Antworten?

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Marianne hockte sich neben Lisa und legte langsam ihren Arm um sie. „Komm, wir müssen jetzt nicht zur Schule wenn du nicht willst, aber wir müssen gehen. Lisa ich verstehe dich doch, aber wenn wir jetzt hier sitzen, dann werden wir ihr auch nicht helfen." sprach Marianne verzweifelt. 

Sie merkte wie auch ihr Tränen in die Augen stiegen, doch lange würde sie sie nicht zurückhalten können, jedenfalls nicht, wenn sie noch weiter hier neben Lisa hockte. Sie fing an Lisa hochzuziehen bis Lisa kraftlos auf zwei Beinen stand. Auch wenn sie nicht geweint hatte waren ihre Augen dennoch geschwollen. Bei ihrem Anblick flossen langsam die so sorgfältig zurückgehaltenen Tränen Mariannes Wangen in kleinen Wasserfällen ihre Wangen hinunter. 

Zwar konnte Marianne sich Lisas Situation nur ansatzweise vorstellen, doch bereitete ihr der Anblick schon Trauer. Lisas Mund war trocken und es bereitete ihr große Mühe zu sprechen, doch dennoch tat sie es. „Wir müssen hier bleiben.". „Was?". Lisa bemerkte wir ihr langsam kalt wurde und verschränkte müde ihre Arme. 

Sie spürte wie all ihre Muskeln sich vor Kälte zusammen zogen. „ Wir müssen rekonstruieren was an dem Tag passiert ist. Wir müssen den Weg noch einmal entlang gehen." flüsterte sie unbehaglich. Auch in Marianne machte sich langsam ein Unbehagen breit. Beiden lief ein kalter Schauer über den Rücken.Sie waren unschuldig an Kims verschwinden, oder? Waren sie unschuldig? Dank ihnen war sie überhaupt losgerannt. 

„Ja, du hast recht, aber mir ist nicht wohl dabei." antwortete Marianne ihr. Sie machten sich auf den Weg zu einer Stelle, die sich kurz vor der Schule befand, wo man sie nicht sehen würde. Normalerweise schwänzte Lisa nicht den Unterricht, doch man muss manchmal Prioritäten setzten. Wäre sie in diesem Moment ehrlich zu sich gewesen, so wäre sie vermutlich lieber zur Schule gegangen, doch die meisten Menschen bringen es leider am besten fertig sich selbst anzulügen und so wollte Lisa trotz ihres Unmuts nichts anderes tun als nach Hinweisen zu suchen. 

Als sie schweigend zu der Stelle liefen dachten sie über ihr Leben nach. Jeder für sich und aus natürlich völlig anderen Perspektiven und doch dachten sie gleich. Jede glückliche Erinnerung kam ihnen so unwirklich vor wie aus einem Film in den ihre Gesichter geschnitten wurden. 

Als sie nach weiterem bedrückendem Schweigen endlich an der Stelle angekommen waren fingen sie an den Weg zu rekonstruieren und nach jedem, noch so kleinen Hinweis zu schauen. Nach und nach wurden die Häuser wieder dreckiger und versiffter. „Wir müssen hier lang." rief Marianne Lisa zu, die völlig orientierungslos in die falsche Richtung gestapft war.

 Als sie sich umdrehte und zögerlich nickte sah man ihr an, dass ihr noch kälter geworden war. Sie zitterte am ganzen Leib und klapperte mit den Zähnen, auch wenn die Temperatur nicht gesunken war. Marianne nahm sie kurz in den Arm und fügte noch hinzu, dass sie jetzt weiter gehen müssten. 

Sie nahm die völlig aufgelöste Lisa an die Hand und ging mit ihr weiter auf die Gasse in der Kim am Vortag verschwunden war zu, bis sie plötzlich Stimmen in der Gasse hörten.

 „Bist du fertig?" fragte die erste Stimme. Sie war sehr tief. „Ja. Die Polizei wird nichts finden." Mit einem lauten Knall schloss sich eine Autotür. Lisa und Marianne duckten sich schnell hinter einen verdorrten Busch. Lisa holte hektisch ihr Handy heraus und öffnete ihre Kamera um, um die Ecke des Hauses an welchem sie sich befanden, ein Foto mit ihrer Kamera machen zu können. 

Ein Knattern. Der Motor wurde angemacht. Als Lisa ihr Handy vorsichtshalber wegzog in der Erwartung, dass der Wagen gleich an ihnen vorbeifahren würde schaute sie auf das Foto. Man konnte einen blauen Lieferwagen von einer Handwerkerfirma entdecken und auf dem Boden lag eine Karte, wie man sie für Hochsicherheitsgebäude benutzt. 

Die Karte lag da, als wollte sie rufen nimm mich mit, wo ich schon hier liege doch schon ging die Beifahrertür des Autos auf. „Was machst du da?!" brüllte die erste Person dem Beifahrer entgegen. „Meine Karte ist heruntergefallen." entschuldigte sich der Beifahrer. 

Es schien als hätte er ernsthafte Angst vor dem Fahrer, wie man sie nur vor seinen Vorgesetzten haben konnte. Rasch bewegte er sich auf die Karte zu und hob sie hastig auf. Als er sich in der kurzen Zeit in der er gebückt war sich umschaute stockte Lisa der Atem. Der Busch war sehr klein. Was wäre wenn man sie entdecken würde? Ihr Atem wurde unregelmäßiger und sie musste sich konzentrieren leise zu Atmen. 

Normalerweise Atmet man leise und das eigene Umfeld bemerkt es gar nicht. Es ist eigentlich der natürlichste Prozess der Welt und geht vollkommen unbemerkt von statten, doch in solchen Momenten kommt einem selbst das sonst so gut verdrängte Atmen zu laut vor und man versucht es zu unterdrücken, wobei man unweigerlich darauf achten muss überhaupt zu atmen. 

Vor lauter Anstrengung wurde Lisa rot im Gesicht. Das Blut stieg ihr in den Kopf und das Bedürfnis laut durchzuschnaufen wurde immer aufdringlicher. Als der Mann endlich wieder im Auto verschwand und das Auto aus der Gasse neben ihnen herfuhr wagte sie es immer noch nicht zu atmen. 

Erst als sie das Auto hinter einer weiteren Ecke verschwinden sah traute sie es sich zu verschnaufen. „Zeig nochmal das Foto. Vielleicht sieht man die Firma auf dieser Karte" forderte Marianne sie auf. Als Lisa dabei war das Foto aufzurufen schwitzen ihre Finger und das Handy glitt ihr fast auf ihren Fingern. Vielleicht war es die Nervosität die sie zum Schwitzen brachte, vielleicht war es aber auch etwas anderes. Angst.

Wer bin ich?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt