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„Darf ich Sie etwas fragen?“

Huang Lis‘ Blick richtete sich aus dem Augenwinkel auf den Jäger, der ihm bis eben stumm an seiner Seite durch das Anwesen gefolgt war. „Ja.“

„Also - ich meine, meine Art versucht alles, was sie über euch herausfindet, niederzuschreiben. Aber das ist nicht allzu ausführlich. - Habt ihr wirklich Hörner und Flügel? Nicht mit Federn, sondern-.“

„- einer Flughaut-“, Lis‘ Mundwinkel zuckte. Unterdessen sein Blick wieder nach vorne flog und er begann, die Treppe hinunterzusteigen.

Derya gab einen Laut von sich, welcher seine Faszination offenbarte. Passend zu seinen leuchtend großen Augen. „Es stimmt also?!“

„Ja. Es ist kein Geheimnis. Wir verbergen lediglich unsere äußerlichen, dämonischen Merkmale, um nicht aufzufallen.“

„Ich habe noch nie welche gesehen.“ Deryas Ausführung klang nicht direkt an den Dämon gerichtet. Anders als die nächste Frage, bei welcher der Jäger seinen Blick ein weiteres Mal in Richtung des Chinesen richtete. „Wie sehen sie sonst noch aus? Haben alle Dämonen dieselben?“

Die Augenbraue des Dämons hob sich, derweil er den Blick des Jägers mit einem Ausdruck erwiderte, der regelrecht ‚dein Ernst?!‘ schrie. Woraufhin Derya ohne, dass der Ältere auch nur ein Wort geäußert hatte, abwehrend die Hände hob. „Hey, ... ich bin einfach nur neugierig. Was soll ich mit diesen Infos schon groß anfangen?!“

Einen Moment lang herrschte Ruhe. Dann antwortete Li recht gelassen, was Derya dazu veranlasste, sein Gesicht mit einem offenkundig überraschten Ausdruck erneut dem des Dämons zuzuwenden. Darauf bedacht, nicht doch noch eine der Treppenstufen zu verfehlen. Zum Glück hatten sie fast das Ende eben jener erreicht.
„Nein, wir sehen nicht alle gleich aus. Schließlich gibt es verschiedene Arten von Dämonen. Meist unterscheiden sich die Länge, Form und Größe der Hörner und Flügel. Welche, zumindest bei den Älteren unter uns, in der Regel die Farbe der Rasse widerspiegeln, zu der sie gehören. Je reiner das Dämonenblut, desto deutlicher die Farbe. Ansonsten sind sie dunkelbraun bis schwarz.“

„Wie ist das so in der Hölle? Du kommst doch von dort, oder? Wie alt bist du eigentlich? Und was meinst du mit Arten?“

Ein leises, erheitertes Lachen kam aus Lis‘ Mund, währenddessen er zur gleichen Zeit auf einen der leeren Stühle an dem längst gedeckten Tisch deutete.

Die ehrliche Neugierde war deutlich aus Deryas Stimme herauszuhören. Unterdessen er sich mit großen, glitzernden Augen setzte, ohne seinen Blick dabei von dem Dämon abzuwenden, der sich ihm gegenüber niederließ. Die zu einem Schmunzeln geformten Lippen deutlich sichtbar. „Du weißt, dass ich dir nicht die Möglichkeit gebe, diese Informationen an die Jäger weiterzugeben?!“

Eine gelassen geäußerte Aussage, die Derya mit einem Schnauben kommentierte. Auf welches er, einige Sekunden später hin, tief ein und wieder ausatmete. Seinen Blick demonstrativ über die reiche Auswahl schweifen ließ, bevor er dem Dämon daraufhin abermals tief in die Augen sah.

„Ihr denkt alle, es ist eine Falle, nicht wahr?!“ Deryas Gesicht verzog sich zu einer missgelaunten Grimasse. „Glaub mir, meine Vorgesetzten hätten den GEN1 niemals gehen lassen!“

Eine bedrückende Stille breitete sich aus, welche Li wenig später beendete. Nachdem er seine Beine überschlagen und sich eine Tasse des dampfenden Tees eingeschenkt hatte.

„Die Hölle ist nicht so, wie Dante Alighieri sie beschreibt.“

Li führte die filigrane Teetasse an seine Lippen. Trank einen kleinen Schluck seines Pu-Erh-Tees und schnappte sich mit der anderen Hand, in welcher er die Essstäbchen hielt, eine der gedämpften Brötchen. Die es hier mit gefühlt hunderten verschiedenen Füllungen gab, und biss ein Stück ab. Bevor er erneut zu Derya sah, der diesen überrascht erwiderte und ihn anstarrte. Was ihm wiederum vorkam wie ein Déjà-vu, nur dass er dieses Mal nicht Cassiel gegenübersaß.

