Gespräch mit Opa

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Gespräch mit Opa

Erst im Urlaub konnte ich erst entspannen, unbeschwert sein und die Aussenwelt mal für einen Moment vergessen. Die zwei Wochen in der Toskana war genau das, was jeder von uns gebraucht hatte. Mom und Paps nahmen sich die Zeit, um über ihrer Eheprobleme zu sprechen, was ich auch für richtig befand. Immer nur um das Problem herumzutanzen und es nie anpacken, war auch keine Lösung. Stefanio konnte Kind sein und amüsierte sich köstlich am Strand während Jaden seine Bräune verbessern und zugleich die Frauen am Strand unter Augenschein nehmen konnte. Ich dagegen befand mich mehr mit Opa auf dem Weg zu den Feldern, die er mit seinen Arbeitsmännern anbaute. Während die Männer in stärkster Hitze vor sich hin schufteten, versorgte ich sie mit Wasser und Verpflegung, die mir Nonna morgens einpackte. Ansonsten malte ich. Die Männer bei der Arbeit, die grossen, unendlich grünen Felder, das endlose Meer mit den vereinzelten Booten. Wenn ich nur daran dachte, wie lange ich schon den Pinsel und meine Stifte abgelegt hatte, bekam ich ein schlechtes Gewissen. Die Kunst war immer das einzige gewesen, dass ich im Vergleich zu anderen Dingen, doch ein wenig beherrscht hatte und dann achtlos vergessen, als mich diese verrückten Seelenfinder aufgesucht hatten. Doch hier mit meiner Familie und meinen Grosseltern fühlte ich mich wieder normal und zu meinem normalen Menschenleben hatte das Malen eine grosse Rolle gespielt. Abends nachdem uns Nonna vollgestopft hatte, sass ich mit Opa vor dem Klavier und hörte ihm zu, wie er wunderschöne Melodien herzauberte, was mich an eine bestimmte Person erinnert.

„Opa, ich glaube, ich kenne jemanden, der wie du die Musik verehrt“, hatte ich ihm einmal gestanden. Hätte es sich um irgendjemanden anders gehandelt, wie Sam, Jaden oder Andy, dann wäre mir das Sprechen nicht so schwer gefallen, aber hier ging es um jemanden, der Übermenschlich war und für den ich Dinge fühlte, die ich eigentlich nicht fühlen sollte.

„Leute, die die Musik fühlen, haben ein grosses Herz“, antwortete er nur und spielte einige Tasten. Ich nickte.

„Womöglich hat er ein grosses Herz, aber er zeigt es nicht gerne…weisst du, er hat der Musik den Rücken gekehrt…auch wenn sie das einzige ist, was ihn wirklich anspricht, ihn irgendwie lebendiger macht.“ Opa nickte nachdenklich, dachte wie immer über meine Worte nach, bevor er etwas dazu sagte. Ich wusste, dass wenn ich über Nicki sprechen wollte, dann konnte ich es nur mit Opa.

„Wenn wir spielen, dann fühlen wir… Womöglich will er nicht fühlen…“, vermutete Opa. Wenn er nur wüsste, wie recht er damit hatte.

„Er ist ein verschlossener Mensch“, murmelte ich, „ich nenne ihn Eisprinzessin…“ Erst als ich Opas volles Lachen hörte, wurde mir bewusst, was ich da gesagt hatte.

„Menschen verschliessen sich, wenn sie verletzt wurden, Leonie. Vielleicht hat dein mysteriöser Freund Dinge erlebt, die ihm schwer zu schaffen gemacht haben, an die er nicht denken will. Womöglich ist er so stark in seiner Trauer vertief, dass er für die schönen Dinge des Lebens keine Zeit aufbringen kann, keine Zeit aufbringen möchte, da die Gefahr besteht wieder einen Fall zu erleiden.“

„Wie schaffe ich es, ihn wieder zum Vertrauen zu bringen?“, fragte ich nach einer langen Schweigepause, in der Opa ein altes Schlaflied gespielt hatte, die er auch gespielt hatte, als wir noch klein gewesen waren.

„Glaubst du denn, dass du die Person bist, die ihn knacken kann?“, fragte mich Opa. Ich sah ihn erstaunt an und fragte mich dann selber, ob ich wirklich die Person war, die Nicki helfen konnte. Ich hatte es so oft versucht, aber war immer gescheitert, hatte ihn immer wieder aufs Neue verloren. Womöglich hatte ich gar nicht die Kraft es zu bewerkstelligen, womöglich war es gar nicht meine Aufgabe.

„Wenn ich dein Gesicht so betrachte, dann sehe ich, dass du dir wünschst diese Person zu sein“, riss mich Opa mit einem kleinen Schmunzeln aus meinen Gedanken. Seine grauen Haare waren noch voll und er hatte sie wie Paps nach hinten gekämmt. Allgemein sah der alte Mann meinem Paps verdammt ähnlich, doch was erwartete man schon von Vater und Sohn? Sein Gesicht mit den unzähligen Falten und den schokobraunen, freundlichen Augen verzog sich zu einem Lächeln, als er meinen ertappten Gesichtsausdruck sah. Insgeheim hatte ich mir immer gewünscht, das Mädchen zu sein, dass Nicki wieder vertrauen lässt, ihn von seiner harten Schale befreit, ihn abtaut und fühlen lässt.

Goldene Seele 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt