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«4» scream

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Die nächsten Tage mit Nummer 721 verstreichen ohne weiteren Zwischenfall.
721 lebt sich mit jeder Sekunde mehr ein. Inzwischen kennt er die Wege, die ich wähle, um von der Küche zu meinem Zimmer, ins Wohnzimmer und ins Bad zu gelangen.

Interessant ist, dass er scheinbar niemandem von unserem kleinen Aufeinandertreffen vor ein paar Nächten erzählt hat.

Niemand hat mich gefragt, was ich mir dabei gedacht habe, mich mitten in der Nacht ohne Begleitung nach draußen zu schleichen.

Und niemand hat den Code für die Hintertür geändert. Bei meinen weiteren nächtlichen Spaziergängen wurde ich nicht mehr gestört. Lediglich sein Schatten zeichnet sich manchmal hinter einem der Fenster ab. Manchmal bleibt er gänzlich unsichtbar.

Dennoch hasse ich ihn dafür, dass er mir diese Freiheit genommen hat, die ich in meinem Kopf ausleben konnte.

Ja, ich befinde mich dort draußen immer noch hinter Mauern, aber bis vor ein paar Tagen war ich allein. Jetzt weiß ich, dass ich beobachtet werde. Mein letztes, gut gehütetes Geheimnis wurde gelüftet, gehört nicht mehr mir allein und hat damit fast jeden Anreiz für mich verloren.

Der Beweis, dass die lebendige Nummer ihren Mund gehalten hat, ist, dass Dad mich bis jetzt in Ruhe gelassen hat, was auch bedeutet, dass ich noch nicht mit ihm darüber diskutieren konnte, dass er meine Leine etwas lockerer lassen soll.
Ich presse meinen Daumen an meine Lippen und überlege, wie ich diese Forderung am besten in Worte verpacken kann.

Darüber hinaus hat sich nicht viel verändert. Mein zweiter Schatten ist noch immer stumm wie ein Fisch. Sein Blick streift mich höchstens, wenn ich am Morgen das erste Mal an ihm vorbeilaufe.

Am ersten Nachmittag mit ihm vor meiner Tür habe ich mir versucht einzureden, dass ich die Funkstille gar nicht so schlecht finde.

Keine nervigen Fragen, kein ödes Kennenlernen, kein dummes Gehabe von wegen: "Ah, ich weiß, was du meinst; die mag ich auch; das interessiert mich auch."

So muss ich mich nicht erklären, auch wenn ich mich in seiner Gegenwart unglaublich verurteilt fühle. Vielleicht liegt es an seinem Blick, dem geraden Mund oder der betont entspannten, gelangweilten Haltung. Schuld an meinem Empfinden sind jedenfalls nur Dad und die Art, wie er unser erstes Treffen inszeniert hat.

Ich habe versucht, ihn mir als einen Roboter vorzustellen. Einen leblosen Körper. Wirklich nur eine Seriennummer, die vom Band gelaufen ist und ihre Befehle über Nullen und Einsen bekommt.

Aber wenn ich ihn mir so ansehe, wie er da neben der Tür steht, die Arme verschränkt, den Blick geradeaus gerichtet, die Schultern gestrafft ... Und nach dem, was er getan – oder vielmehr nicht getan – hat...

Er ist ein Mensch und diesen Fakt kann ich nicht ausblenden. Ich kann ihn nicht ausblenden.

Ich kann immer noch seine Schritte in der Dunkelheit hinter mir hören und spüren, wie mein Herz mir bis zum Hals schlägt. Dieser elektrisierende Rausch, der mich erfasst hat, als er mir hinterher jagte und ich nicht wusste, wer er war.

Seine dunklen Augen im Mondlicht, seine geöffneten Lippen, fast so, als wolle ein Wort für mich über sie kommen...

"Tracy!"

"Ja?"

Meine Augen reißen sich von Nummer 721's Hals los und richten sich auf Maddie, unsere Haushälterin.

"Behalte deine Augen bei dir oder auf dem Speiseplan für nächste Woche", flüstert sie und streicht sich über ihr streng hochgestrecktes, gefärbtes Haar.

Ich nicke knapp, kann es aber nicht verhindern, dass ich mich noch einmal umdrehe, um herauszufinden, ob er mich beobachtet.

Natürlich tut er das nicht. Ich presse meine Knie unter der Bar zusammen und greife erneut nach dem Speiseplan.

Bodyguarded [a spicy Romance🔥]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt