Theo Meisner (Leander)

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Es war 8:20 Uhr und ich schaute mir gerade die Akte meines ersten Patienten an. Er hieß Theo Meisner und war 6 Jahre alt. Seine ehemalige Kinderärztin hatte zum Glück schon die neuen Felder ausgefüllt.
Panikverursacher: schon das alleinige Wissen des Arztbesuches, die gesamten Untersuchungsbestandteile
Beruhigungsfaktor: alles was die Umgebung weniger nach Praxis aussehen lässt, sein Teddy, Abdunkeln des Zimmers
Das wurde interessant, aber ich konnte damit arbeiten. Allerdings musste ich jetzt schnell machen. Flott ging ich in unseren Spezialraum. Ich war mir sicher, dass Theo der Raum gefallen würde oder zumindest etwas Entspannung in die Sache bringen könnte.
Ich dämmte das Licht und öffnete die Helferleintruhe, die Paulo und ich in diesen Raum gestellt hatten. Nach kurzem Suchen fand ich das, was ich gesucht hatte. In der Truhe gab es ein Kuscheltierlamm. Doch dieses Lamm war nicht einfach nur ein Kuscheltier. Hinten gab es einen Verschluss. Dadurch konnte man ein kleines Kissen, welches mit Lavendel gefüllt war, erwärmen und reinstecken. Lavendel wirkte bei manchen Menschen beruhigend und ich hoffte, dass das auch bei dem kleinen Theo helfen würde. Alles Andere war eigentlich schon vorbereitet.
Ich ging zum Empfang. „Du Mia, kannst du das Lamm mal in die Mikrowelle packen? Ich glaube, dass das dem kleinen Jungen helfen könnte. Ich geh mal raus und nehme ihn und sein Elternteil in Empfang. Ich will nicht riskieren, dass er noch vor der Tür kehrt macht.", „Ultramarin?", fragte Mia. „Jep. Bei allem, was Frau Dr. Lichtenfeld in seine Akte geschrieben hat, würde ich fast schon so weit gehen, dass es bei ihm schlimmer ist als bei Marilena. Aber ich schau erstmal. Bring das Lamm einfach ins Spezialzimmer, wenn es warm ist. Ich geh dann mal. Bis gleich.", „Bis später Leander."
Ich verlies die Praxis und wartete auf Theo. Nach etwa zwei Minuten fuhr ein Auto vor das Haus und drin saßen ein kleiner Junge auf der Rückbank und ein Mann, wahrscheinlich sein Vater, am Steuer. Der Mann stieg aus und kam auf mich zu. „Hallo, ich bin Herr Meisner, der Vater von Theo. Sind sie Dr. Ewald?", „Ja der bin ich.", „Also ich warne sie schonmal vor. Er wird sich lautstark wehren und nicht aus dem Auto kommen wollen. Das Problem haben wir jedes Mal."
Herr Meisner klang wirklich verzweifelt. „Wir kriegen das schon gemeinsam hin. Lassen sie mich mal versuchen."
Damit gingen wir zum Auto und Herr Meisner öffnete die Autotür auf Theos Seite. Dieser fing sofort an zu schreien und um sich zu fuchteln. „Dr. Lichtenfeld erzählte mir irgendwas von seinem Teddy, wo ist der?", fragte ich den Vater. „Ah ja, Liro. Ich hol ihn. Der ist im Kofferraum.", „Danke."
Während Herr Meisner zum Kofferraum ging, hockte ich mich neben Theo, der nicht daran dachte aufzuhören rumzuschreien und um sich zu schlagen. „Hey Theo. Ich bin Leander.", „Geh weg! Du bist blöd! Geh!", „Hey, sshh... Ich weiß du hast unglaubliche Angst, aber ich habe einen richtig tollen Raum. Wir gehen nicht in einen blöden Untersuchungsraum. Ich weiß, dass du die super blöd findest. Aber dafür musst du bitte versuchen ganz mutig zu sein, ja?", „Er hörte augenblicklich auf rumzufuchteln. Irgendwas ging in ihm vor und ich konnte noch nicht ganz einschätzen was es war. „Du bist nicht meine Kinderärztin.", sagte er schüchtern. „Du hast Recht ich bin nicht Dr. Lichtenfeld, aber ich bin dein neuer Kinderarzt.", „Wie heißt du?", „Ich bin Leander Ewald, aber du kannst mich Leander nennen, wenn du willst. Und wie heißt du?", „Theo", „Theo klingt wirklich sehr schön. Wie alt bist du Theo?", versuchte ich ihn etwas von seinen Gedanken und seiner Angst abzulenken. „6", nuschelte er. „Boah schon 6 Jahre alt? Dann bist du ja schon ein großer Junge und kommst bald in die Schule."
Theo versteckte sich zwar immer noch in seinem Kindersitz, aber trotzdem konnte ich sein kleines Lächeln sehen. „Hier ist der Teddy.", antwortete Herr Meisner und gab mir das Kuscheltier. „Vielen Dank. Hier Theo, willst du deinen Teddy haben?" Er sagte zwar nichts, riss mir sein Kuscheltier aber förmlich aus der Hand und drückte es an sich. „Traust du dich jetzt rein in das super tolle Zimmer zu gehen? Ich glaube, dass es dir wirklich gefallen wird.
Theo musste zwar kurz überlegen, entschied sich aber schlussendlich auszusteigen. Ehrlicherweise war ich etwas verwundert über seinen plötzlichen Sinneswandel und hatte mit wesentlich mehr Überzeugungsarbeit meinerseits gerechnet. Und mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Sobald Theo ausgestiegen war und ich mich zur Praxistür wenden wollte, rannte er plötzlich weg Richtung Garten. „Theo! Komm wieder her! Dir passiert nichts!", rief sein Vater ihm hinterher. „Lassen sie Herr Meisner. Er ist in den Garten meines Kollegen gerannt. Ihm passiert da nichts. Gehen sie bitte schonmal in die Praxis und sagen Bescheid? Ich schau mal nach Theo und überzeuge ihn mit rein zu kommen.", „Wenn sie meinen, dann mach ich das. Er hat wirklich riesige Angst.", „Das kann ich mir vorstellen. Ich hatte als Kind auch große Angst vor dem Arzt, aber dafür bin ich ja da, ihn zu unterstützen.", „Okay. Vielen Dank, dass sie ihm helfen wollen und ihn als Hausarzt aufgenommen haben.", „Das war doch selbstverständlich."
Herr Meisner ging rein und ich machte mich Richtung Garten um Theo zu finden. Paulos Garten war nicht riesig, aber hatte schon eine ordentliche Größe. Es gab diverse Büsche, zwei Bäume und zwei Liegen. Ich wusste, dass es nichts bringen würde nach ihm zu rufen, da er ja sowieso nicht antworten würde. Stattdessen scannte ich mit meinen Augen den Garten ab und nahm gleichzeitig das Handy aus meiner Hosentasche um Mia am Empfang anzurufen.
Mia: Praxisgemeinschaft Romero und Ewald, Mia Sommer am Apparat. Wie kann ich ihnen helfen?
Leander: Ich bin's Leander. Sag mal, wann habe ich meinen zweiten Patienten?
Mia: 10:30 Uhr. Wieso?
Leander: Das ist gut. Ich glaube, dass das mit dem kleinen Theo bestimmt ne Stunde oder so laufen kann. Er ist in den Garten gerannt und hat sich versteckt. Ist Paulo schon fertig?
Mia: Ja, sein Patient ist gerade raus und er hat bis 9:10 Uhr auch keinen.
Leander: Alles klar. Danke. Ich glaube, das Lamm ist wieder abgekühlt bis wir drinnen sind.
Mia: Ich packe es einfach nochmal in die Mikrowelle, sobald ihr drinnen seid.
Leander: Danke Mia. Bis gleich.
Damit legte ich wieder auf. Ein Fahrrad kam vor der Praxis zum Stehen. Ich schaute auf meine Uhr. 8:45 Uhr. Das musste Luis sein. Ich ging weiter in den Garten rein und suchte akribisch nach irgendetwas, was sich bewegte.

Ich und die SprechstundeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt