Mira Severin (Paulo+Leander)

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Gerade als ich den nächsten Patienten aufrufen wollte, kam Luis schnellen Schrittes angelaufen und meinte: „Paulo, Leander bräuchte mal deine Hilfe. Seine Patientin dreht am Rad.", „Ich komme sofort." Wir liefen den Gang entlang und traten in das hintere Untersuchungszimmer von Leander. „Hey, was ist los? Wie kann ich helfen?", fragte ich. „Danke, dass du gekommen bist. Mira, 14 Jahre alt, hat laut ihren Eltern Fieber und sie hustet die ganze Zeit. Sie will sich aber partout nicht untersuchen lassen. Herr Severin meinte, dass sie vor ein paar Jahren mal bei dir im Krankenhaus war und nur dir vertraut hat. Vielleicht kannst du ja zu ihr durchdringen." Ich grübelte und wendete mich den Eltern zu. „Guten Tag Frau und Herr Severin. Könnten sie mir kurz auf die Sprünge helfen? Wann und weshalb war ihre Tochter damals im Krankenhaus?", „Guten Tag Herr Doktor Romero. Natürlich helfen wir Ihnen. Mira war vor etwa sechseinhalb Jahren wegen eines Oberschenkelhalsbruchs im Krankenhaus. Sie hatte damals Bekanntschaft mit einer eher groben Ärztin gemacht und war danach so verängstigt vor Schmerzen, dass sie sich ihr persönlich angenommen hatten.", erklärte mir Herr Severin.  Ich erinnerte mich wieder. „Ah! Ja, da klingelt was bei mir. Wie hat sie denn in den letzten Jahren Arztbesuche verkraftet?", „Um ehrlich zu sein, garnicht. Wir haben alles versucht, aber sie kriegt jedes Mal eine Panikattacke. Heute wieder, aber wir haben uns einfach so große Sorgen gemacht, dass wir trotzdem gekommen sind.", fügte Frau Severin hinzu und ihr Mann meinte noch: „Ich musste sie die ganze Zeit festhalten, sonst wäre sie sofort über alle Berge gewesen."
„Gut, dann schau ich mal was ich machen kann. Wo ist sie denn eigentlich?" Ich konnte sie nirgendwo sehen. „Unter der Liege, in die Decke eingewickelt. Sie wiegt die ganze Zeit vor und zurück.", erklärte mir Leander. „Das klingt ja garnicht gut. Ich schau mal was ich machen kann." Langsam ging ich auf das wimmernde Bündel zu und setzte mich mit ausreichend Abstand auf den Fußboden. „Hallo Mira, ich bin's, Doktor Romero. Kannst du dich noch an mich erinnern?" Ich konnte ein Nicken erkennen. „Das ist schön. Willst du mal rauskommen?" Kopfschütteln. „Mira, hast du Angst?", „J j j j a a a a.", „Okay, das kann ich verstehen. Warst du deshalb so lange nicht beim Arzt?", „Die tun mir alle weh.", „Verstehe. Du Mira, deine Eltern und mein Kollege machen sich echt Sorgen und ich merke, dass du die ganze Zeit husten musst. Und ich kann mir vorstellen, dass dich das auch stört." Wieder hustete sie ununterbrochen. „Luis, holst du bitte mal ein Glas Wasser für Mira?" Er machte sich sofort los und kam kurz darauf wieder. Ich nahm ihm das Glas ab und reichte es dem Deckenknäuel. „Keinen Durst.", „Mira, trink bitte was. Du brauchst Flüssigkeit."
Widerwillig trank sie was und drückte mir das Glas wieder in die Hand. „Noch einen Schluck Mira.", meinte ich ruhig. „Neihein. Ich will nicht Dr. Romero!", jammerte Mira und weigerte sich noch etwas zu trinken. „Mira, trink bitte zumindest einen einzigen Schluck. Ich weiß, dass das voll nervig ist." Einen Schluck zwängte sie sich noch rein. Dann hatte sie die Faxen dicke und rammte mir das Glas förmlich in die Hand.
„So, darf ich mal schauen wie es dir geht?", „Nein.", „Aber dir geht's nicht gut, oder?" Mira schüttelte den Kopf und hustete mal wieder. „Ist Hand an die Stirn legen okay", „Ja." Also legte ich meinen Handrücken sachte an ihre Stirn. „Leander, gibst du mir mal bitte das Fieberthermometer? Mira, du scheinst wirklich hohes Fieber zu haben. Das kann gefährlich werden.", „Mir egal.", meinte sie trotzig.
„Gut, dann ist mir auch egal wann du hier raus kommst. Ich kann dich hier nicht ohne Untersuchung rauslassen. Das wäre unverantwortlich von mir und Dr. Ewald. Schiebst du mal deine Haare hinters Ohr?" Zaghaft schob sie die Haare aus dem Weg und ich maß ihre Temperatur. „40,2 Mira, das gefällt mir garnicht. Du brauchst ein fiebersenkendes Mittel und ich würde dich wirklich gerne untersuchen. Dein Husten macht mir auch Sorgen." Sie schüttelte vehement den Kopf. „Doch. Aber wir können das woanders machen. Wir haben hier einen Raum, der wird dir gefallen. Da bin ich mir sicher. Komm, ich zeig ihn dir."
Sie nahm meine Hand und ich zog sie unter der Liege hervor. Sie schwankte bedrohlich hin und her. „Du hast nen ganz schönen Seegang drauf Mira. Komm, halt dich an mir fest und wir gehen Schritt für Schritt."
Ich stellte mich hinter sie, griff ihre linke Hand mit meiner linken und stützte sie mit meiner rechten Hand an der Hüfte. „Darf Dr. Ewald mitkommen?", „Ja, aber sonst Niemand.", flüsterte sie. „Eltern?", fragte ich sie und bekam ein Kopfschütteln. „Gut. Herr und Frau Severin, nehmen sie doch im Wartezimmer Platz. Herr Richter macht Ihnen bestimmt einen Kaffee. Ich glaube wir schaffen das erstmal alleine. Wir sind vom Wartezimmer aus einfach den Gang runter." Vorsichtig führte ich Mira den Gang runter. „Weißt du wieso meine Schwester den Raum Teddyzimmer nennt?" Mira schüttelte den Kopf. „Sie meint, weil es da drin kuschelig ist und weich. Ich bin mir sicher, dass dir der Raum gefallen wird."
Ich lotste sie weiter in das Zimmer rein und dirigierte sie erstmal auf eins der Sitzkissen. „So Mira, wo drückt der Schuh?", „Gar nicht.", „Hm, merke ich.", meinte ich sarkastisch. Sie hustete unaufhörlich weiter. Mir war aber bewusst, dass sie erstmal nicht mit ihren Beschwerden rausrücken würde. Also lenkte ich vom Thema ab. „Wie geht es denn deinem Bein? Ist alles wieder okay?" Sie nickte und fing an zu zittern. „Mira ist dir kalt?", „Ja, hier drinnen ist es arschkalt. Habt ihr die Fenster aufgerissen?" Ich musste grinsen. „Nein, die Fenster sind alle zu. Ich befürchte nur, dass du Schüttelfrost hast. Leander gibst du mir bitte mal eine von den flauschigen Decken?"
Ich nahm die Decke entgegen und packte Mira damit warm ein. „Also, zurück zu deinem Bein. Ich hoffe doch, dass du dich an meine Regeln gehalten hast und dein heißgeliebtes Volleyballfeld wirklich erst nach 8 Wochen betreten hast.", „Gar nicht trifft es wohl eher.", meinte sie missmutig. „Gar nicht? Wieso denn das?", fragte Leander und auch ich war etwas schockiert.
Als ich Mira damals kennenlernte, hatten die Pfleger, meine Ärzte und Ich aller größte Mühe sie im Bett zu behalten. Sie hielt es nicht aus nach der OP die ersten Tage die ganze Zeit im Bett zu liegen. Immer wieder fand sie Jemand mit ihrem Rollstuhl im Klinikum rumwandern und ich musste ihr mehrfach erklären, dass sie in ihrem Bett bleiben sollte. Als sie dann noch im Krankenhaus mit der Physiotherapie bei einer Kollegin anfing, konnte sie es kaum erwarten und musste eher gebremst werden. Sie war damals ein wirklicher Wirbelwind. Durch ihre eher schlechte Bekanntschaft bei der Erstaufnahme extrem ängstlich mit anderen Ärzten, aber sie sorgte immer für sehr viel Wirbel. Nicht zuletzt der Grund, wieso ich ihr bei ihrer Entlassung besonders scharf eingebläut hatte, dass sie in den folgenden 6 Wochen kein Volleyball spielen durfte. Sie hatte mir oft erzählt wie viel Spaß ihr der Sport machte.
Umso mehr wunderte es mich jetzt, dass sie nie mehr einen Fuß aufs Feld gesetzt hatte. „Das ist doch sowieso egal.", „Mira, das ist nicht egal. Ich weiß doch noch wie sehr du diesen Sport geliebt hast. Was ist passiert, dass du aufgehört hast?", fragte ich sie einfühlsam. Sie schwieg. „Hat es vielleicht mit dem Bruch was zu tun gehabt?", hakte Leander nach. Sie nickte. „Du vertraust dem Knochen nicht mehr oder?", kam ich dem ganzen langsam auf die Schliche. Wieder Kopfnicken. „Aber das ist doch jetzt auch egal. Schnee von gestern.", meinte Mira und hustete wieder unaufhörlich. Dabei verzog sie schmerzverzerrt das Gesicht, was auch Leander mitbekommen hatte. „Hast du Schmerzen wenn du husten musst?", fragte er, immer noch mit gebührendem Abstand an der Wand lehnend. Er wusste wo Miras Grenze war, auch wenn er sie erst seit ein paar Minuten kannte. „Ja, manchmal, im Brustbereich.", „Darf ich mir das mal anhören Mira?", fragte ich sie und holte mein Stethoskop aus der Hosentasche. Sie nickte zaghaft, schaute aber Leander an. Mich beschlich das Gefühl, dass sie ihn da nicht dabeihaben wollte. „Leander, könntest du dich kurz umdrehen?", „Natürlich.", war seine sofortige Antwort und er wendete sich der Wand zu: „Oh, das ist aber eine schöne Wandfarbe. Die hat deine Frau wirklich gut gewählt."
Auf Mias Gesicht stahl sich ein kleines Lächeln. „Das gefällt mir schon viel besser. So, und jetzt hören wir uns mal deine Lunge an." Ganz vorsichtig schob ich meine Hand durch die Decke und hob ihr T-Shirt ein bisschen an um an ihren Rücken zu kommen. „Und jetzt versuch mal tief ein und auszuatmen." Ich hörte ihre Lunge ab. „Ist jetzt nicht perfekt, aber hört sich nicht wirklich besorgniserregend an.", „Das ist gut, oder?", fragte Mira. „Ja, aber das bedeutet auch, dass wir noch nicht wissen, was du hast.", seufzte ich und schlang mir mein Stethoskop um den Hals. „Ich würde gerne deinen Hals mal kurz abtasten, schauen ob deine Lymphknoten geschwollen sind.", „Okay.", flüsterte Mira. „Mira, darf ich mich wieder umdrehen, oder soll ich weiter mit der Wand hier flirten?", fragte Leander während ich ihren Hals abtastete und über das Ergebnis nicht so begeistert war. Mira kicherte und erlaubte Leander dann sich wieder zu uns umzudrehen.
„Und?", fragte Leander mich, da ich mit dem Abtasten fertig war. „Geschwollen. Gibst du mir bitte mal nen Holzspatel?" Leander brachte mir einen und ich bat Mira ihren Mund weit auf zu machen. Was mir sofort ins Auge stach, war ihre himbeerfarbene Zunge. Als ich mir ihren Rachen anschaute war der gerötet und ihre Mandeln schienen entzündet zu sein. „Leander, siehst du das?", „Ja, sieht aus wie Scharlach-Angina." Ich entfernte den Holzspatel aus ihrem Mund. „Mira, ich weiß ist extrem bescheuert, aber kannst du bitte mal deine Hose und dein T-Shirt ausziehen? Ich habe da so nen Verdacht." Vehementes Kopfschütteln. Ich hatte aber auch nichts anderes erwartet. „Mira, würde es helfen wenn ich rausgehe?", fragte Leander freundlich. Immer noch Kopfschütteln. „Soll ich es trotzdem machen?", „Ja.", antwortete sie knapp.
Also verlies Leander den Raum und schloss hinter sich die Tür. „Komm wir gehen erstmal zu der Couch da hinten. Dann kannst du dich hinlegen.", „Ich ziehe meine Sachen aber nicht aus.", meinte Mira aufgebracht. „Eins nach dem Anderen. Jetzt gehen wir erstmal da rüber und du legst dich hin. Komm, ich zieh dich hoch und du kannst dich an mir abstützen." Gesagt getan. Ich ging mit ihr Schritt für Schritt durch den Raum. Immer wieder hielt sie sich ihren Bauch. „Du hast Bauchkrämpfe, stimmt's?", meinte ich. Sie nickte. „Willst du deshalb nicht dein Shirt ausziehen?", fragte ich sie, während ich Mira langsam auf das Sofa gleiten ließ. Sie hatte wirklich kaum noch Kraft und war deutlich am fiebern. „Auch." Ich setzte mich neben ihren Oberkörper auf das Sofa. „Auch? Gibt es etwas, dass ich nicht sehen soll?" Sie schwieg und ich seufzte. „Mira, ich kann dir so nicht helfen. Das ist dir bewusst. Da gibt es was ganz tolles, das nennt man reden. Soll helfen, hab ich zumindest gehört.", versuchte ich sie etwas aufzumuntern. „Ich will aber nicht reden.", krächzte sie. „Das kann ich verstehen. Dir geht's bestimmt mega besch*ssen gerade und ich kann mir vorstellen, dass es wegen der Mandelentzündung wehtut zu reden. Ich hätte auch absolut kein Problem damit so langsam wie nötig zu machen, wirklich. Ich nehme mir alle Zeit der Welt für dich. Ich nehme aber an, dass du da nicht so Bock drauf hättest. Nur würde ich dich wirklich ungerne nach Hause schicken ohne sicher zu sein was du hast. Capiche?", „Capiche. Dr. Romero?", „Ja Mira?", „Können sie mir erklären warum ich mein Oberteil und meine Hose ausziehen soll?", „Natürlich. Erklärst du mir bitte vorher noch das andere Warum, neben den Bauchkrämpfen?" Mira zögerte. „Ich stehe unter ärztlicher Schweigepflicht, auch deinen Eltern gegenüber, solange du mich nicht davon entbindest."
Eine Hustentirade erwischte sie wieder und setzte ihr wohl mit starken Schmerzen in der Brustgegend zu. „Sh sh sh sh. Schon gut. Komm, setz dich mal auf. Das hilft ein bisschen." Ich zog sie in die aufrechte Position. „So ist gut. Besser?", „Ja.", „Also, was ist? Bist du schwanger?" Mira schaute mich entgeistert an. „Nein! Wie kommen sie darauf!?", „Ganz ruhig. Ich habe nur gefragt. Also, bist du sicher?", „Ja, 100%." Mira schien sehr überzeugt davon zu sein. „Gut, dann glaube ich dir. Aber was ist es dann?"
Mira atmete tief durch, als würde sie all ihren Mut zusammen nehmen. „Da sind so rote Punkte überall." Ich runzelte die Stirn. „Okay, das erhärtet meinen Verdacht.", „Und der wäre?", fragte Mira mehr als genervt. „Scharlach. Deine himbeerfarbene Zunge und die Mandelentzündung die du hast, haben eindeutig dafür gesprochen. Und dass du jetzt von roten Punkten redest, ich sag mal so, es spricht sehr für den Verdacht. Deshalb wollte ich, dass du deine Hose und das Oberteil ausziehst. Ich muss mir das mal anschauen.", meinte ich einfühlsam. „Aber wieso Beides gleichzeitig?", „Was? Nein nein nein. Da hast du mich falsch verstanden. Ich würde nie von dir verlangen, dass du Beides gleichzeitig ausziehen musst.", „Macht die Sache nicht wirklich besser.", „Verständlich. Aber es wäre trotzdem wichtig." Ich gab ihr Zeit zu antworten und die brauchte sie scheinbar auch. Man konnte förmlich die ratternden Zahnräder in ihrem Kopf sehen und hören. „Na gut.", meinte sie. „Danke Mira. Ich weiß, dass dich das viel Kraft kostet mir zu vertrauen. Wir machen Eins nach dem Anderen. Leg dich erstmal wieder hin. Ich packe dir ein paar Kissen in den Rücken. Dann geht's ein bisschen besser mit dem Husten und ich kann mir trotzdem den Ausschlag mal anschauen."
Mira legte sich wieder hin und ich stopfte ihr ein paar der herumliegenden Kissen in den Rücken. „Schiebst du mal bitte dein Shirt hoch und zeigst mir wo die roten Punkte sind?", „Hm." Vorsichtig schob sie das Shirt ein Stück an. „Da. Das sind diese Punkte.", „Okay. Ich schaue mir das mal an. Weißt du zufällig ob es in deiner Klasse Jemanden gibt der Scharlach hat? Vielleicht auch in deinem Freundeskreis oder in der Familie?", fragte ich sie und nahm den Ausschlag genauer unter die Lupe. „Ähm... meine Cousine glaube ich. Aber ich bin mir nicht sicher. Da müssen sie meine Mutter fragen.", „Alles klar. Mach ich. Also der Ausschlag, juckt der oder tut weh?" Mira schüttelte den Kopf. „Gut. Hast du noch andere Symptome?", fragte ich sie, während ich ihr Shirt wieder runter schob. „Nicht so ganz.", „Lass mich raten. Du hast Ohrenschmerzen?", „Ja.", „Mira, ich erspare dir mal die Untersuchung an den Beinen. Vorausgesetzt du sagst mir ob der Ausschlag an deinen Innen-Oberschenkeln  angefangen hat. Hat er das?", „Ja."
Ich ging zum Desinfektionsspender und desinfizierte mir meine Hände. „Also, es spricht alles dafür, dass du tatsächlich Scharlach hast. Ich würde mir trotzdem mal deine Ohren anschauen und ich würde gerne einen Ultraschall von deinem Abdomen machen. Nur um sicher zu gehen, dass wir nichts übersehen. Aber erstmal mache ich einen Abstrich aus deinem Mund, damit wir den auf Streptokokken untersuchen können. Machst du bitte gerade nochmal deinen Mund auf?"
Ich merkte ihren Widerwillen und konnte sie verstehen. Abstriche machten keinen Spaß, nie. „Das gibt uns Sicherheit und wir wissen dann ob es wirklich das ist, was wir glauben."
Mira sagte zwar nicht wirklich etwas, öffnete aber leicht ihren Mund. Dadurch konnte ich schnell den Abstrich machen und alles in das Röhrchen packen. „So jetzt lass mich noch kurz in deine Ohren schauen und dann kannst du dich erstmal ein bisschen ausruhen. Ich rede solange mit deinen Eltern und Dr. Ewald und gebe die Probe Frau Sommer, damit sie die auf Streptokokken untersuchen kann. Gibt es etwas, dass ich nicht erzählen soll oder darf?"
Mira überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich schau noch kurz in deine Ohren." Mira schloss ihre Augen und atmete betont ein und aus. „Lehnst du deinen Kopf bitte noch kurz nach rechts? Danke." Vorgewölbtes Trommelfell, stark durchblutet. Und als ich das Otoskop aus ihrem Ohr rausholte, war es mit Flüssigkeit benetzt, wahrscheinlich Eiter.
„Gut. Dann ruh dich etwas aus. Ich komme gleich zurück und wir machen den Ultraschall." Ich ging aus dem Zimmer raus und zum Counter. „Mia, den Abstrich bitte auf Streptokokken überprüfen und mir umgehend das Ergebnis mitteilen. Wo ist Leander?", „Pausenraum.", „Danke."
Ich trat zu Leander, der gerade eine Tasse Kaffee trank. „Und, hat sich der Verdacht erhärtet?", „Ja. Außerdem hat sie noch eine Mittelohrentzündung und sie meinte auch, dass ihre Cousine oder so Krank war.", „Ah ja. Das stimmt. Ihre Mutter meinte, dass ihre Nichte vor ein paar Tagen Scharlach hatte und Mira wohl bei denen übernachtet hat. Die Beiden stehen sich sehr nah. Man kann also davon ausgehen, dass sie sich wahrscheinlich da angesteckt hat.", „Alles klar. Mia überprüft die Speichelprobe gerade auf Streptokokken. Ich mache noch ein Ultraschall des Abdomens um sicher zu gehen. Sie hat offensichtlich Schmerzen und ich will nix übersehen. Wenn ich den Befund habe, dann hole ich dich und die Eltern dazu und wir besprechen alles.", „Gut, machen wir."
„Hier die Ergebnisse. Soweit ich richtig gelesen habe positiv auf Streptokokken.", meinte Mia, die gerade rein kam und mir den Ergebnis-Zettel in die Hand drückte. „Da haben wir den Übeltäter. Damit ist das auch sicher. Danke Mia. Leander würdest du vielleicht mit Herrn und Frau Severin in eins deiner Zimmer gehen? Ich bringe Mira dann zu euch.", „Natürlich. Bis dann."
Ich holte das Ultraschallgerät aus meinem ersten Zimmer und beförderte es zu Mira... die eingeschlafen war. Ein bisschen lächeln musste ich ja schon. Aber es machte mir auch Sorgen, dass sie sofort eingeschlafen war. Sie musste schon viele Tage mit diesen Symptomen zu kämpfen haben. Ich schnappte mir nochmal das Fieberthermometer und steckte es in ihr linkes Ohr, da dieses nicht entzündet war. 40,1 Das war nicht gut, garnicht gut. „Mira, hey, aufwachen." Ich weckte sie und setzte mich wieder neben sie. „Mir tut alles weh Dr. Romero.", ächzte sie. „Ja, das kann ich mir vorstellen. Du hast auch noch mächtig Fieber. Wir schauen jetzt kurz ob mit deinen Organen alles in Ordnung ist, wovon ich ausgehe. Dann bringe ich dich zu deinen Eltern und wir besprechen die Ergebnisse, einverstanden?", „Wenn's sein muss?" Ich grinste. „Deine Ehrlichkeit in Bezug auf Unlust hat sich in den letzten Jahren nicht verändert.", „Wieso auch? Das bringt doch sowieso nichts.", „Wenn du diese Einstellung nur auch über deine Symptome hättest, dann würde ich mich sehr freuen.", „Nee nee, lass mal.", „Ich merk schon, für Sarkasmus ist die Energie noch da.", meinte ich und wischte ihr mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. „So meine Liebe, ist es okay wenn ich dir dieses Papiertuch in den Hosenbund stecke, oder willst du das alleine machen?", „Mach du. Ich habe keine Kraft.", krächzte Mira. Sie hatte mich geduzt. Kein gutes Zeichen bei ihr. Ich konnte mich noch daran erinnern, dass sie damals bei ihrem Oberschenkelhalsbruch durchweg alle gesiezt hatte, und zwar unabhängig davon wie oft man ihr anbot einen zu duzen. „Okay.", seufzte ich und klemmte ihr das Papiertuch so vorsichtig wie möglich in den Hosenbund. „Achtung, wird kurz kalt. Nicht erschrecken." Ich drückte das Schallgel auf Miras Abdomen und setzte den Schallkopf an.
„Also, mal schauen. Wie läufts eigentlich in der Schule?", versuchte ich sie etwas abzulenken. „Mh.", murrte sie. „Okay, ich merk schon. Wir reden nicht drüber. Hast du eigentlich Geschwister?", „Kleine Schwester und große Schwester.", „Wie alt sind die Beiden?", fragte ich, während ich weiter schallte. Bis jetzt hatte ich nichts Auffälliges gefunden. „Alea ist 10 und Malira 25. Die ist gerade schwanger.", „Du bist also bald Tante Mira?", „Jep.", „Warte kurz, Malira heißt deine Schwester, oder?", „Ja, wieso?" Ich war fertig mit der Untersuchung. „Schaffst du es dir das Gel selbst abzuwischen?"
Ächzend versuchte sie es. Aber das Fieber, gepaart mit den ganzen Schmerzen, raubte ihr wohl alle Kraft. „Schon gut. Ich mach schon. Ich habe dich nach dem Namen deiner Schwester gefragt, weil da was bei mir geklingelt hat. Malira Severin, natürlich. Deine Schwester ist Patientin bei mir.", „Kann schon sein. Hast du was gefunden?", „Das kommt ganz drauf an, ob du gerade zufällig deine Tage hast.", „Ist möglich.", „Ist möglich?", fragte ich etwas belustigt. „Mhm.", „Also falls du zufällig tatsächlich deine Tage haben solltest, dann gibt es nichts zu befürchten. Also, ist es so?" Zaghaftes Nicken. „Gut, dann ist das geklärt. Meinst du du schaffst es zu Fuß rüber?", „Negativ.", antwortete sie mir postwendend. „Und wenn ich dich stütze?", „Mh.", „Versuchs zumindest. Das bisschen Bewegung hilft. Ich verspreche dir auch, dass ich dafür sorge, dass du den Rest des Tages keinen Schritt mehr machst."
Ich hielt ihr meine Hand hin und zog sie förmlich wie einen Sack Kartoffeln hoch. „Mira, ein bisschen Input braucht's schon von dir. Ich weiß, dass es dir besch*ssen geht, aber du musst jetzt nicht extra machen. Willst du die Decke mitnehmen?" Mira nickte und wir machten uns im Schneckentempo rüber zu Leander und ihren Eltern.
Wir kamen gerade an und ich öffnete die Tür zum Zimmer, da meinte Mira auf einmal: „Dr. Romero?", „Ja Mira?", „Ich glaube ich muss mich übergeben." Das wurde ja immer besser. „Leander Eimer, sofort!" Gerade noch rechtzeitig kam Leander mit dem Eimer aus seinem Zimmer angerannt, da übergab sich Mira schon. „Lass alles raus. Ganz ruhig. Shhhh... Ganz ruhig." Mira kotzte sich die Seele aus dem Leib. „Mein Gott, Schatz, alles gut?", fragte Frau Severin völlig aufgebracht, während Herr Severin sich nützlich machte und Miras Haare mit einem Haargummi zurückband. „Frau Severin, setzen sie sich erstmal. Ich glaube ihre Tochter ist gerade nicht wirklich in der Lage ihnen zu antworten.", meinte Leander und schob Miras Mutter bestimmt zum Schreibtisch und einem der Stühle.
Nach ein, zwei Minuten sank Mira kraftlos auf den Boden. „Besser?", fragte Herr Severin seine Tochter und kraulte ihr über den Rücken. Sie nickte. „So Mira, tut mir wirklich Leid. Aber wir müssen dir nen Zugang legen. Du hast mir gerade ein bisschen zu viel auf einmal. Vor allem das Fieber und dein Übergeben können echt gefährlich werden."
Mira war fertig mit den Nerven. Das sah man ihr deutlich an. Sie fing an zu weinen, hatte aber gleichzeitig sichtlich überall Schmerzen. „Meinst du dein Vater kann dich da drüben auf die Liege legen und du legst deinen Kopf auf seinen Schoß?", „Ja.", „Dann machen wir das so. Herr Severin, sind sie so nett?", „Natürlich Herr Dr. Romero." Ihr Vater hob sie vom Boden hoch und trug sie durch den Raum. „Leander, bringst du mir mal ein Infusionsbesteck?"
Er ging sofort und kam kurz darauf wieder. „Mira, Dr. Ewald legt dir jetzt einen Zugang und dann machst du die Augen zu und schläfst ein bisschen, während ich mit deinen Eltern rede, ja?", „N n n n n n ei i i in.", schluchzte sie. „Soll ich dir den Zugang legen?" Schluchzen. „Gut, dann mach ich das. Schau mal deinen Vater an. Der erzählt dir bestimmt irgendwas interessantes."
Bei ihrer Schwäche war es ein Leichtes ihr den die Infusion zu geben. Sie bekam sowieso nicht viel mit. Sobald das getan war, spritzte ich ihr noch was gegen das Fieber und gab ihr ein Antibiotikum gegen das Scharlach. Ihr Vater streichelte ihr dabei die ganze Zeit sachte über die Wange. Und so war sie innerhalb von zwei Minuten weg vom Fenster, eingeschlafen.
„So, sie schläft. Das ist erstmal sehr gut. Ich komme direkt zum Punkt. Mira hat Scharlach, wahrscheinlich bei ihrer Cousine angesteckt. Außerdem hat sie wohl gerade sehr mit ihren Periodenkrämpfen zu kämpfen. Und ich schätze mal, dass sie die Beschwerden wie Fieber und Husten nicht erst seit gestern hat, oder?", „Ja. Mira hustet schon seit ein paar Tagen. Ob sie auch schon so lange Fieber hat kann ich nicht sagen. Sie verkriecht sich die ganze Zeit in ihrem Zimmer und wir bekommen sie nicht zu Gesicht. Aber wie kommen sie darauf?", fragte Frau Severin. „Mira hat im rechten Ohr eine Mittelohrentzündung. Das ist höchstwahrscheinlich eine Folge des Scharlachs. Ich habe ihr ein Antibiotikum gegeben und schreibe ihnen noch ein Rezept für die Apotheke und die Einnahmeregelungen. Lassen sie sie schlafen so viel sie will und sie sollte ganz viel trinken.", „Alles klar Dr. Romero. Vielen Dank.", „Nichts zu danken. Das ist mein Job.", meinte ich und winkte ab. „Ich hätte noch einen Vorschlag zu machen, sofern sie und Dr. Romero damit einverstanden wären. Ich würde empfehlen, dass wir bei Mira eine Ausnahme machen und sie vielleicht ganz offiziell zu Dr. Romeros Patientin machen. Es bringt Niemandem etwas, wenn Mira sich rigoros weigert sich von mir untersuchen zu lassen. Das tut ihr auch nicht gut.", schlug Leander vor und er hatte Recht. Mir war die Idee auch schon gekommen. „Wenn das möglich ist, gerne.", meinte Frau Severin. „Dann machen wir das so. Herr Richter wird das organisieren. Bevor sie gehen, ich würde Mira gerne auch erklären was sie hat und wir müssen ihr den Zugang ziehen." Ich hockte mich vor die Untersuchungsliege und flüsterte leise: „Hey, Mira. Aufwachen. Ich würde dir und einen Eltern gerne genau erklären was du hast, okay? Danach kannst du gerne weiterschlafen."
Sie öffnete langsam die Augen und gähnte herzhaft, bevor sie den Zugang bemerkte und sich ihre Augen weiteten. „Nein, nein. Lass den bitte noch ganz kurz drin. Ich mache ihn gleich raus. Versprochen.", beruhigte ich sie und hielt sie davon ab alles rauszureißen. „Darf ich mich neben dich und deinen Vater setzen?", fragte ich Mira. Sie nickte.
Während Leander mir dabei half den Zugang zu entfernen, erklärte ich Mira alles ganz genau. „Also, du hast leider Scharlach meine Liebe und außerdem hast du dir eine Mittelohrentzündung eingefangen. Dagegen habe ich dir Antibiotika verschrieben. Die nimmst du bitte genau so wie ich es auf die Packung geschrieben habe, keinen Tag kürzer. Und ich würde empfehlen, dass wegen deinem Fieber, wenn es über 39 Grad steigt, dann nimmst du was von dem fiebersenkenden Mittel. Fieber ist zwar grundsätzlich nichts schlechtes, aber das ist dann doch etwas zu hoch. Und trink bitte ganz viel, versprochen?", „Ja, mach ich."
Ich lächelte etwas. „Ich weiß, das waren viele Informationen. Aber eine habe ich leider noch. Deine Schwester Malira sollte in den nächsten drei, vier Tagen nicht zu euch nach Hause kommen. Scharlach ist an sich ungefährlich, aber für das Ungeborene Kind birgt es durchaus Risiken. Wenn du damit einverstanden bist, Mira, dann kann ich deine Schwester auch selbst informieren. Du kannst es aber auch selbst machen.", „Sie können sie ruhig informieren.", krächzte Mira und hielt kaum die Augen offen. „Mach ich sofort. Dann wäre es das von mir. Falls du keine Fragen hast, dann würde ich dich jetzt aus der Praxis entlassen, solange du auf direktem Weg ins Bett gehst und schläfst. Und das nächste Mal, würde ich vorschlagen, kommst du einen Tick eher.", meinte ich eindringlich, blieb aber auch freundlich.
Mira nickte nur und ihr fielen wiederholt die Augen zu. „Na ab mit dir. Du kannst ja kaum die Augen aufhalten. Herr Severin, könnten sie ihre Tochter tragen? Das ist wahrscheinlich der schnellste Weg." Miras Vater stimmte mir zu und so hob er seine Tochter hoch und trug sie zum Auto. Ich drückte Frau Severin die Zettelwirtschaft in die Hand und verabschiedete mich von Familie Severin.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 10, 2023 ⏰

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