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Song: Summer Child - Conan Gray

"Ich glaube, das möchte ich dir nicht erklären", gestehe ich nach einer halben Ewigkeit.
Ich habe gerade keine andere Wahl, als die Wahrheit zu sagen.
Seine Hand hat mich überrascht. Und mit dem ganzen Stress der letzten Woche und den Erinnerungen an unser letztes Haus und das kaputte Dach, über das sich so laut und oft gestritten wurde.

Seine Hand ist zu der Faust meines Vaters geworden.
Ich konnte es nicht aufhalten. Meine Augen haben mir einen Streich gespielt und jetzt hat Trace etwas gesehen, von dem er nie Zeuge werden sollte.
"Connor, ich..."

Er sucht meinen Blick, doch ich kann mich nicht auf seine huschenden Augen konzentrieren.
Ich sauge stickige Luft durch meinen offenen Mund in meine stechenden Lungen.
"Connor, du siehst gerade überhaupt nicht gut aus", informiert er mich, als ob ich nicht wüsste, dass ich gerade aussehe, wie ein Häufchen Elend.

Seine rechte Hand startet einen zweiten Versuch und nähert sich mir langsam auf Tiefflug.
So hat Mom es immer genannt, wenn sie Kelsey erklärt hat, wie sie mich anfassen soll. Das war früher, gleich nach der Trennung von unserm Vater.
Heute ist es bei weitem nicht mehr so schlimm wie damals, weswegen mir diese Überreaktion mehr als peinlich ist und ich mich innerlich zusammenkrümme, weil ich so wütend auf mich bin.

Wieso ist das passiert? Das hier ist Trace! Ein Junge!
"Das war gerade eine Überreaktion, entschuldige", presse ich heraus, die Augen fest geschlossen.
Mein Körper gleicht einem Brett.
"Ist ja nichts passiert."

Da ist die ruhige Stimme wieder. Der schöne Moment der Leichtigkeit ist dahin.
Ich räuspere mich und versuche, meine Stimmlage seiner anzupassen. Auch wenn ich nie eine so tiefe Stimme haben werde wie er. Ich hasse es, wenn ich vor Hysterie herumpiepe.
Seine Finger legen sich auf meinen Handrücken.

"Okay?", fragt er.
Ich nicke, schaue ihn aber nicht an. Das Ganze ist mir einfach zu peinlich.
"Ich wollte dir eigentlich nur was aus den Haaren machen", erklärt er, als würde er mit einer Vierjährigen reden. "Darf ich?"

Ich wage einen scheuen Seitenblick. Er redet mit mir wie mit einer Vierjährigen, weil ich mich gerade wie eine verhalte.
Ich nicke, schaue auf die Bettdecke unter uns.
Ein weißer Fussel segelt vor uns auf den Boden.

"Können wir das Ganze vergessen?"
Ich starre zwar auf den weißen Punkt zu unseren Füßen, aber dennoch nehme ich Traces Kopfschütteln aus dem Augenwinkel war.
"Tut mir leid, Kumpel, aber das ist wirklich nicht drin."

"Das ist unfair! Ich ziehe dich auch nicht wegen der Sache am Wochenende auf!"
Ich beiße die Zähne fest zusammen und schnaufe beinahe, so wütend bin ich plötzlich.
Wenn aufgestaute Emotionen einfach herausbrechen...
"Das war etwas völlig anderes", entgegnet Trace.

Ich drehe meinen Kopf ruckartig zur Seite und funkle ihn an.
"War es das wirklich? Ich glaube nämlich, die Situation war dir im Nachhinein ganz schön peinlich und ich bin nicht darauf herumgeritten. Wie es ein echter Freund auch nicht tun würde."
Den letzten Satz füge ich nach einer kleinen Pause hinzu, als ich mir fast sicher bin, ihn überzeugt zu haben.

"Connor, du sahst gerade so aus, als ob ich dir die Kehle rausreißen wollte. Sowas kann ich nicht unter den Tisch kehren."
Seltsamerweise bleibt nur unter den Tisch kehren, bei mir hängen.
"Du hast mir Angst gemacht. Was hast du gedacht, was ich machen würde? Dich schlagen?"

Meine Mimik fällt. Ich spüre, wie kein einziger Muskel in meinem Gesicht mehr reagiert.
Zeit, ihn reinzulassen, oder?
Nicht mal Abby weiß alles, über die Zeit mit meinem Vater. Es wird für immer Dinge geben, die ich für mich behalten werde.

Ich schlage die Augen nieder und halte die Luft an.
"Ja", flüstere ich und dann bleibt es für eine ganze Weile still.
"Wer hat dich..."
"Mein Vater."

"Oh."
Ich drehe den Kopf zu ihm.
Es gibt keine Worte, die wir jetzt sagen könnten. Ich hatte nicht vor, ihn je in dieses Geheimnis einzuweihen. Abby sollte als einzige Außenstehende der Green-Familie dieses Wissen mit ins Grab nehmen.

"Deswegen sind wir so weit weggezogen", hauche ich irgendwann und kralle mich in die Matratze neben meinen Kniekehlen.
Ich höre Trace schlucken.
"Das ist scheiße."

"Er war ein ziemlich gemeiner Mensch."
Das Wort ist kindlich und sollte nicht dazu gebraucht werden, einen Mann wie meinen Vater zu beschreiben, aber es ist das Erste, das mir in den Kopf kommt, wenn ich ihn beschreiben will. Denn die Dinge, die er uns angetan hat, waren aus den Augen eines Kindes betrachtet, schrecklich gemein.
Es waren nicht nur Schläge, die meistens unsere Mutter eingesteckt hat.

"Er hat ziemlich fiese Sachen zu uns gesagt, wenn er einen schlechten Tag hatte. Und kurz bevor sich unsere Mutter von ihm getrennt hat, gab es eine Menge solcher Tage. Aber die Trennung hat es eigentlich nur noch schlimmer gemacht. Er hat vielleicht nicht mehr bei uns gewohnt, aber er war fast jeden Tag da, unangekündigt. Plötzlich stand er da und wir wussten nicht, was als nächstes passiert."

Ich kann wieder in seine blauen Augen schauen. Sie sind erstaunlich ruhig auf mein Gesicht gerichtet. Es ist fast, als würde er gar nicht richtig aufnehmen, was ich sage, aber diese Ruhe gefällt mir, sie ist das, was ich brauche, um weiterzureden.
"Er konnte nicht akzeptieren, dass sich Mom gegen ihn erhoben hat. Kelsey war noch zu klein, um sich an die ganz schlimmen Sachen von früher zu erinnern, aber manchmal hat sie heute noch Angst, wenn  jemand an der Tür klingelt und wir niemanden erwarten."

Ich auch. Auch ich habe heute manchmal noch Angst, wenn plötzlich die verdammte Klingel geht und der dämliche Postbote davorsteht, weil unsere Bruchbude noch keine Hausnummer hat und er dachte, dass hier sei Haus Nummer 56, wenn dieses drei Häuser weiter steht.
"Wir sind dann ziemlich viel umgezogen. Zum einen, um ihn abzuschütteln - was nie funktioniert hat, weil immer irgendwer irgendwen kennt - und zum anderen, weil wir uns oft die Miete nicht mehr leisten konnten und rausgeschmissen wurden."

"Wer setzt denn eine Mutter mit zwei Kindern auf die Straße?"
Ich lache verbittert.
"Oh, du würdest dich wundern."
Selbst hier warte ich manchmal noch darauf, dass jemand anruft und fragt, wo die Miete der letzten drei Monate bleibt.

Meine Mutter war schon immer gut im Verdrängen und bis heute hat sie noch nicht gelernt, dass es manchmal besser ist, seine Probleme anzusprechen, bevor sie einem völlig über den Kopf gewachsen sind.
Ich sitze mit gekrümmtem Rücken neben Trace, einem Freund, den ich nie so nah bei mir haben wollte.

Er hat seine Hände im Schoß gefaltet, bis er die Arme ausbreitet und ich wie selbstverständlich gegen seine Brust sinke, bis meine Sicht auf sein weiß-grau gestreiftes T-Shirt fast gänzlich verschwimmt.

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Ich möchte heute Abend echt nicht mehr viel sagen außer, dass ich erst um 18.00 Uhr von einem 6  1/2 STUNDEN Familienessen wiedergekommen bin.

Ich kann echt nicht mehr.
Es war ganz... nett, aber eben wahnsinnig anstrengend, weil ich über die Hälfte der Leute noch nicht kannte (mein Onkel hat seit Jahren eine Freundin und jetzt hat man mal ihren Teil der Fam kennengelernt).

Ich gehe jetzt ins Bett. Kommentare mache ich morgen <3

All my Love,
Lisa xoxo

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