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Programmierer (Mama)

Vielleicht bin ich nicht das, was du dir vorgestellt hast. Ich bin nicht das, was du dir gewünscht hast. Doch du versuchst mich zu dem zu machen. Dein Ideal. Deine eigene Vision von Perfektionismus, die du versuchst in mir zu sehen. Gewaltsam verdrehst du meine Gliedmaßen, passt sie an, zerdrückst meinen Verstand, bis dort kein Platz mehr für meine Gedanken ist. Leere. Taub. Ich fühle nichts, außer du gibst mir ein Gefühl. Ich klammere mich an diese Emotionen um nicht im Nichts zu ertrinken, zu verschmelzen, selber zum Nichts zu werden. Ich probiere andere Dinge. Trinke, rauche, schneide mein eigenes Fleisch, streite mich mit anderen, esse nichts, esse zu viel, verändere mein Äußeres, lasse mich von anderen verletzen und zerstöre alles was ich liebe. Nichts. Panisch versuche ich mich zu spüren, doch das einzige was ich spüre, ist die Erkenntnis dass nur du etwas in mir auslöst. Du hast mich schließlich dazu programmiert. Tasten gedrückt, nächtelang auf die Tastatur geschlagen, auf sie eingeprügelt bis jeder Befehl eingetippt war. Bis ich deine Version von Perfekt war. Willenlos. Stolz streichst du mir über den Kopf und ich weine. Ich brauche deine Anerkennung, deine Liebe, weil mich sonst niemand liebe kann, das hast du mir gesagt und nur dir und deinen Worten kann ich vertrauen.

Mama. Du kannst alles mit mir machen. Schließlich bist du meine Mutter, ich bin dein Fleisch und Blut, deine kleine Maschine. Deins. Deins. Dein. Dein Eigentum. Du kannst mit mir tun und lassen was du willst – und ich bin dir dankbar, lechze nach der Anerkennung meiner Mutter, meines Schöpfers, Meisters, Programmierer. Denn was weiß ich schon. Ich bin doch nur ein Produkt deines Perfektionismus.

Doch ich bin nicht perfekt. ich habe Programmierungsfehler und du bist sauer. Sauer auf dich weil du was übersehen hast und sauer auf mich, doch was kann ich dafür? Mama, du bestehst aus Angst, Wut und Schmerz. und ich bin eine kleine Version deines inneren Wahnsinns. Ich bin all das was du an dir hasst. ich bin der Gedanke den du gerne aus deinem Kopf schlagen würdest; also schlägst du mich. Immer fester, bis blut sich wie Erleichterung breitmacht. Ich hatte nie die Chance von dir geliebt zu werden, denn ich bin ein Teil von dir, und du hasst dich selbst mehr als ich es jemals könnte.

Plötzlich fühlt sich jeder Schlag nicht mehr gerecht an, jede Beleidigung und jeder Befehl nicht mehr selbstverständlich. Ich weine. Hör auf. Hör auf! Lass mich los! Ich schrei dir entgegen und sehe wie du überrascht zurückblickst. Damit hast du nicht gerechnet, ich muss grinsen, auch wenn ich vor Angst zittere. Du zitterst auch, vor Wut und von all den Substanzen die du dir täglich in deinen Körper pumpst. Denn du fühlst dich genauso leer wie ich. Die Drogen geben dir das, was du sonst nirgends fndest, auch wenn nur für einen Moment. Dich liebt niemand, du bist allein, du bist nichts. Du bist schon verloren im Nichts, vor dem ich mich noch zu retten versuche. Nichts an dir ist vollkommen oder perfekt und dafür hasst du dich, jeden Teil deiner selbst.

Doch Mama, wieso hast du nie versuchst deine Leere mit mir zu füllen? Mit meiner Liebe. Oh wie ich dich geliebt habe bevor du jede Regung aus meinem System gelöscht hast. Jetzt ist es zu spät, mein Betriebssystem zu alt für ein weiteres Update.
Ich hasse dich. Ich hasse dich. Hass. Ein Gefühl. Ich spüre etwas. Der Hass verfolgt mich, auch als ich schon längst von dir weg bin. Er ist Nachts in meinen Träumen, in meinen Tränen, in meiner Angst vor Streit oder Schreien, in dem Versuch für jeden genug zu sein und nicht zu wissen wer ich bin.
Ich versuche ihn zu verdängen, dir diese letzte Macht über mich zu nehmen. Ich will mir gehören. Nach all den Jahren will ich mein eigener Programmierer sein. Doch ich weiß nicht wie. Von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr wird es leichter ihn zu verdrängen, doch selbst jetzt, nach so vielen Jahren, muss ich noch über dich schreiben, weil mich der Hass von innen zerreißt und seinen Weg nach Außen sucht. Er ist zu stark für einen inneren Kampf. Du hast noch immer so viel Macht über mich und dafür hasse ich dich, hasse ich mich, hasse es, dass ich dich eigentlich gar nicht hasse, sondern nur den Gedanken dass du mich niemals lieben kannst

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 03, 2023 ⏰

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