Prolog

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Nebel und Kälte umfingen die junge Frau, als sie die kalten Marmorstufen hinaufstieg. Die zerstörten Fenster boten nur wenig Schutz vor dem pfeifenden Wind, der unaufhörlich von draußen hereinwehte und gegen den der schwarze Mantel der Frau auch wenig half.

Die Frau hielt den Kopf gesenkt, ihr Gesicht wurde durch eine Kapuze verdeckt. Nur vereinzelt hingen einige wirre, braune Haarsträhnen heraus.

In ihren Armen trug sie ein kleines, unscheinbares Bündel, welches sie fest an sich drückte. Hastig lief sie durch den menschenleeren Flur, blickte hin und wieder über ihre Schulter, als würde sie sich nach einem Verfolger umschauen.

Für einen kurzen Moment strömte Licht heraus und erhellte den langen, dunklen Flur, als die Frau eine schwere, mit Schnörkeln verzierte Holztür aufstieß. Dahinter lag eine riesige Halle.

An drei Seiten befanden sich imposante Fenster, die den Blick auf ein weitläufiges Tal freigaben. Die hohe Decke wurde vom selben Muster wie die an der Tür geziert und ein großer Kronleuchter erhellte den Raum. Es war einer der wenigen Räume, die noch nicht zerstört wurden.

Zielstrebig ging die Frau weiter, auf einen großen, goldenen Spiegel in der Raummitte zu, wovon eine besondere Kraft auszugehen schien. Fast fühlte es sich an, als würde die besondere Aura die Luft um den Spiegel schwingen lassen.

Sanft legte die junge Frau das kleine Bündel auf den Altar vor dem Spiegel. Sie atmete tief durch, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schloss die Augen, als riefe sie sich etwas wieder in den Sinn. Vorsichtig strich sie mit ihrer Hand über die goldenen Verschnörkelungen am Rahmen des Spiegels.

Mit einem Mal begann dieser zu strahlen, das Licht wurde immer heller, bis fast der gesamte Raum von dem grellweißen Licht durchflutet wurde und der Spiegel samt Altar nicht mehr zu sehen war. So schnell wie das Licht gekommen war, verschwand es auch wieder und der Altar lag wieder leer da.

Erneut atmete die Frau tief durch und ein trauriger Ausdruck legte sich über ihr Gesicht. Langsam drehte sie sich vom Spiegel weg ging zu einem der Fenster. Wehmütig blickte sie hinaus in das Tal, das vom weichen Licht der aufgehenden Sonne erhellt wurde. Ein Schwarm Vögel zog über den Himmel.

Auch wenn das Tal gerade so friedlich unter ihr lag, erinnerte es sie an vieles, welches in letzter Zeit viel passiert ist. Vieles, wovon sich das gesamte Land wünschte, es wäre nie geschehen. Zu viel hat sich geändert und so viel Unwiederbringliches hatten sie verloren. Zu viel aus der Vergangenheit hatte sich wiederholt, was nie hätte passieren dürfen.

Seufzend drehte sie sich um. Langsam lief sie zurück zur Tür, ohne dabei noch einmal zurück zum Altar zu blicken. Hoffentlich, dachte sie, wurde ihr auf der anderen Seite das Leben gegeben, welches sie verdient hatte. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie inständig hoffte, dass sie eines Tages, unter welchen Umständen auch immer, einen Weg zurückfinden könnte.

Eines Tages...

Und zum unzähligsten Mal fragte sich die Frau: Wann wird dies je ein Ende haben?

Halle der TräumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt