FÜNFZEHN - Die zweite Seite 2

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Luan und ich sahen uns erst am Ende des Schultags wieder. Wir gingen wie üblich denselben Weg. Nur das wir ab jetzt auch dieselbe Haustür teilten - Nicht das ich was dagegen hätte.
Luan schloss auf und ich trat nach ihm hinein und folgte ihm die Treppe hinauf in sein Zimmer.

"Was ist denn jetzt eigentlichen heute morgen vorgefallen?" Versuchte Luan unser Gespräch wieder aufzunehmen, nachdem die Schulglocke es unterbrochen hatte.
Sollte ich ihm das erzählen? Ist jetzt der Zeitpunkt gekommen ihm ALLES zu erzählen?
"Ähmm.. Luan..ich muss dir was beichten..." setzte ich an.
"Ah ja? Und das wäre?" bohrte er nach und wurde hellhörig.
"Es geht um Sebastian, meinen ehemaligen Freund" fuhr ich fort. Mein Herz raste; ich war angespannt, wie ein Bogen kurz vorm Abschuss.
"Sebastian weiß, dass ich auf Jungs stehe.." antwortete ich und starrte, wie so oft, den Boden an.
"Oh, ehm aber das mit uns weiß er nicht, oder ?"
"Nein, das war schon vor uns"
"Dann ist es doch nicht so schlimm" wollte mich Luan aufmuntern.
"DOCH IST ES! DU verstehst es NICHT!" brüllte ich aus Verzweiflung, den Boden an.
"Ist doch gut man?! Reg dich mal wieder ab. Dann hilf mir halt es zu verstehen?"
"Die ganze Klasse weiß es jetzt, bald wahrscheinlich die ganze Schule. Bald werd ich wahrscheinlich auch nicht nur noch von der Klasse gemobbt werden..."

Ganz plötzlich kamen wieder Gedanken an meine Familie hoch. Ich sah das Familienportrait aus dem Badezimmer vor mir - heute mit anderen Augen als damals.
Der Gedanke, meine Familie für immer verloren zu haben, löste in mir unvorstellbare Schmerzen aus.
Es ist, als würde man ein Stück seiner Seele verlieren.

Sollte ich das gleiche, wie mein Bruder machen?... Mich von diesen Schmerzen befreien, meiner Seele nicht noch mehr Schaden zukommen lassen?

Ich spürte eine Hand auf meinem Rücken. Ich schaute auf; Luan hatte sich an mich gelehnt.
Ich tat es ihm gleich und lehnte mich ebenfalls an ihn.

'Wie soll es jetzt weiter gehen?' flüsterte ich wieder auf den Boden, doch Luan schien es trotzdem gehört zu haben.
'Egal was vor uns liegen wird, ich bleibe bei dir Max Tunner. Ich will nur dich, nichts anderes und würde dafür mit dir notfalls über Leichen gehen. Das meine ich wortwörtlich!'
Der letzte Satz ließ mich etwas erschrecken, bei ihm klang das, wie eine Drohung an alle.

'Ich danke dir Luan, dass du so viel für mich tust. Warum nimmst du eigentlich so viel für mich auf? Ich mein, ich... und du mit einem makellosen Aussehen und so netten Art. Du würdest doch jeden Menschen bekommen...'
Ich seufzte.

'Du bist perfekt für mich Max, du weißt es nur noch nicht. Wirst es aber noch früh genug erfahren' lachte Luan verschmitzt.
Was sollte das denn jetzt wieder? Ich wäre perfekt für ihn?

'Jungs kommt ihr bitte runter, das Abendessen ist schon lange fertig. Nochmal rufe ich euch nicht.' rief eine deutlich genervte Stimme zu uns hoch.
Wir hatten gar nicht mitbekommen, wie Luan's Mutter uns schon mehrmals gebeten hat, zu Tisch zu kommen.
Luan und ich schauten uns noch einmal innig an, bevor wir uns ihrem Befehl beugten und uns auf den Weg machten.
Es roch fantastisch. Also seine Mutter konnte wirklich gut kochen, im Gegensatz zu meiner.
Gedanken an meine Familie: Warum ich? Diese Frage stellte ich mir so oft, ohne jeglichen Erfolg auf Antwort.
Warum mussten meine Eltern sterben... ich gemobbt werden... warum wollte Luan mich als Freund?
Der Lauf des Lebens? Schicksal?
'Du isst ja gar nicht' sagte Luan.
'Oh, doch jetzt, ich musste gerade über etwas nachdenken' versuchte ich mein Verhalten zu entschuldigen.
'Das Essen ist überings klasse Frau Biet.'
'Max, wie oft soll ich dir das denn noch sagen, nenn mich doch bitte einfach Nadine'
'Ah ja, natürlich, Nadine'
'Wo ist eigentlich dein Vater Luan?' fragte ich, als ich bemerkte, dass er nicht am Tisch saß - oder ich ihn generell noch nie kennen gelernt habe.
Luan verschluckte sich. Nadine saß angespannt da und starrte mich an.
Beide schienen nicht zu wissen, was sie mir sagen sollten.

Ich fühlte mich in dieser Situation sehr unwohl. Sie waren wohl nicht so gut auf ihn zu sprechen.
Luan benahm sich komisch.
'Ich gehe dann schonmal hoch Mum, du kannst es ihm ja auch alleine sagen'
'Was ist denn Luan?' fragte ich ihn.
Er sah mich an, ohne Ausdruck. Er sagte kein Wort, stand auf und ging in sein Zimmer.
Alles höchst merkwürdig hier

'Da du ja auch irgendwie ein Teil der Familie bist und noch werden wirst, hoffe ich, solltest du es auch wissen. Vor ein paar Jahren gab es einen Vorfall' setzte sie an und Tränen übergossen ihre Wangen. Sie war wütend.
'Er..er hat vor ein paar Jahren zwei Jungs im Alter von 13 und 14 Jahren vergewaltigt. Nicht nur das.. er tat es mit Einflüssen des Sadomasochismos. Die Jungen wurden auf brutalste Weise misshandelt. Seine Tat war einfach nur schrecklich' sie war völlig hilflos und gleichzeitig Hass erfüllt.
'Er sitzt jetzt schon seit 4 Jahren im Knast, deswegen entschuldige ich mir jetzt schonmal, dass Luan und ich, doch im Glauben gelassen haben, dass es Marcel noch gäbe. Aber für uns ist er gestorben. Ich habe mich sofort nach diesem Vorfall von ihm Scheiden lassen. Wir hielten es in unserem alten Ort nicht mehr aus. Wir haben es ja versucht. Nur die Nachbarn behandelten uns, wie verbrechet und ich konnte nichts mehr von ihm, in unserem alten Leben sehen. Nur seinen Namen 'Biet' trage ich noch im Namen.'

Die beiden taten mir so Leid. Luan hatte selber, eine so schreckliche Vergangenheit und ich belaste ihn mit meinen Problemen noch zusätzlich. Seine Mutter und er konnten, nachdem was sie erlebt hatten, mich unmöglich alleine lassen. Und ich nutze das noch aus. Ich fühlte mich schlecht, einfach nur schlecht.

'Das ist auch der wahre Grund, warum wir umgezogen sind, mein lieber Luan und ich wollten ein neues Leben starten. Aus der Vergangenheit fliehen und sie all für allemal zurücklassen.' führte sie fort.

Ich sah in ihr Gesicht und fühlte mich schuldig. Wie kann ein Mensch nur so dumm sein, wie ich.
Ich stand auf und rannte aus dem Haus, ich wollte weg. Bräuchte frische Luft.
Ich hörte noch, wie sie mir hinterher rief, doch ignorierte ich das.

Ich lief meinen üblichen Weg zum Park. Es dämmerte schon.
Im Park angekommen stand ich nun auf der Brücke über dem Kanal, der sich durch die Stadt schlängelte.
Der Sonnenuntergang ließ das Wasser in einem warmen Orange-Rot schimmern.

Doch wie kalt ist das Wasser wohl wirklich?...

Eine neue Seite [BoyxBoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt