Mitten in der Nacht schlug ich panisch meine Augen auf, meine Haut kribbelte und die Bettlaken klebten an meiner verschwitzten Haut, schwer atmend schreckte ich hoch und lehnte meinen Kopf an das kühle Kopfteil meines Bettes. Draußen prasselte lauer Sommerregen in einem gleichmäßig leisen trommelnden Rhythmus gegen mein Fenster.
Atmen,
ermahnte ich mich selbst. Es war eine dieser Nächte in denen alles weh tat. Mein Atem ging zittrig und viel zu schnell. Er war da gewesen, für einen winzig kleinen Moment, fast so nah dass ich ihn spüren konnte. Meine Brust bebte und ich begann zu schluchzen. Ich vermisste meinen Bruder so sehr, dass es mich förmlich zerriss. Ich wusste dass ihm etwas zugestoßen war, mein Bruder wäre niemals freiwillig gegangen, ohne ein Wort verschwunden, einfach so von einen Moment auf den anderen, da war ich mir sicher. Andauernd hatte ich diese Alpträume, er rief verzweifelt nach Hilfe und streckte seine Arme nach mir aus, die Augen so voller Angst, dass es einem eiskalt den Rücken runter lief. Mich quälten die Schuldgefühle, ich hätte vielleicht mehr tun können, länger suchen. Ich hatte Angst zu schnell aufgegeben zu haben, doch es gab keinen Hinweis auf einen möglichen Aufenthaltsort, er war wie vom Erdboden verschluckt. Schluchzend verbarg ich mein Gesicht in meinen Händen und versuchte das ekelhafte Gefühl des Versagens abzuschütteln. Niemand sagte einem wie einsam es sein konnte, jemanden zu verlieren, den man nicht begraben konnte, vielleicht war er irgendwo da draußen und brauchte meine Hilfe. Alle überschütteten einen mit Mitleid, selbst Menschen die man gar nicht kannte, ich bekam meine Atmung nicht in den Griff. Mein Vater war nicht zu Hause, er hatte sich Urlaub genommen um bei meiner Mom nach dem Rechten zu sehen, sie waren beide einsam, das wusste ich. Sie hatten sich getrennt obwohl sie sich noch lieben, sie kamen einfach nicht mit der Situation klar. Ich hatte meinen Vater in seinem Vorhaben bestärkt, sie zu besuchen. Ich trug immer noch die kleinkindliche Hoffnung in mir, dass sie wieder zueinanderfinden würden, sie brauchten sich. Ich hatte niemanden. Sie hatten zwar ihren Sohn verloren, aber ich hatte meinen großen Bruder verloren. Wir hatten zusammen Baumhäuser gebaut, er brachte mir bei mich zu verteidigen, wir hatten Flohmärkte nach CDs und coolen Klamotten durchstöbert, mit ihm hatte ich meine erste Zigarette geraucht. Ich konnte ihn nicht retten, ich hatte versagt. Fahrig wischte ich mir die Tränen weg und zog die Nase hoch. Ich schnappte mir eine graue Jogginghose und einen großen grünen Pulli aus meinem Schrank die ich mir hastig überzog, bevor ich die Treppe runter stolperte, ich musste hier raus. Wie in Trance schnappte ich mir meine ausgelatschten schwarzen Chucks und eine Flasche Whiskey von der Anrichte in der Küche.
Einsam. Ich fühlte mich so einsam.
Ich hörte die Haustür hinter mir zufallen und schloss die Augen, spürte den warmen Regen, der auf mein Gesicht prasselte und in feinen Rinnsalen herunterlief. Atmen.
Bis jetzt hatte ich nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde darüber nachgedacht wo ich überhaupt hinwollte, der Wunsch einfach weg zu wollen war so überwältigend gewesen, dass er jeden Zentimeter meines Verstandes eingenommen hatte, der drohte von der aufkeimenden Panik gänzlich gelähmt zu werden. Die ersten Tage lang dachte ich, ich wäre den Fluchtreflex endlich losgeworden, doch er verfolgte mich wie ein Schatten, egal wo ich hinging.Ich schraubte die Flasche auf und nahm einen tiefen Schluck, den ich auch direkt stark hustend wieder ausspucken wollte, meine Kehle brannte abscheulich, aber immerhin machte sich nun Sekunden später ein warmes Gefühl in mir breit. Orientierungslos irrte ich durch die Gegend und hatte schon bald vergessen wo ich war und wie ich wieder nach Hause kam. Die Flasche war nur noch zu zwei Dritteln gefüllt, als ich giggeln musste und mir direkt darauf die Hand vor den Mund schlug, nur um in lautes Gelächter auszubrechen. Ich musste wirklich ein komisches Bild abgegeben, klatschnass und wie eine Irre lachend mitten in der Pampa. Das erschreckende war aber eigentlich, dass es mir komplett egal war, also ging ich einfach weiter und summte leise, bis ich hinter mir ein Hupen vernahm. Beim umdrehen musste ich schützend meine freie Hand vor die Augen halten, da die grellen Scheinwerfer des Autos die Schwärze der Nacht durchschnitten und mich mit ihrem gleißenden Licht blendeten.
Der Wagen wurde langsamer und blieb schließlich direkt vor mir stehen. Dann ging der Motor aus und die Fahrertür wurde geöffnet.„Was zu Hölle machst du hier ganz allein? Weißt du eigentlich wie spät es ist?", erkundigte Eddie sich und hatte dabei trotz seines Grinsens einen nachdrücklichen Unterton in seiner Stimme. Der einzig logische Konter darauf war es natürlich, noch einen weiteren großen Schluck aus der Flasche zu nehmen und so beiläufig wie möglich: „Spazieren gehen.", zu antworten. Unbeholfen kratzte er sich am Kopf und schien angestrengt nachzudenken. „Das sehe ich."
Ich wischte mir eine nasse Strähne aus dem Gesicht und klemmte sie hinter mein Ohr. „Und du? Wo kommst du her?", wollte ich interessiert wissen.
„Ich komm von einem Auftritt, soll ich dich vielleicht nach Hause fahren?"
„Nein, bloß nicht!", kam es wie aus der Pistole geschossen von mir, was ihn nur verwirrt die Augenbrauen hochziehen ließ. „Oookayyyy?", entgegnete er langgezogen. „Hier draußen kannst du aber auch nicht bleiben, es schüttet wie aus Eimern und wir haben fast drei Uhr morgens."
„Ist meine lieblings Uhrzeit.", startete ich einen schwachen Versuch, vom Thema abzulenken. „Ja ne, schon klar.", murmelte er vor sich hin während er das Auto umrundete, die Beifahrertür öffnete und mir seinem Kopf in Richtung des Wagens nickte: „Rein mit dir. Du kriegst trockene Klamotten und einen Föhn hab ich auch."Dankbar lächelte ich und kletterte ins Innere des Wagens. Er schloss die Tür und schüttelte ungläubig den Kopf bevor er selbst einstieg und den Motor startete. Mit einer Hand deutete er aufs Handschuhfach: „Such dir was aus."
Als ich es öffnete fielen mir mehrere Kassetten entgegen. Ich musste mich wirklich konzentrieren, um die Etiketten lesen zu können, aber dann riss ich begeistert meine Augen auf.
„Ist nicht wahr, das Album ist der Hammer!"
„Du hast vielleicht drei oder vier mal davon geschwärmt.", schmunzelte er und musste sich ein Glucksen verkneifen.Nach einigen Minuten in denen ich zwanglos mitsang und Eddie sich schlapp lachte, bogen wir in eine Wohnwagen Siedlung ein. „Home Sweet Home, Baby.", gab er überschwänglich von sich und parkte den Wagen mit einer flüssigen Handbewegung neben einem Trailer.
Beim Aussteigen stellte ich mich so unfassbar bescheuert an, dass ich beinahe Nase voraus auf den Boden klatschte. Diesmal musste nicht nur ich Lachen, nach ein paar Sekunden stieg auch Eddie mit ein. Es machte die Sache auch definitiv nicht besser, dass er seinen Zeigefinger an die Lippen führte um mir zu signalisieren, dass wir eventuell etwas leiser sein sollten. Als wir endlich durch die vordere Tür den Trailer betraten, wischte ich mir gerade Tränen von meinen Wangen.„Mein Onkel arbeitet, wir haben also alles für uns.", teilte er mir mit dem Rücken zu mir stehen zu, während er seine Schlüssel auf den Küchentresen legte. Ich folgte ihm in sein Zimmer und drehte bei meinem Anblick den Deckel der Flasche, die ich immer noch in meiner Hand hielt, ab und trank einen sehr, sehr großen Schluck Whiskey.
An der Wand über seinem Bett, genau in der Mitte, hing, wie ein Wappen oder eine Trophäe, mein schwarzer Slip aus Spitze.
~*~
Hello Party People! Endlich ein neues Kapitel! Vielen Dank fürs mitfiebern @NessyRenny und @PaulaSophieHbenthal

DU LIEST GERADE
Smile if you wanna fuck | Eddie Munson
Fanfiction„If you wanna fuck, smile when you give this lighter back" Oder wie alles mit einem Feuerzeug begann. *** Vor dem Umzug nach Hawkins war Laylas Leben bestenfalls mittelmäßig beschissen, doch schon bald s...