Kapitel 12 | Kein Zurück mehr

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Am nächsten Morgen werde ich vom nervigen Piepton des Handys geweckt. Ich habe überhaupt nicht gut geschlafen. Und das Geräusch bereitet mir Kopfschmerzen. Am liebsten hätte ich es einfach ausgeschaltet, mich umgedreht und weitergeschlafen. Aber da ich mir sicher bin, dass Kat überhaupt keine Freude daran haben wird, wenn ich nicht auftauche, raffe ich mich zusammen und stehe auf. Sergio scheint nicht aufgeweckt worden zu sein.

Erleichtert, auch wenn müde, strecke ich mich ausgiebig. Auf dem Weg ins Bad versuche ich meine Augen möglichst geschlossen zu halten, denn jeglichen Lichteinfall empfinde ich als äusserst unangenehm, wenn ich gerade aufgestanden bin. Ich taste mich also so weiter und lande irgendwann nach der Katzenwäsche zurück auf dem Sofa, wo ich die Decke über mich ziehe, obwohl das wahrscheinlich eine schlechte Idee war. Denn fast augenblicklich verfalle ich zurück ins Traumland, nur um kurz darauf wieder hochzuschrecken. Warum fällt mir erst jetzt auf, dass ich Sergios Nummer nicht habe?

Ich schiebe die Decke beiseite und öffne meine Augen. Arr. Unangenehm.

Jetzt muss ich aber wirklich aufstehen! Ich ziehe meinen Koffer zu mir und öffne ihn. Meine Sachen trage ich seit drei Tagen und so langsam wird es glaube ich nicht besonders hygienisch. Der ganze Inhalt des Koffers besteht aus Kleidern. Mein Laptop, die Tastatur und Maus ist zum Glück auch drin. Erleichtert atme ich auf, als ich meine Lederjacke und meinen liebsten schwarzen Hoodie vorfinde. Heute entscheide ich mich jedoch für ein schwarzes Hemd und eine Jeans in der gleichen Farbe. Mein kleiner Kleiderschrank ist farblich monoton, aber mit anderen Dingen kann ich wirklich nichts anfangen.

Schnell schreibe ich einen Zettel, damit Sergio weiss, wo ich hingegangen bin und was meine Nummer ist, bevor ich in Schal und Mantel eingepackt aus der Wohnung trete.

Um drei vor neun stosse ich die Tür zum Sunshine auf. Sofort begrüsst mich der Geruch von heisser Schokolade, Zimt und Nelken. Dieser Laden ist ja komplett in der Weihnachtsstimmung versunken. Trotzdem ist die Einrichtung hell gehalten worden. Die Holztäfelungen an der Wand blieben selbst bei dieser Dekoration weiss. Zuckerstangen aus Plastik, Lichterketten und Klausmützen schmücken die Wände, auf den Tischen stehen kleine, grünliche Topfpflanzen, die sicherlich nicht besonders viel Wasser benötigen. Ich schaue mich im kleinen Lokal um. Es sitzt nur eine junge Frau am Fensterplatz, die einen Laptop und eine Tasse Tee vor sich stehen hat. Gerade muss sie sich mit Musik zudröhnen, denn diese höre ich selbst über die Kopfhörer und einige Meter hinweg durch den Raum. Fehlen nur noch die alljährlichen Weihnachtslieder in Dauerschleife.

Eine Welle von Erinnerungen trifft mich. Mein Blick fällt auf den Tisch hinten in der Ecke. Dort sass ich mit meinen Trainingskollegen.

Eine Kellnerin scheint mich bemerkt zu haben. Mit dem Haarreif, den blonden Locken und roten Lippen sieht sie aus wie ein Engel. Ich frage mich, ob das Verkleidung oder Wirklichkeit ist.

„Guten Morgen, kann ich dir helfen?", fragt sie und lächelt.

„Gerne. Wo kann ich mich hinsetzen?"

Dem Gesichtsausdruck nach ist sie völlig überrascht. „Du hast die freie Wahl", stottert sie und lächelt wieder.

Ich nicke und steuere auf den kleinen Tisch am Schaufenster zu. Dort bin ich noch nie gesessen, aber es sieht nett aus. Vor allem, da heute, oh Wunder, die Sonne sich auch mal blicken lässt. Weiche Strahlen scheinen durch das blitzblanke Glas. Der Schein wird nochmals durch den von draussen liegenden Schnee verstärkt. Wie ein Lichtpalast leuchtet das Sunshine. Passender Name. Es ist eines der wenigen Lokale, welche einen Ausblick auf die Stadt zu bieten hat. Dafür liegt es auch etwas höher, zwar immer noch in Cirrane, dem Partyviertel, aber definitiv abgeschotteter als die meisten anderen Bars.

Am Abgrund der Zeit | Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt