Kapitel 2 - Schlimmer geht immerDie ganze Woche zog sich furchtbar schleppend hin. Leider hatte ich Professor Clarks Kurs am Mittwoch und am Donnerstag erneut. Vor der Mittwochsstunde stiefelte ich entschlossen in die oberste Reihe und setzte mich ganz in die Mitte, um bloß keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Das war genau das Gegenteil zum Rest des Kurses – völlig begeistert von der ersten Stunde, natürlich dem Inhalt, nicht dem abgöttisch heißen Dozenten, waren alle Teilnehmer merklich nach unten gewandert. Ich hielt den Blick gesenkt und spürte trotzdem, wie seine blauen Augen immer wieder auf mir ruhten. Nachdem ich mir am Montag noch einreden konnte, dass mein Körper nur durcheinander war, weil es der erste Tag des Semesters gewesen war, verlief sich diese Ausrede spätestens am Freitag im Sand.
Wieder spürte ich ihn, bevor ich ihn sah und die ganzen zwei Stunden über tanzten winzige Ameisen Samba auf meiner Haut. Wenigstens bekam ich nicht wieder eine Erektion. Irgendwas stimmte ganz gewaltig nicht mit mir.
Ein Déja-vu packte mich, als am Ende der Stunde seine Stimme ertönte: »Mr Johnson, kommen Sie bitte noch kurz zu mir.« Ein Schmetterling drehte einen Salto in meinem Bauch, als ich im hintersten Eckchen meines Unterbewusstseins zur Kenntnis nahm, dass er sich meinen Namen gemerkt hatte.
»Ist alles in Ordnung bei Ihnen?«, erkundigte er sich, als der Großteil der Studenten den Saal geräumt hatte, nicht ohne uns neugierige Blicke zuzuwerfen. Ich wollte eine zusammenhängende, normale, erwachsene Antwort geben, doch mein Verstand war unfähig, einen zusammenhängenden Satz zu formulieren. So nah vor ihm, mit dieser tiefen Stimme nur an mich gerichtet, war die merkwürdige Macht, die er über mich hatte unerträglich stark.
»Mhm«, machte ich wieder nur wenig geistreich.
»Bin ich Ihnen am Montag zu nahe getreten?« Was? Um Gottes Willen, er hatte mir doch bloß eine Frage gestellt. Machte ich wirklich einen derart mickrigen Eindruck.
»Nein, alles gut.«
»Was ist es dann? Ist es meine Vorlesung, mit der Sie unzufrieden sind?«
»Äh ... nein, natürlich nicht. Ich wollte Sie nicht stören, sorry, falls ich Sie gestört habe.« Alles was aus meinem Mund blubberte, machte absolut keinen Sinn, aber mein Kopf fühlte sich zu neblig an, um einen klaren Gedanken zu fassen.
»Sehen Sie mich an.« Die Anweisung floss mein Rückenmark hinab wie flüssiges Silber und ich erschauerte. Gleichzeitig spürte ich ein vertrautes Kribbeln in einer Region, in der es definitiv nichts zu suchen hatte. Oh bitte nicht!Ich blickte zu ihm auf und konnte nicht anders, als ihm direkt in diese strahlend blauen Augen zu schauen, die mich auf unergründliche Art und Weise musterten.
»Sie haben mich nicht gestört, ich hatte nur das Gefühl, dass Sie am Mittwoch und heute nicht wirklich anwesend waren. Das Semester ist noch jung und wenn ich Ihnen helfen kann, jetzt noch die Kurve zu kriegen, würde ich das gern tun.« Oh Himmel, er dachte, ich wäre jetzt schon mit dem Stoff überfordert. Ich war das erbärmlichste Wesen, das je auf dieser Erde gewandelt ist!
»Ich hab Ihnen zugehört.« Es kostete mich große Anstrengung, klar und deutlich zu sprechen, während unsere Blicke miteinander verschränkt waren. Er straffte die Schultern.
»In dem Fall hätte ich nächste Woche nicht nur gern Ihre Ohren, sondern auch Ihren Mund und Ihren Verstand.« Er wollte meinen Mund ... Was ist kaputt bei dir!? Wieder spürte ich die Röte in meinen Wangen aufsteigen.
»Ja, Sir.« Ich senkte schnell wieder den Blick, bevor seine durchdringenden Augen den Grund finden würden, warum ich so peinlich berührt war. Er deutete auf einen Sitzplatz in der ersten Reihe, genau in der Mitte.
»Nächste Woche werden Sie dort sitzen.« Mein Herz rutschte in die Hose. Musste das sein? Aber ich traute mir nicht zu, ihm jetzt zu widersprechen.
»Okay.«
»Gut, dann wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende.« Mit diesen Worten entließ er mich. Meine Gedanken rasten auf dem Weg zur Sporthalle. Ich war 500 Meilen weit weggezogen, um einen Neuanfang haben zu können, doch so hatte ich ihn mir nicht vorgestellt. Neue Umgebungen mit vielen Menschen und sozialem Konformitätszwang waren nie einfach für mich, aber einen Körper, der urplötzlich beschloss, dass er jetzt schwul war, hatte ich einfach nicht mit eingerechnet.
Dabei war ich nicht schwul! In der HighSchool hatte ich eine Freundin gehabt und an meiner vorherigen Uni hatte ich zumindest zwei mehr oder weniger befriedigende One Night Stands gehabt. Wenn ich masturbierte sah ich weibliche Kurven und lange Haare vor mir. Noch nie hatte ein Mann meine sexuelle Aufmerksamkeit erregt. Und jetzt bekam ich in einer Woche direkt zweimal eine Erektion, weil mein Professor mit mir redete!?
Die Umkleiden rochen unangenehm nach Schweiß und billigem Deo. Da ich keinen Sport trieb, hatte ich auch keine speziellen Sportsachen – stattdessen zog ich mir einfache kurze Shorts und eins meiner grauen T-Shirts an, ehe ich mit schlechter Laune die Halle betrat. Anscheinend erfreute sich der Selbstverteidigungskurs nicht allzu großer Beliebtheit, was ich daraus schloss, dass nur knapp 20 Leute aufgetaucht waren. Wenigstens war die Anzahl an Männern und Frauen einigermaßen gemischt. Ich hielt mich hinter der Gruppe auf, die sich automatisch im Halbkreis aufstellte. Vor mir wurden Namen und Lächeln ausgetauscht, doch ich war immer noch zu sehr mit meinen eigenen Dämonen beschäftigt, um mich durchzuringen, mich irgendwo dazuzustellen.
»Guten Tag zusammen.« Mir gefror das Blut in den Adern, als eine laute männliche Stimme ertönte. Die Sporthallenwände schienen zu vibrieren mit dem Timbre seiner Stimme. Zum zweiten Mal diese Woche hatte ich das Gefühl, von jemandem mit bloßen Worten durchdrungen zu werden.
Meine Augen flogen suchend durch den Raum und landeten auf eine, Gesicht, das aussah, als sei es das Ergebnis eines unheimlich begabten Bildhauers. Hohe, scharfe Wangenknochen, volle Lippen, ein breiter Nasenrücken und grüne Augen, die mich direkt ansahen. Ich schluckte. Was war in dieser Stadt im Wasser, dass die Männer so aussahen!? Alles an diesem Mann war pure Männlichkeit. Seine Unterarme spannten unter dem schwarzen T-Shirt und seine Bauchmuskeln zeichneten sich unter seiner breiten Brust ab. Er musste über 1,90m groß sein, mit dunkelbraunen Haaren, deren Farbton sich perfekt in seinem dunklen Bartschatten wiederfand.
»Mein Name ist Devon Roux und glauben Sie mir, ich weiß, dass es angenehmere Dinge gibt, als seinen Freitagnachmittag in einer stickigen Sporthalle verbringen zu müssen.« Noch immer lagen seine Augen auf mir – er hatte nicht einmal geblinzelt. So langsam mischte sich zu der Verwirrung und der Anspannung ein nagendes Gefühl, das mir ganz und gar nicht gefiel. So als würde ich etwas verpassen, was so offensichtlich im Raum hing, dass jeder andere es sah, nur ich nicht.
»Unsere Veranstaltung nennt sich zwar Selbstverteidigungskurs, aber um dem ganzen einen etwas förmlicheren Touch zu geben, würde ich mich gern an verschiedenen Kampfkunsttechniken mit Ihnen entlanghangeln. Wer von Ihnen hat Erfahrung mit irgendeiner Kampfsportart?« Hier und da gingen zaghaft ein paar Hände hoch, doch der Großteil schien blutige Anfänger zu sein.
Anders als die anderen Dozenten diese Woche führte er seine Vorstellungsrunde nicht erst aus und erzählte uns von sich und seinem Werdegang, sondern forderte uns relativ schnell auf, die Matten aus dem Lagerraum zu holen, damit wir anfangen konnten. Wie sich herausstellte, waren wir 19 Leute, sodass einer keinen Partner bekam – und wie hätte es anders sein sollen, natürlich war ich dieser jemand. Ich stellte mich zu einem Jungen und einem Mädchen, die ein Paar gebildet hatten, und lächelte unbeholfen.
»Darf ich vielleicht bei euch mitmachen?«
»Ja klar.« Unsicher lungerte ich in ihrer Nähe rum, während sie angeregt Smalltalk hielten. Mr Roux erklärte, dass er zunächst sichergehen wollte, dass jeder von uns wusste, wie man korrekt fiel. Die anderen tauschten irritierte Blicke aus, doch ich verteilte innerlich einen großen Pluspunkt an ihn. Aus der Grundausbildung wusste ich, wie schmerzhaft es war, wieder und wieder und wieder auf dem Boden zu landen – eine vernünftige Falltechnik zu beherrschen, hätte mir eventuell etwas geholfen.
Er demonstrierte eine vom Judo stammende Außensichel an einem der schwereren Männer im Kurs, der sich anschließend ächzend auf dem Boden räkelte. Anschließend ließ er uns aufeinander los.
»Ich will es richtig klatschen hören! Glaubt mir, es ist wesentlich besser, die Energie mit der Hand an den Boden abzugeben als mit dem Hinterkopf.« Meine beiden Partner stellten sich gegenüber voneinander auf und packten sich sogleich am Arm und an der Schulter. Das Mädchen kicherte begeistert, als sie spielerisch begannen zu rangeln. Ich wandte betont den Blick ab und beobachtete die anderen Paarungen. Die meisten näherten sich ihrem Partner sehr zaghaft, ehe sie ihn wie in Zeitlupe eher auf dem Boden ablegten, als ihn zu Fall zu bringen. Nachdem er mit der Teilnehmerliste kontrollierte, dass die Anzahl der Teilnehmer stimmte, begann Mr Roux, Runden über die Matte zu drehen. Selbst wenn ich ihn nicht anschaute, spürte sich seine Präsenz, als würde sie mich wie Nebel umschließen. Das Gefühl, das ich spürte, diese innere Unruhe und das Kribbeln, war dem, wie ich mich in Clarks Hörsaal fühlte sehr ähnlich. »Was ist mit Ihnen?« Ich zuckte zusammen, als ich seine Stimme plötzlich direkt neben mir vernahm. Unweigerlich machte ich einen Schritt zurück. Ich musste den Kopf leicht in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Von Nahem sah er sogar noch perfekter aus, als wäre jeder seiner Züge mit einem exakten Pinselstrich gemalt worden.
»Wir wechseln uns ab«, erklärte ich, während meine ‚Partnerin' just in dem Moment, ihr Bein um das Bein ihres Pendants schlang und bei dem Versuch, es wegzuziehen, stolperte und auf die Nase fiel. Verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf. Er hob die Augenbrauen, kommentierte das Ganze aber nicht. Stattdessen schaute er wieder mich an.
»Waren Sie schon an der Reihe?«
»Äh ... nein.« Panik durchzuckte mich, als er mit dem Kopf ins rechte Eck der Matte deutete.
»Dann kommen Sie, Sie können ein paar Runden mit mir üben.« Das Blut schien mir schlagartig aus dem Kopf zu schießen. Ich sollte ... ihn anfassen?
»Das ist wirklich nicht nötig, danke. Wir wechseln gleich.«
»Das war keine Bitte.« Obwohl er mir dabei zuzwinkerte, ließen die Worte mein Herz einen Schlag aussetzen. Widerwillig folgte ich ihm. Wie stellte er sich das überhaupt vor, er war ein mit Muskeln bepackter Riese – im echten Leben hätte ich nicht den Hauch einer Chance gegen ihn. Verbotenerweise zeichnete mein Verstand plötzlich ein flüchtiges Bild davon, wie sich die Muskeln auf seinem Oberarm anspannten, während er nach mir griff und mich zu sich zog. Wenn ich nicht wollte, dass das hier das oberpeinlichste Moment meines gesamten Lebens – in dem es viele peinliche Momente gegeben hatte – wurde, musste ich dringend an etwas anderes denken. Ich war nicht schwul!
Er drehte sich so plötzlich zu mir um, dass ich quasi in ihn hineinstolperte. Ich tendierte zwar immer zu einem gewissen Maß an Unbeholfenheit, aber dass ich dermaßen neben mir stand, war selbst für mich nicht der Status quo.
»Na komm, ich beiße nicht.« Er schenkte mir ein atemberaubendes Lächeln und winkte mich zu sich heran. Dieser männliche, herbe Geruch, der mich plötzlich umfing, machte alles nur noch schlimmer. Seltsamerweise roch er nicht, als hätte er sich ein teures Aftershave an den Hals geschmiert, sondern als wäre das einfach ... er. Sein Geruch erinnerte mich an Moos, frisch geschlagenes Holz und ... Sex. Hastig blinzelte ich, um die Bilder aus meinem Kopf zu vertreiben. Ich war zwar nicht unbedingt prüde, aber so ein Lustmolch war ich normalerweise definitiv nicht. Ich fühlte mich, als hätte mir jemand einen Virus in den Kopf geladen, der mich ganz langsam auffraß und meine Gedanken mit Sex verseuchte.
»Wie ist dein Name?« Seine Stimme war eine Nuance leiser geworden, was ihr eine verführerisch rauchige Note verlieh. Himmel Herrgott!
»Henry Johnson.«
»Freut mich Henry, nenn mich Devon. Hast du Erfahrung mit Kampfsport?« In dem Versuch meinen Kopf frei zu bekommen, nahm ich den Blick aus seinem Gesicht, nur um festzustellen, dass sich auf dem Weg nach unten eine sehr breite Brust, muskulöse Unterarme und eine locker sitzende Shorts befanden. Ich schluckte und schüttelte hastig den Kopf.
»Gut, dann fangen wir ganz langsam an. Um warm zu werden, wirst du mich ein paar Mal zu Fall bringen und dann wechseln wir, schließlich geht es darum, dass du lernen sollst, richtig zu fallen.«
Mit pochendem Herzen trat ich an ihn heran und streckte die Hände nach ihm aus. In dem Moment, in dem sich meine rechte Hand um seinen linken Unterarm legte, durchfuhr mich ein elektrischer Schlag. Ich zog scharf die Luft ein und die Hand weg. Hatte er das auch gespürt? Ich lachte unbeholfen. »Oh man, diese Matte lädt einen ganz schön auf.« Das war völliger Schwachsinn.
Diesmal bekam ich keine gewischt als ich ihn berührte, dafür breitete sich ein viel zu angenehmes Kribbeln in meinem Oberkörper breit. Die linke Hand legte ich auf seine rechte Schulter, wodurch ich noch einen Schritt näher an ihn herantreten musste. Dieser Geruch... So nah vor ihm wurde mir wieder sehr deutlich bewusst, wie riesig er war. Wenn ich gerade aus schaute, blickte ich auf die Kuhle, in der seine Kehle und sein Schlüsselbein zusammenliefen. Wie gern hätte ich jetzt meine Nase darin vergraben und hätte ihn inhaliert.
»Gut«, lobte er mich, obwohl ich noch überhaupt nichts gemacht hatte. Unter dem ganzen Nebel der Verwirrung spürte ich einen kleinen Funken meines eigentlichen Selbst aufflammen. Er war zwar viel zu groß und zu stark für mich, aber wenn ich ihn überrumpelte, hatte ich eine gute Chance, ihn zumindest einmal richtig von den Füßen zu holen.
Er öffnete den Mund um mir zu erklären, was ich als Nächstes tun sollte, doch da machte ich schon einen Schritt nach vorn und ohne zu lange darüber nachzudenken, holte ich aus und traf seine Wade mit meiner Rechten. Gleichzeitig übte ich Druck auf seine Schulter und seinen Unterarm aus, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Als ich mir sicher war, seinen massigen Körper in Bewegung gebracht zu haben, umklammerte ich seinen linken Arm mit beiden Händen, um zu verhindern, dass er ungebremst mit dem Hinterkopf auf dem Boden aufschlug. Ich konnte mir das Lächeln nicht verkneifen. Es fühlte sich gut an, ein kleines bisschen Kontrolle über die Situation zurückgewonnen zu haben. Devon blickte zumindest minimal überrascht zu mir auf, ehe er ebenfalls grinste und sich aufrappelte.
»Nicht schlecht«, erkannte er an und brachte sich wieder in Position.
»Nochmal.« Ich wiederholte das Ganze zweimal, wobei es nicht das Gleiche war, wie ihn zu überraschen.
»Wie wäre es mit einer kleinen Herausforderung?« Ich hob fragend die Augenbrauen und fuhr mir durch die Haare.
»Wenn ich es schaffe, dich zuerst zu Boden zu bringen, verrätst du mir, warum du gelogen hast und woher du deine Nahkampferfahrung hast.« Mein Herz rutschte in die Hose. Na toll.
»Und wenn Sie zuerst am Boden liegen?« Das war absolut unrealistisch, jedenfalls wenn er sich anstrengte und tatsächlich bewegte, statt nur versteinert dazustehen. Ich wusste das und er wusste es auch.
»Dann trage ich dir eine 1,0 für den Kurs ein und du musst den Rest des Semesters nicht mehr erscheinen.« Mein Mund klappte auf. Okay, er musste sich verdammt sicher sein, dass ich keine Chance gegen ihn hatte. Die Herausforderung in seinen Augen und das verschmitzte Grinsen auf seinen Lippen kitzelten etwas in mir.
»Abgemacht.« Wahrscheinlich war das völlig hirnrissig, aber ich genoss das Gefühl des Adrenalins, das sich in meinem Körper breitmachte und die Herausforderung, mit ihm nicht nur als Dummy, sondern als Gegner zu arbeiten, gefiel mir. Tatsächlich hatte ich nicht wirklich viel Nahkampferfahrung, wie er es nannte, aber ich hoffte einfach, dass es reichen würde. Unbeholfen stand ich ihm gegenüber. Was jetzt? Sollte ich ihn angreifen oder warten, bis er angriff und hoffentlich einen Fehler dabei machte. Während ich überlegte, welche Strategie am besten war, stand er einfach entspannt da und musterte mich. Testhalber machte ich einen Satz auf ihn zu, dem er elegant mit einem großen Schritt auswich. Gerade noch rechtzeitig nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie seine linke Hand nach mir griff und stolperte zurück, sodass er ins Leere griff. Wir begannen uns zu umkreisen. Ich täuschte einen erneuten Schritt an und wollte ihn beim Ausweichen auf der anderen Seite abpassen, doch er grinste nur breiter und bewegte sich einfach überhaupt nicht, wodurch ich aussah wie ein herumzappelnder Anfänger. Dass im Raum noch 18 andere Menschen waren, blendete ich vollkommen aus. Im Moment gab es nur noch dieses heiße Exemplar von Mann und mich.
Urplötzlich machte er einen großen frontalen Schritt auf mich zu. Ich erschrak und stolperte über meine eigenen Füße, sodass ich auf meinem Hintern landete. Schnell sprang ich wieder auf.
»Das zählt nicht!« Er lachte laut und das war das schönste Geräusch, das ich die ganze Woche gehört hatte.
»Schon gut, Kleiner.« Das Blut rauschte mir in die Wangen. Kleiner. Kleiner? Kleiner! Warum um alles in der Welt klang dieses demütigende Wort aus seinem Mund wie der zärtlichste aller Kosenamen?
Um zu verhindern, dass ich wieder völlig abdriftete, entschloss ich mich, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Ich tänzelte um seinen Griff herum, griff nach seiner Schulter, positionierte mich auf seiner Höhe und probierte erneut, ihn zu sicheln. Statt wie beim ersten Mal sein Bein in Bewegung zu setzen, traf meine Wade auf seine und erreichte damit rein gar nichts. Stattdessen spürte ich, wie meine Hand grob von seiner Schulter gezogen wurde, spürte wie mein Arm stattdessen um seinen Oberkörper gelegt wurde und verlor den Bruchteil einer Sekunde später den Kontakt zum Boden. Es tat weh. Der Aufprall presste mir sämtliche Luft aus den Lungen und bevor ich nach Luft schnappen konnte, war er bereits über mir. Mein linker Arm wurde von einem kräftigen Knie an meinen Körper genagelt, mein anderes Handgelenk wurde gepackt und neben meinem Kopf festgehalten. Um meinen Unterkörper zu fixieren, schob sich ein kräftiger Oberschenkel zwischen meine Beine, um das linke Bein vollständig einzuklemmen. Nicht nur dass der Sack mich geworfen hatte, er hatte mich auch noch fixiert. Als sich mein Sichtfeld wieder scharf stellte, sah ich ihn triumphierend über mir knien und mir wurde ganz anders, als ich mir schlagartig seiner körperlichen Nähe bewusst wurde.
»Tja Kleiner, die Runde geht an mich.« Das war zu viel. Ohne dass ich irgendwas dagegen tun konnte, brach der Damm und mein Blut sammelte sich zwischen meinen Beinen. Nein, nein, nein!, flehte ich meinen Schwanz an, der sich in genau jenem Moment dazu entschied, aktiv zu werden und von unten gegen den breiten Oberschenkel zu drücken, der mich gefangen hielt. Devons einzige Reaktion darauf war ein kaum merkliches Heben seiner Augenbraue – Überraschung, Ekel, Abscheu? Das nervige Gefühl von Tränen, die hinter den Augen brannten, machte sich breit. Die Demütigung war einfach zu viel für mich. Als ich panisch an meinen Armen zog, ließ er mich gehen. Ich stieß mich unter ihm hervor, sprang auf und rannte in die Umkleidekabine.
Das war wahrscheinlich der demütigendste Moment in meinem ganzen Leben – und beim Militär hatte es viele davon gegeben. Mit flacher Atmung und zitternden Händen ließ ich mich auf eine der Bänke sinken, ehe ich das Gesicht in den Händen vergrub. Ich befürchtete, dass er Anstalten machen könnte mir zu folgen, weswegen ich hastig meine Schuhe anzog und meinen Rucksack aus dem Spind holte. Mit Scheuklappen auf und einem roten Tuch vor dem Gesicht, stürmte ich aus der Umkleide und entfernte mich so schnell es ging von der Sporthalle, die ich hoffentlich nie mehr betreten musste.
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Alpha's Treasure
Loup-garouEin Neuanfang war alles was ich wollte, als ich in der 500 Meilen entfernte Colorado zog, fern ab von Familie, unerfüllten Ansprüchen und unschönen Erinnerungen - nur meine Bücher und ich. Dass ich ausgerechnet drei Alpha-Wölfen in die Arme stolpern...