Gilraens Geschichte

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ELROND POV
"Ada, ich will endlich wissen wo meine Mutter ist!" Er nannte mich immer noch Ada, obwohl er längst wusste, dass ich nicht sein Vater war. Ich seufzte, ich hatte immer gewusst, dass er diese Frage irgendwann stellen würde: "Ach Estel, weißt du, manchmal ist es besser, wenn man weniger weiß als zuviel." "Elrond, ich bin jetzt zehn Jahre alt. Ich bin alt genug! Du kannst es mir sagen." Ich blickte ihm lange und tief in die Augen, doch er senkte seinen Blick nicht, schließlich nickte ich: "Na gut! Auch wenn ich es nicht gerne tu."

"Die Wölfe kommen." Ein großer muskulöser, braunhaariger Mann mit breiten Schultern und einem Dreitagebart drehte sich um, zu einer hübschen Frau mit einem Kind auf dem Arm. "Gilraen, du musst euch in Sicherheit bringen. Geh, und nimm die anderen Frauen und Kinder mit." "Nein Arathorn, ich kann dich hier nicht allein lassen!" "Ich bin nicht allein, die anderen Männer sind gute Kämpfer, wir schaffen das schon. Aber ihr müsst euch in Sicherheit bringen. Du weißt wie viel von ihm abhängt", bei diesen Worten schaute er den Jungen in ihren Armen an:" Er muss überleben! Für die Menschheit." Hinter ihnen hörten sie seltsame Geräusche und Schreie. Menschenschreie! Arathorn zuckte zusammen, dann beugte er sich zu Gilraen hinab und und küsste sie. Danach blickte er ihr tief in die ängstlichen Augen und versprach flüsternd:" Das war nicht unser letzter Kuss."
In diesem Moment fing das Kind an zu schreien. Hinter Arathorn war ein großer, weißer Wolf aufgetaucht, der bedrohlich knurrte. Arathorn zog sein Schwert: "Geht!", rief er über die Schulter und das Kind brüllte noch lauter. "Flieht!" Da sprang der Wolf vor und Gilraen rannte los, eine Hand schützend über die Augen des Jungen gelegt. Hinter sich hörte sie ihren Mann laut rufen: "Männer zu mir. Sammelt euch! Sammelt euch!", dann verschloss sie ihre Ohren für die grausamen Geräusche hinter sich und trieb die anderen Frauen zur Eile an. Sie rannten bis sie zu einer kleinen Höhle kamen. Da hielt Gilraen eine der Frauen, die in die Höhle liefen zurück und drückte ihr das Kind in die Arme. Kurz sah die Frau sie erstaunt an, doch es bedurften keiner Worte zwischen ihnen. Die Augen der Frau weiteten sich entsetzt, als sie begriff was Gilraen vorhatte. Sie versuchte noch Gilraen aufzuhalten, doch diese rannte schon zurück. Zurück zu ihrem Mann, zurück zur Schlacht, zurück zu Tod!

Als sie am Schlachtfeld ankam war der Kampf schon vorbei. Nur wenige Männer liefen herum und kümmerten sich um die verletzten, die in großer Zahl am Boden lagen, von den Wölfen war keine Spur mehr zu sehen. Gilraen ließ ihren Blick schweifen und erblickt plötzlich eine bizar verkrümte Gestalt. Arathorn! Panisch rannte sie auf ihren Geliebten zu. Er hatte die Augen vor Schmerz geschlossen, doch als seine Frau sich neben ihn kniete öffnete er sie angestrengt. "Gilraen", flüsterte er kaum verständlich und ein schmerzverzehrtes Lächeln schlich sich auf sein blutverschmiertes Gesicht: "Gilraen!" "Arathorn, nein", mehr brachte sie vor Angst und Kummer nicht heraus. "Gilraen, geh nach Bruchtal. Bring ihn zu Elrond, nur dort ist er sicher", das Reden schien ihn anzustrengen. "Arathorn!" "Gilraen, ich liebe dich!" Dann schlossen sich seine Augen zum letzten mal.

Ich sah die Geschichte vor meinem geistigen Auge ablaufen, als wäre ich selbst dabeigewesen, doch kannte ich sie nur aus Gilraens Erzählungen. Ich erinnerte mich daran, als wär es gestern gewesen, wie Gilraen mit zerissenen Kleidern und einem weinendem Sohn hier, in Bruchtal eingetroffen war. Ich erinnerte mich daran, wie sie mir noch am selben Tag ihre Geschichte erzählt hatte: "Er trägt all unsere Hoffnung", hatte sie mit einem liebevollen Blick auf ihr Kind geendet: "Er ist noch so klein, man kann sich gar nicht vorstellen, dass aus ihm mal ein großer Krieger wird, aber das wird er! Noch weiß er nichts von der Last die er einmal tragen muss, von der Bürde die ihm auferlegt ist. Und Herr Elrond, ich möchte, dass dies auch noch so bleibt, ich möchte, dass er eine glückliche Kindheit hat. Bitte sagt ihm nichts von seiner Bestimmung und von seinem Vater, und bitte sagt ihm nichts von seinem wahren Namen, bitte Herr Elrond." Ich hatte zugestimmt: "Noch werde ich ihm nichts sagen, aber irgendwann wird er es erfahren, ob von mir oder jemand anderem, er wird es herausfinden. Das ist gewiss. Dennoch, die Kindheit die ihr euch für ihn wünscht soll er haben, er, der unsere letzte Hoffnung trägt. Von heute an soll er in Bruchtal unter dem Namen Estel wie mein eigener Sohn aufwachsen und vor seinem 20. Geburtstag werde ich ihm nichts von seinem Schicksal verraten, das verspreche ich euch, Frau Gilraen."
Von da an hatte ich viel Zeit mit dem kleinen Estel und seiner Mutter verbracht. Diese Zeit hatte mich verändert und geprägt.
Doch eines Tages zog Gilraen los, sie wollte Arathorns Grab aufsuchen. Sie kam nie zurück! 4 Nächte später überbrachte mir Glorfindel die Nachricht, das man ihre Leiche gefunden hätte. Sie war von weißen Wölfen getötet worden, bevor sie Arathorns Grab erreicht hatte. Seitdem hatte mich Estel oft gefragt, was mit seiner Mutter geschehen war, ich hatte es ihm nie gesagt!

"Ada?", riss Estels Stimme mich aus meinen Gedanken. Er war misstrauisch geworden, ich hatte zu lange in meinen Erinnerungen geschwelgt. Und ich wusste, es war an der Zeit ihm die Wahrheit über den Verbleib seiner Mutter zu erzählen.
Estel wurde immer stiller während ich erzählte. Doch auch diesmal erwähnte ich nicht alles. Und da ich auch nicht von seinem Vater sprach war es nicht verwunderlich, dass er fragte: "Was ist mit meinem Vater?" Ich schaute ihn nicht an, als ich antwortete: "Mehr kann ich dir nicht sagen. Wenn du älter bist wirst du es verstehen."

77 jears through Middleearth (ABGEBROCHEN)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt