihrer Hundewelpen, ein Notizbuch, und Schlittschuhe.
Nur von ihrem Onkel hatte Ophelia noch keins gekriegt. Hui Buh wollte, das sie sein Geschenk zuletzt aufmachte, weil er es als ein ganz besonderes für sie empfand.
Ophelia war dem Schlossgespenst in den letzten Monaten sehr ans Herz gewachsen. Mittlerweile war ihm auch aufgefallen, dass die kleine Hexe ihn anblickte, wie den Vater, den sie nie gehabt hatte. Und Hui Buh liebte Ophelia inzwischen auch so, als wäre sie sein eigenes Kind.
"So, Zeit für meins!" rief Hui Buh eilfertig und huschte an Ophelia's Seite. "Diesmal kommt es auch wirklich von Herzen!"
"Was heißt hier, 'diesmal'?" Maria blickte ihren Bruder fragend an. Ophelia antwortete lachend an seiner Stellte:"Als ich Hui Buh, Julius, Charles von Diandra erzählt habe, wollte Hui Buh mir einen alten Besen schenken damit ich zu ihrem Schloss fliegen konnte."
"Natürlich! Das sieht ihm ähnlich..." erwiderte Maria mit spöttischem Lächeln.
Die anderen lachten und Hui Buh wurde rot. Schnell wechselte er das Thema:"Egal! Hier, alles Liebe zum Geburtstag!" Er griff hinter sich und hielt seiner Nichte ein Armband unter die Nase.
Es war ein Armband das aus schmutzig dunkelgrünen und dunkelblauen Perlen bestand die ebenfalls ungeschickt angeordnet waren. "Lies die Schrift auf den Perlen vor!" forderte Hui Buh Ophelia auf sobald sie es entgegen genommen hatte.
"Schrift?" Die kleine Hexe hielt sich das Armband dicht vor die Augen und erkannte, das auf jeder einzelnen Perle ein Buchstabe mit schwarzer Farbe geschrieben war. "Für...meine...absolute...Lieblingsnichte..."
"Sehr richtig!" stimmte Hui Buh stolz zu. "Hiermit will ich dir nämlich auch sagen, dass ich DEIN größter Fan bin! Und nicht mehr von diesem unglückseligem Schinken eines Zauberbuch's! Du bist die wahre Legende hier, Ophelia!" sagte er und stupste Ophelia dabei liebevoll mit dem Zeigefinger gegen ihre Nase.
Julius, Charles, Maria und Konstanzia sahen den Geist mit offenen Mündern an.
Hui Buh's Lächeln verschwand so abrupt wie eine Maus in ihrem Loch als er die Tränen in den Augen seiner Nichte bemerkte. "Gefällt...gefällt es dir nicht?"
Zu seiner Bestürzung schüttelte Ophelia den Kopf und erwiderte:"Nein, es gefällt mir nicht."
Das Schlossgespenst spürte, wie ihm das Herz zerschnitt. Niedergeschlagen und gleichzeitig auch gekränkt wandte er das Gesicht ab.  "Oh...Na dann, ähm.."
Bevor er wusste wie ihm geschah, sprang Ophelia urplötzlich auf und schlang ihm so ungestüm die Arme um dem Hals, dass es ihn fast umwarf.
"Ich liebe es!" rief sie, die Stimme bebend vor Freude. "Das ist das schönste Geschenk, das ich je bekommen habe!"
Ein rießiger Seufzer der Erleichterung entwich Hui Buh als er sie zurückumarmte.
Die anderen lächelten inniglich.
"Das war ohne Zweifel eins der liebenswertesten Dinge, die du je getan hast, Hui Buh!" sagte Konstanzia gerührt.
Hui Buh grinste nur.
Maria musste kichern. "Ich wusste nie, das du so gefühlvoll sein kannst!"
"Äh,..Na ja, also...Es kann doch wohl Ausnahmen geben, oder?" stammelte der Geist leicht irritiert während er sich von Ophelia löste. "Im Übrigen werde ich das auch gern für meine Lieblingsnichte sein!"
"Du weißt schon, dass sie auch deine EINZIGE Nichte ist, oder?" warf Julius ein.
"Na umso mehr Grund, sie so zu nennen, oder?" gab Hui Buh von oben herab zurück und zwinkerte Ophelia zu.
"Genau! Und auch umso mehr Grund, dich mein Lieblingsgespenst zu nennen."

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