Lillianne Delcourt 2. (Paulo)

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Eine Stufe nach der anderen liefen wir runter in die Praxis. Ich geleitete Lilly in eins meiner Behandlungszimmer und dirigierte sie vorsichtig auf die Liege. „Wieso ist dieses Zimmer so hässlich gestrichen?", grummelte Lilly. „Also ich will ja nichts sagen Liebling, aber das Aussehen dieses Zimmers hast du konzipiert und bestimmt.", meinte ich lachend. „Stimmt.", „So grumpy cat, setz dich mal mit Blickrichtung zum Kopfende im Schneidersitz auf die Liege." Eher zaghaft tat sie das worum ich sie gebeten hatte. „Und jetzt?", „Jetzt sagst du mir was gerade deine Lieblingsserie ist.", „Ähhhhh 'Is it cake?, schaue ich gerade."
Ich öffnete Netflix und schaltete die Schow ein. Anschließend stellte ich das iPad auf das Kopfende der Liege. „Wir zwei machen jetzt Netflix and Untersuchung. Du konzentrierst dich darauf herauszufinden was Kuchen ist und ich mache den Rest. Ich verspreche, dass ich dich nicht überrumpele."
Ganz überzeugt schien Lilly nicht zu sein. Aber zumindest weigerte sie sich nicht. Das war schonmal ein guter Schritt. „Zuerst Temperatur, ja?" Ein zaghaftes Nicken reichte mir. „36,8 Grad. Kein Fieber. Darf ich in deinen Rachen schauen?" Sie nickte zwar, öffnete ihren Mund nicht. „Mi amor. Machst du bitte deinen Mund auf? Ich will nur schauen ob da irgendwas rot ist.", redete ich auf sie ein. „Kein Holzspatel?", „Kein Holzspatel." Vorsichtig öffnete sie ihren Mund. Ich konnte keine Rötungen erkennen. „Alles super. Als nächstes sind Herz und Lungen dran." Sie redete zwar nicht mit mir, aber ich konnte an ihrer Körperhaltung erkennen, dass sie einverstanden war.
Ich schnappte mir mein Stethoskop vom Schreibtisch und setzte mich hinter meine Frau. „Lilly, ich heb dein Oberteil kurz hoch, ja?", „Hm." Sachte legte ich meine linke Hand auf ihre Schulter. Es war unser kleines Vorwarnzeichen, wenn ich sie von hinten berühren musste. Sie erschrak auch kurz, aber beruhigte sich relativ schnell wieder. „Ganz ruhig. Konzentrier dich auf die Torten." Ich steckte die Oliven des Stethoskops in meine Ohren und rückte Lillys Shirt ein Stück nach oben. „Ich höre jetzt deine Lungen ab. Atme ganz ruhig weiter."
Nach zwei Minuten war auch das gemacht. Als ich gerade ihr Oberteil wieder unterstreichen wollte, entdeckte ich einen blauen Fleck an ihrer Taille, der schon ein paar Tage alt sein musste. „Schatz?", „Ja?", fragte sie abwesend. „Bist du vor kurzem irgendwo gegengestoßen?", „Nein." Ich runzelte die Stirn. Irgendwas stimmte nicht und zwar gewaltig. „Okay, also deine Lunge klingt frei. Ich höre jetzt noch dein Herz ab. Darf ich mich neben dich setzen?", „Ja.", „Kannst du dein Oberteil ein Stück nach oben schieben?", „Wieso?", „Damit ich dein Herz abhören kann.", „Musst du das unbedingt machen?", fragte Lilly. Ich runzelte die Stirn. Sie war sehr ängstlich was Medizinisches anging, ja. Aber normalerweise hinterfragte sie meine Bitten sobald wir in der Praxis waren nicht. Das machte sie nur außerhalb, um garnicht erst herkommen zu müssen. „Schatz, verheimlichst du mir etwas?", „N n n n ein." Klang nicht wirklich glaubwürdig. „Hast du Schmerzen?", „Nein.", meinte sie kurz angebunden. „Sicher mein Schatz? Du weißt, dass du mit mir reden kannst.", „Ja, weiß ich. Ich hab einfach keinen Bock auf das unnötige Zeug hier." Jetzt wurde sie gereizt. Ein Indiz dafür, dass sie dringend aus der Situation raus wollte und Zeichen dafür, dass sie mir etwas nicht erzählte.
„Lillianne, du verschweigst mir gerade was. Irgendwas ist doch. Wieso darf ich dein Herz nicht abhören?", „Weil ich das nicht will." Ich kriegte noch die Krise. „Schatz, du weißt dieses Argument gibt es bei mir nicht. Darf ich jetzt bitte dein Herz abhören?" Sie presste ihre Lippen aufeinander und plötzlich schluchzte sie. „Hey cariño, was ist los? So schlimm?" Sie nickte. „Komm her mi corazón.", beruhigte ich sie und schloss sie in meine Arme. „Hast du Schmerzen am oder im Bauch?" Sie schüttelte den Kopf, weinte aber bitterliche Tränen.
Mich beschlich ein Verdacht. „Lilly, Schatz, ich weiß, dass dir das nicht gefällt, aber darf ich mir deinen Bauch anschauen? Ich glaube da ist etwas, was du mir gerade nicht sagen kannst." Sie nickte zitternd und weinte unaufhörlich weiter. Ich stand auf, schaltete das Tablet aus und legte Lillys Oberkörper vorsichtig nach hinten. Mit aller Behutsamkeit schob ich ihr Shirt hoch. Was ich da zu Gesicht bekam, war nichtmehr feierlich. Sie hatte mehrere Hämatome, die alle schon ein paar Tage älter sein mussten, genau wie das am Rücken. „Paulo?", schluchzte Lilly. „Ja mein Schatz?", „Es tut mir leid.", „Hey hey hey, ganz ruhig. Ich bin nicht sauer. Weißt du woher die Hämatome kommen?" Sie nickte. „Sagst du mir woher?" Sie schüttelte den Kopf. „Okay. Ich mach dir da ne Salbe drauf. Dann kann das etwas besser verheilen. Ich mach das Abtasten deines Abdomens ganz kurz. Aber erst höre ich mir dein Herz an. Wir machen das gemeinsam." Ich nahm mein Stethoskop wieder und versuchte so gut es ging ihre Herzgeräusche zu hören. Aber Lilly weinte unaufhörlich und konnte nicht aufhören. „Shhhh. Schon gut Lilly. Alles wird gut. Ich lass dich nicht alleine." Als ich das irgendwie geschafft hatte, legte ich mein Stethoskop beiseite, schob behutsam ihr Shirt wieder runter und setzte mich so auf die Liege, dass ich ihren Kopf auf meinen Schoß legen konnte. Ihr weinen hörte immer noch nicht auf. Ich blieb ganz ruhig und wischte ihr die Haare aus dem Gesicht. „Ach Schatz, alles wird gut. Ich bin hier." Sie weinte bestimmt noch fünf Minuten bis es langsam in ein Schluchzen überging.
„Cariño, was ist nur los mit dir?"

Ich und die SprechstundeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt