Kapitel 2

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Mein Herz sackt augenblicklich in den Keller, doch ich lasse mir nichts anmerken und ziehe stattdessen irritiert eine Augenbraue nach oben: „Was will sie jetzt noch, nach dem Abgang?“ – „Kein‘ Plan.“, entgegnet der Halbasiate unsicher, doch ehe er noch irgendwie reagieren kann, legt die gute Dame auch schon wieder auf, „Was meinst du… Soll ich zurückrufen? Mir anhören, was sie zu sagen hat?“

In dem Moment schreit alles in mir danach ihm zu sagen, dass er es nicht tun soll! Dass er sie einfach abhaken soll, zu seinem eigenen Wohl! Doch das ist nicht das, was Julien will, und das sehe ich ihm ganz genau an. Also presse ich die Lippen missmutig aufeinander und nicke kurz: „Du weißt jetzt, was ich denke, aber darauf soll es jetzt nicht ankommen. Du musst das tun, was du für richtig hältst!“

Wieder herrscht Stille im Raum, während Ju tatsächlich angestrengt zu überlegen scheint. Seufzend schließt er seine Augen, bevor er sie wieder öffnet und mit einem entschuldigenden Blick auf meine eigenen richtet. Autsch… Nun ist es an mir zu seufzen und ich lasse mich ernüchtert zurück in Ju‘s Kissen fallen, während der Schwarzhaarige bereits einen Rückruf startet.
Nur mit einem Ohr folge ich den Worten meines besten Freundes und möchte am liebsten dazwischengehen und den Anruf abbrechen, so sehr regt es mich auf. Ich kann zwar nicht hören, was sie sagt, aber anhand seiner Worte weiß ich genau, dass sie wieder einmal dabei ist ihn zu manipulieren.

Das Gespräch geht noch etwa fünf weitere Minuten und inzwischen habe ich mich auch dazu durchringen können, mich ein weiteres Mal aufzusetzen und meine volle Aufmerksamkeit Julien zu widmen, dessen Stimmung immer weiter aufhellte, je länger das Telefonat andauert. Und irgendwann spricht er die Worte aus, von denen ich so sehr gehofft habe, dass er sie nicht sagen würde: „Also, wenn du mir dadurch vergibst, wie du meintest, dann entschuldige ich mich safe bei dir! Ich fühle mich halt auch hart mies deswegen!“ Und wieder hat er nachgegeben… Nicht zu fassen!

Entnervt lasse ich mein Gesicht in meine offenen Handflächen sinken. Nebenbei höre ich mit an, wie Ju mit Nadine ausmacht sich morgen zum Reden hier im Haus zu treffen, bevor er letztendlich auflegt und wohlig aufseufzt. „War ja voll easy! Hätt‘ ich jetzt nicht gedacht.“, sagt er dann zufrieden, woraufhin er einen entgeisterten Blick von mir erntet. „Auf jeden!“, beginne ich dann, meine Stimme vor Sarkasmus triefend, bevor sie mit meinem nächsten Satz wieder todernst wird, „Easy für sie, damit sie dasselbe Spiel in zwei Tagen wieder mit dir treiben kann!“

Kopfschüttelnd steige ich aus dem Bett des Schwarzhaarigen aus, welcher unterdessen genervt aufstöhnt. „Keira, ernsthaft?!“, fragt er, als sein gereizter Blick auf mich trifft, „Du meintest eben noch, ich soll das tun, was ich für das Richtige halte! Das hab‘ ich grade!“ – „Das mag stimmen Ju, aber ich dachte, dass du dir das, was ich dir eben noch gesagt habe, zumindest ein wenig durch den Kopf gehen lassen hast! Aber nein, es ist alles beim Alten!“, predige ich enttäuscht, doch das Einzige, das er macht, ist schweigend den Kopf abzuwenden.

„Weißt du was, Ju? Lass‘ gut sein! Ich merk schon, ich verschwende hier nur unnötig Luft!“, fahre ich entrüstet fort und verlasse dann schnellen Schrittes den Raum ohne, dass noch ein weiteres Wort gesprochen wird.

Im Flur angekommen, mache ich erstmal halt, die Hände vor mir am Metallgeländer abgestützt und nehme einen tiefen zittrigen Atemzug. „Du machst mich fertig, Bam!“, hallt es durch meinen Kopf, während ich angestrengt versuche die aufkommenden Tränen wegzublinzeln. So gern ich mich meinen eigenen Emotionen jetzt hingeben wollen würde, so musste ich erstmal für mich und auch für Ju stark bleiben und mir einen Plan überlegen, um ihn aus dieser toxischen Beziehung rauszuhelfen! Eine ungefähre Idee habe ich bereits, aber dafür würde ich Hilfe brauchen.

Entschlossen stoße ich mich also vom Geländer ab und eile schnurstracks zurück in mein Zimmer. Dort angelangt führt mein Weg mich zu meinem Nachttisch, auf welchen noch immer mein Handy liegt, und ergreife dieses. Schnell entsperre ich den Bildschirm, tippe auf das Telefon-Icon und durchforste meine Anrufliste nach einem bestimmten Namen. Sobald ich diesen gefunden habe, wähle ich ihn aus und stelle direkt eine Verbindung her. Während das Freizeichen ertönt, tigere ich nervös vor meinem Bett auf und ab. „Das muss jetzt klappen!“, flüstere ich mir dabei selbst zu, während das stetige Tuten weiter durch meinen Hörer dringt. Ich fürchte schon mit dem Pessimalfall.

Doch dann…

Hallo?“, kommt es endlich vom anderen Ende und ich kann gar nicht anders, als erleichtert aufzuseufzen. „Hey, ich bin‘s…“, melde ich mich schließlich zurück, „Sorry, habe ich dich geweckt?“ – „Quatsch!“, erhalte ich als Antwort, „Du weißt genau, dass bei mir um 3:15 Uhr längst keine Schlafenszeit mehr ist!“ Ein seichtes Lächeln entfährt mir, bevor ich mich wieder fange und meine ernste Miene zurückkehrt: „Trifft sich gut, ich muss nämlich dringend mit dir reden!“ – „Klar, hau raus!“ – „Nicht am Telefon!“, entgegne ich schnell, „Kann ich rumkommen?“ Irritation prägt die nächsten Worte meines Telefonpartners: „Ja, kein Ding. Aber was ist denn los?“ – „Erfährst du gleich, ok? Ich beeil mich!“, gebe ich wieder, worauf sich die Person am anderen Ende einverstanden erklärt und wir das Gespräch beenden.

Sofort greife ich nach dem erstbesten Hoodie, den ich finden kann, und ziehe ihn schnell über mein Schlafshirt. Die Jogginghose lasse ich unbekümmert an und schon im nächsten Moment schnappe ich mir mein Handy und meine Schlüssel. Schnellen Schrittes verlasse ich mein Zimmer, eile ein weiteres Mal die kurze Wendeltreppe ins Erdgeschoss herab. Dann schnappe mir meine Bam-Shop-Badelatschen aus dem weißen Ikea Kallax-Regal, das links um die Ecke steht, ziehe sie hastig über und mache mich dann auch schon auf den Weg zur Haustür.

„Keira?“

Wie von selbst verharrt meine Hand auf dem Griff der Tür, sobald ich seine Stimme, nicht weit hinter mir, vernehme. Ju… Ich möchte es gerne, dennoch weigere ich mich, mich ihm zuzuwenden. „Keira, was geht jetzt ab, wo willst du hin?“, setzt der Schwarzhaarige erneut an, doch noch immer schweige ich. Unterdessen erlange ich die Kontrolle über meine Gliedmaßen zurück und ich drücke sofort den Türgriff nach unten. Ich bin schon dabei die Tür aufzureißen, als plötzlich eine Hand an meinem Kopf vorbeischnellt und sich gegen die Tür stemmt, welche durch das Gewicht augenblicklich wieder zurück ins Schloss fällt. „Ich mein‘s ernst, Keira! Es ist 3:20 Uhr, wo zur Hölle willst du jetzt noch hin?!“, fragt Julien nun ein weiteres Mal. Er ist jetzt so dicht, dass ich seinen Atem an meinem Nacken spüren kann. Fuck, ich kriege Gänsehaut….

„Geht dich nichts an!“, antworte ich schließlich trotzig und beginne unwillkürlich damit an der Tür zu zerren, glaubend, das würde mir helfen gegen die Kraft des Halbasiaten anzukommen. Von diesen ertönt ein altbekanntes entnervtes Stöhnen, bevor ich schließlich an der linken Schulter gepackt, schwungvoll um 180° herumgedreht werde und mein Rücken urplötzlich mit dem Rahmen der Haustür kollidiert. Dabei ziehe ich erschrocken Luft ein, bevor meine grünen Augen ein weiteres Mal die Tiefbraunen meines besten Freundes treffen. „Sag mal, spinnst du?!“, fragt er aufgebraucht und ich zucke erschrocken zusammen, „Natürlich geht mich das was an! Ich bin dein bester Freund und mache mir Sorgen, wenn ich nicht weiß, was mit dir ist!“

Seine, zu einer Miene gezogenen, Augen bohren sich in meine, doch mir ist nicht danach klein beizugeben: „Ach, meinst du?! Ich glaube nämlich, dass ich das ganz gepflegt ignorieren kann! Machen wir doch jetzt so, oder, Ju?!“ Mein Tonfall hört sich an, als bestünde er aus purem Gift, doch das blende ich aktuell aus. Soll er doch ruhig merken, wie sehr mich das Ganze verletzt, juckt ihn ja eh nicht!

Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, verändert sich Ju’s Haltung. Stutzig entfernt er sich etwas von mir und ich nutze die Gelegenheit, reiße die Tür ein kleines Stück weit auf, um ihn wortlos stehen zu lassen, zwänge mich durch den geöffneten Spalt in der Haustür nach draußen und verschwinde in die Dunkelheit, ohne mich nochmal nach ihm umzusehen.
Aber mal ganz ehrlich: Dieser Moment tut mir grade genauso weh, wie ihm!
Ein weiteres Mal den Tränen nahe, gehe ich trotzdem entschlossen weiter, bis ich schließlich vor einer Haustür stehe.

Ich atme nochmal tief durch die Nase, bevor ich den Klingelknopf betätige. Es dauert auch gar nicht lange, bis schließlich ein Surren ertönt und ich das Treppenhaus betreten kann und schon beginne ich eilig de Stufen zu erklimmen. Oben angekommen, wird mir parallel schon die Wohnungstür geöffnet und ein mir allzu bekanntest Gesicht lächelt mir entgegen.

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Wörter: 1423
Edited:

Keeping you from drowning - Julien Bam x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt