4. Die perfekte Gelegenheit, mir ein wunderbares, neues Hobby zuzulegen

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Das Vibrieren meines Handys reißt mich aus einem wilden Traum, in dem ich mit einem Taxi durch die Prärie fahre und verzweifelt nach einer Adresse suche, die irgendwas mit ‚Milchstraße' heißt.

Ich schrecke hoch, greife nach dem Gerät und kneife meine Augen gegen die Helligkeit, die mir Eves Bild entgegenwirft, zusammen. Das Foto von ihr vor dem karibisch blauen Himmel und dem noch weißeren Strand habe ich vor fünf Jahren auf unserer Hochzeitsreise von ihr gemacht.

„Ja?", krächze ich, als ich den Anruf entgegennehme. Wenn ich das richtig erkennen konnte, ist es gerade einmal kurz nach sechs Uhr.

„Adam, bist du okay?", kreischt ihre vertraute Stimme mir ins Ohr.

Okay, das Kreischen wird nie vertraut sein.

„Noch etwas müde, aber ich hab besser geschlafen als erwartet. Du weißt, dass wir zwei Stunden Zeitdifferenz haben und ich erst nächste Woche anfange zu arbeiten?" Müde reibe ich mit dem Handballen über mein Auge.

„Adam, wo bist du?" Das Kreischen hat nachgelassen, jetzt klingt sie verwirrt.

Ich blinzle und blicke mich in meiner spartanischen Behausung um. „In meinem Motelzimmer. Da, wo ich mich gestern Abend hingelegt habe."

„Adam, das Motel, das du gebucht hast, ist abgebrannt!", ruft sie mir ins Ohr. „Ich habe es gerade in den Nachrichten gesehen und es gibt mehrere Verletzte!"

Augenblicklich setze ich mich kerzengerade im Bett auf. „Fuck, echt jetzt?"

„Wo zur Hölle bist du, Adam? Ich war außer mir vor Sorge!"

Ich lache trocken auf und stütze meinen Ellbogen auf meinem angewinkelten Knie ab. „Ich ... ich bin gestern versehentlich in einem anderen Motel gelandet und hab mir einfach hier ein Zimmer genommen."

Sie stöhnt genervt in den Hörer und vor meinem inneren Auge sehe ich sie mit ihren hellbraunen Augen rollen, wie immer, wenn sie weiß, dass sie einfach alles hätte selbst machen sollen. „Ich frage besser nicht, wie man es schafft, mitten im Nirgendwo, wo es wahrscheinlich sowieso nur zwei Motels gibt, ausgerechnet im Falschen zu landen."

Obwohl sie mich nicht sehen kann, hebe ich abwehrend die Hände. „Es war wirklich nicht meine Schuld!"

„Natürlich nicht, Adam." Wie so oft glaubt sie mir kein Wort.

Ich fische nach der Fernbedienung und schalte den Fernseher an, der sofort einen lokalen Nachrichtensender abbildet. Auf den Bildern erkenne ich Rauchschwaden und mehrere Feuerwehrfahrzeuge, die ein Motelgebäude löschen, welches dem, in dem ich derzeit übernachte, ganz ähnlich sieht. Oder das, was davon übrig ist.

„Ich bin auf jeden Fall froh, dass du okay bist, Adam", sagt Eve nun etwas besänftigt.

„Ich auch", gebe ich gedankenverloren zurück. Die Bilder nehmen mich vollkommen gefangen, denn jetzt erklärt sich mir auch, warum ich dort gestern Abend niemanden mehr erreicht habe.

Wenn ich mir vorstelle, dass ich jetzt einer der Menschen sein könnte, die dort hustend von Rettungskräften betreut zu Krankenwagen gebracht werden, wird mir ganz flau im Magen.

„Ist es denn schön?"

Ich zucke zusammen und schalte den Fernseher wieder aus.

Besser nicht allzu lange mit Dingen aufhalten, die vielleicht hätten gewesen sein können.

„J-Ja", gebe ich zurück. „Es war zwar schon dunkel, als ich hier ankam und ich glaube, hier ist wirklich so gut wie nichts, aber ... ich hab die Milchstraße gesehen, Eve!"

„Die Milchstraße", wiederholt sie ungläubig. „Bist du sicher?"

„Ja!", rufe ich begeistert und klettere aus dem Bett. Ich ziehe den vergilbten Vorhang zur Seite und stelle fest, dass noch ein paar vereinzelte Sterne am Himmel zu sehen sind, doch es bereits beginnt zu dämmern. „Hast du schon mal die Milchstraße in Seattle gesehen?"

„Du weißt, dass es in Seattle fast immer bedeckt ist", entgegnet sie seufzend. „Sicher, dass du okay bist? Vielleicht ziehst du doch besser in ein Hotel, bis du eine Wohnung gefunden hast, Adam?"

Ich rolle mit den Augen. „Als ob dieses Motel dann heute Nacht abbrennen wird. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, Eve?"

„Sie ist nicht null."

Ich lache und schüttle den Kopf, obwohl sie mich nicht sehen kann. „Ich glaube, ich werde jetzt eine Runde joggen gehen und du solltest arbeiten."

Ich höre, wie sie nach Luft schnappt. „Joggen? Adam, du gehst nicht joggen."

„Bis bald, Eve", rufe ich kichernd und beende das Telefonat.

Mit in die Hüften gestützten Armen schaue ich nach draußen auf die Prärie, über der der Himmel allmählich von tiefem Schwarz zu einem dunklen Blau wechselt und seufze lächelnd.

Leider hat Eve recht. Ich jogge nicht. Aber ist jetzt nicht die perfekte Gelegenheit, mir ein wunderbares, neues Hobby zuzulegen?

Es gibt nur ein Problem: Ich habe keine passenden Schuhe.

•••

Zwanzig Minuten später spaziere ich im einzigen Outfit, über das ich verfüge und das einen halbwegs sportlichen Eindruck macht, durch den Staub der Prärie hinter dem Motel.

Es ist noch zu früh, mich auf die Suche nach einem Einkaufszentrum zu machen und so musste ich mit dem klarkommen, was mir mein Koffer zur Verfügung gestellt hat. Meine Jogginghose, die diesen Namen übrigens aus rein nostalgischen Gründen trägt und bisher so viel mit Jogging zu tun hatte wie ein Kamel mit einer Eisscholle, und ein T-Shirt mit dem Logo der High School, an der Eve und ich unseren Abschluss gemacht haben, das normalerweise nur beim Schlafen zum Einsatz kommt, werden wohl dafür sorgen, dass ich meinen Spaziergang halbwegs gut überstehe.

Ich habe auch irgendwann mal gelesen, dass man sowieso nicht gleich so schnell loslaufen sollte und da das letzte Mal, dass ich gerannt bin, ungefähr zu der Zeit stattfand als ich noch stolz war, dieses T-Shirt auch in der Öffentlichkeit zu tragen, gilt das hier jetzt wohl als meine erste Trainingsession.

Während ich durch den Staub spaziere, kann ich mich an der Weite und Leere der Landschaft kaum sattsehen. Am Horizont wandelt der Himmel sich in ein zartes Rosa und als die Sonne wenig später aufgeht, stehe ich einfach nur staunend da und grinse von einem Ohr zum anderen.

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