„Es sind zwar neun Bereiche der Qual. Jedoch befinden sie sich nicht als neun Kreise oder Ebenen untereinander, in Form eines Trichters. Wie der Dichter es beschreibt. Sondern auf einer einzigen Fläche. Ähnlich der Erde“, der Dämon stieß einen seufzenden Laut aus, ganz in Gedanken.
„Gehenna wurde einst von vier Königen regiert. Satan, Luzifer, Leviathan und Belial. Welche je ein Königreich in den vier Himmelsrichtungen besaßen und mit der Zeit dazu beitrugen, dass vier Arten von Dämonen entstanden. Wobei Satan der oberste Herrscher war, mit welchem alles begann. Jeder von ihnen schuf sich im Laufe seine eigenen Untertanen. Die anderen Dämonenarten, wie zum Beispiel Succubus, Incubus oder Dämonen mit tierischen Zügen, kamen erst später.
Satan im Süden war der Herrscher der Feuerdämonen. Luzifer im Osten der Herr der Luftdämonen. Die Wasserdämonen im Westen gehörten zu Leviathans Armee und die Erddämonen im Norden zu Belial.
Sie waren die Ersten. Der Beginn unserer Art, wenn du so möchtest.

Bis sich Satan, der Herrscher aller in Gehenna, zurückzog und seinen Thron an Luzifer abgab. Welchen dieser seit jenem Tag für sich beansprucht.

Unter seiner Führung entstanden sechs Fürstentümer, neben Luzifers Königreich, welche seit jeher die neun Bereiche der Qual kontrollieren.
Von denen Leviathan, bis zum heutigen Tag der Einzige ist, der neben Luzifer selbst, immer noch auf seinem Thron sitzt. Belial indessen hat seinem Nachfolger Amaimon Platz gemacht und sich zur Ruhe gesetzt. Wobei zwei der Fürstentümer nach dem letzten Krieg an Astaroth und Baimon fielen. Die anderen beiden Fürsten sind Asmodai und Behemoth.“
„Und du, ... was ist mit dir?! - Und was meinst du mit Gehenna? Das heißt also, dass diese - sechs Fürsten der Hölle - diese neun Bereiche der Qual, wie du sie nennst, kontrollieren. So wie Dante sie in seinen unterschiedlichen Ebenen beschrieben hat, oder? Habe ich das richtig verstanden?“
Derya schob sich abwesend ein Stück seines Ölpfannkuchens in den Mund und fischte nach seinem Getränk, derweil Li sichtbar amüsiert lachte.

„Aktuell sind es sieben Fürstentümer und acht Fürsten. Obwohl Luzifer als Nachfolger Satans der Oberste der Höllenfürsten ist. Belial selbst hat sich zudem in Luzifers derzeitigem Reich niedergelassen.
Und was mich betrifft-. Ich bin zum Teil Feuer- und zum Teil ein Luftdämon mit einem extrem hohen Magielevel. Womit ich einen der höchsten Ränge besitze. Was mich zu einem Anwärter auf den Thron eines der Fürstentümer macht. Beziehungsweise verfüge ich über die gleiche Stärke wie einer der derzeitigen fünf Fürsten und wäre ihnen in einem Kampf ebenbürtig, sollte ich es darauf anlegen. Zudem bin ich einer von Luzifers Oberbefehlshabern und mehr als neunhundert Jahre alt.

Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass ihr zwar über uns Buch führt, aber nicht einmal wisst, dass die Hölle, wie ihr sie nennt, nicht in Wirklichkeit so heißt.
Hölle, Abyssus - die Unterwelt. Die Menschen haben unserer Welt in all den Jahrhunderten viele Namen gegeben. Doch wir nennen ihn Gehenna. Lediglich der neunte Bereich der Qual wird selbst unter uns Dämonen Inferno genannt.“

„Oha-“, Derya schluckte und starrte sein Gegenüber noch einen Moment lang mit großen Augen an. Kitai hatte also nicht übertrieben. Bis sie sich verengten, den leichten Seitenhieb gekonnt ignorierend. „Und was machst du dann hier, auf der Erde? - Wenn du so mächtig bist?“

Eine Frage, welche den Dämon erneut zum Lächeln brachte. „Zum einen hat Zeit in Gehenna keine große Bedeutung. Wir sterben nicht oder altern, wie die Menschen es tun. Zum anderen herrscht in meiner Heimat derzeit Frieden unter den Fürstentümern. Weshalb ich dort im Moment nicht gebraucht werde, um eine Armee anzuführen. Was nicht bedeutet, dass dies nicht von heute auf morgen der Fall sein kann. Wenn das passiert, wird mein König mich holen. Und auf einem Thron zu sitzen, habe ich nie angestrebt.“

„Was meinst du mit, wenn er dich braucht, wird er dich holen?“ Die Augenbraue des Jägers schnellte nach oben, worauf der Dämon mit einem erneuten gedämpften Lachen reagierte.

„Nur weil Gott den Himmel nicht verlässt, heißt das nicht, dass der König der Hölle das ebenfalls nicht tut.“

Li setzte den Rand seiner Teetasse an seine zu einem Schmunzeln verzogenen Lippen und schielte über diesen hinweg zu Derya, dem soeben seine Gesichtszüge entgleisten. „- wer weiß, vielleicht lernst du Luzifer sogar kennen. Es kommt nicht selten vor, dass er für eine neue Runde Poker in meinem Wohnzimmer auftaucht.“

Two Lives- Seelenbund-Trilogie Band 3 (BoyxMan) [Leseprobe] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt