Kapitel 2

13 4 10
                                    

Wenn du es bis hier hin geschafft hast, sieht es so aus, als könnte etwas Brauchbares aus dir werden. Wer auch immer du sein wirst. Diese Spieldose ist nichts Besonderes, es ist eine, wie es sie in jedem Billigladen für Spielartikel gibt. Darauf sollst du nicht deine Energie verschwenden. In dem Schreibtisch ist ein Buch versteckt. Es handelt von der Diplomatie verschiedener Kriege. Mit keinem Worte steht ein Wort über Waffentaktiken und Schutzkleidung, Tausend Seiten voller Gelaber. Um es kurz zu halten, die spannenden Details befinden sich in der handschriftlichen Abschrift dazu. Methoden und Geheimmisse der Diplomatie und Friedensverhandlungen. Ich weiß nicht, wie gut du dich in Geschichte auskennst. Agent Romeos verbrachte viele Jahre damit, sich zu notieren, wie eine Verhandlung aufgebaut werden muss, damit sie erfolgreich ist. Welche Arten von Frieden es gibt und wie dem Diskurspartner gezeigt wird, dass er der gleichen Meinung ist. Nein, viel mehr, dass er selbst auf den entscheidenden Ausgang gekommen ist. Auf die Sache, die über den Ausgang und alle Entscheidungsträger entscheidet.
In einen seiner Texte setzte er es auch mit Manipulation gleich. Nur wer in der Lage ist, ohne Gewalt Macht über andere zu gelangen, hat wahre Macht. Legitimierte Macht. Seine Mittel waren der stete Frieden.
Aber eben das ist auch die Gefahr. Wenn jemand weiß, wie er Friede verbreitet, dann weiß er auch, wie er die Welt in einem Atemzug zerstören kann.

Ich drehte das Blatt um, auf der Suche nach weiteren Worten, doch mehr stand nicht auf dem Zettel. Zumindest nichts Sichtbares. In einem kurzen Hoffnungsschimmer eilte ich zur Lampe und beleuchtete den Zettel, doch die Tinte blieb das einzig Sichtbare. Seufzend sank ich an der Wand zusammen.

Meine Aufmerksamkeit stieg enorm, als zu der rauen männlichen Stimme eine sanftere, weibliche dazu kam. Die Wände trugen die Klänge in den Raum und ich konnte mehr als deutlich hören, worüber die beiden redeten. Oder zumindest hörte ich, was sie sagten. Was nicht heißt, dass ich etwas davon verstand.

„Sie haben mir nie beigebracht, wie ich für Frieden sorge. Sie haben einfach vorausgesetzt, dass ich es kann. Dies ist der größte Auftrag, den ich mir vorstellen kann und du willst mich dazu überreden, es nicht zu tun. Seit wann reden wir eigentlich wieder miteinander."
„Das spielt keine Rolle. Ich will nur, dass du keine unüberlegten Entscheidungen triffst, einfach, weil so viel davon abhängt. Aber es war klar, dass es nichts bringt, dich zu etwas zu überreden."

Meinen Notizblock rauskramend, notierte ich mir schon im Kopf, was ich zu notieren hatte. Klang so, als könne es eine interessante Unterhaltung werden.
Eine Minute verging im Schweigen. Zwei Minuten hektischen auf und ab Gehens folgten. Und dann geschlagene fünf Minuten Anfeindungen und Streitereien.

„Mein Bruder ist schon längst über alle Berge", unterbrach der Mann schließlich die Frau und zwei Minuten eisernen Schweigens folgten.
Bruder, Berge, Frieden, Auftrag, viel Gewicht

Schritte ertönten und entfernten sich. Eine Minute später seufzte die Frau hörbar aus. Ein Klicken erfolgte, als würde jemand einen Knopf betätigen.
„Hier ist niemand. Er war noch nicht da. Oder er ist verdammt gut darin, seine Spuren zu verwischen." Nach ein paar Sekunden schien auch die Frau zu gehen.

Worüber auch immer sie redeten, eines wusste ich mit Sicherheit. Die Frau hatte mir gerade ein Kompliment gegeben. Oh ja, ich hatte gelernt meine Spuren zu verwischen. Viel mehr noch. Ich hatte gelernt, sie gar nicht erst entstehen zu lassen.

Besänftigt setzte ich mich an den Schreibtisch und schlug den alten Wälzer auf. Staub von den zerfledderten Seiten strömte mir entgegen und löste einen Hustenreiz aus. Vermutlich war es sinnvoll, Abschriften anzufertigen. Auf die Zerbrechlichkeit der altertümlichen Gegenstände achtend, griff ich nach dem Tintenfässchen und einer Schreibfeder. Dann spannte ich einen Pergamentbogen in die dafür vorgesehene Einfassung. Tief atmete ich den Duft von alldem ein und ließ den Eindruck auf mich wirken. Erlebnisse, von denen ich in unserem modernen Zeitalter nur träumen konnte. Und ich hatte das getan.

Kratzend krakelte die Feder über den sauberen Bogen Pergament. Würde ich nicht unter Zeitdruck leiden, würde ich mir alle Zeit der Welt nehmen und sorgfältige Abschriften leisten. Mit einer ordentlichen Handschrift. Gut leserlich.

Das erwähnte Notizbuch war in einen roten Einband mit goldenem Band eingefasst. ROMEOS stand in goldenen Großbuchstaben am unteren Rand des Buches. Der Agent schien keinen Wert auf Geheimhaltung zu legen. Gut. Ich auch nicht.

Seine Schrift war fein säuberlich. Und er hatte sogar Fine Liner benutzt. Schön zum unterstreichen. Als hätte er sich wirklich Mühe damit gegeben.

Meine Finger durchblätterten das Notizbuch. Ab und an hielt ich inne, las etwas nach, schrieb mir gegebenenfalls etwas auf. Gegen Ende fiel mein Blick auf eine Kategorie und ich hielt einen Moment inne, um jede einzelne Seite davon zu lesen. Insgesamt zehn eng beschriebene Seiten mit Sprüchen und Zitaten. Aber auch Handlungsabläufe. Und jeder einzelne davon war kommentiert. Es gab Sprüche, bei denen Romeos jedes Wort auseinandergenommen und neu zusammengesetzt hatte. Weitere zehn Seiten vergingen, bevor ein weiteres Schlagwort meine Aufmerksamkeit erweckte.

Der Agent der DoppelmoralWo Geschichten leben. Entdecke jetzt