Kapitel 1 - Hiro

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Leise drangen die Stimmen verschiedener Leute an ihn heran. Ihre Unterhaltungen handelten von allen möglichen Dingen des Alltages; vom Arbeitsstress, der Familie oder aber – und das hauptsächlich – von dem Studieren und dem Sport. Das war wenig überraschend, denn in dem Restaurant hielten sich immerzu viele Studenten auf, was an der Nähe zur NSSU, der Nippon Sport Science University oder auch einfach Nittaidai lag. Kasamatsu Yukio war selbst Student an dieser Hochschule, und das bereits im dritten Semester. Er war nach wie vor unsagbar stolz, dass er es geschafft hatte, ein Stipendium an dieser hochrenommierten und privaten Universität zu bekommen, denn das war alles, aber kein Geschenk gewesen. Auch jetzt noch trieb er sich zu Höchstleistungen, um dieser Chance gerecht zu werden.

„Du ziehst ein Gesicht, wie sieben Tage Regenwetter, weißt du das eigentlich?" Kasamatsu wurde hellhörig und richtete den Blick von seiner Schüssel auf. Er war nicht allein in dem Restaurant, nein, stattdessen war er von seinem Kommilitonen Okamura Kenichi begleitet worden. Dieser studierte ebenfalls an Nittaidai, jedoch in einem anderen Studiengang. Während Yukio das Ziel verfolgte, Sporttherapeut zu werden und dafür Sportwissenschaften studierte, war Okamura weiterhin Athlet geblieben und studierte Sportmanagement, um sich und seine eigene Karriere besser organisieren und vermarkten zu können. Ein paar ihrer Kurse und Vorlesungen überschnitten sich, weshalb sie auch neben ihre gemeinsamen Spiele als Team Strky miteinander zu tun hatten. „Vielleicht, weil es seit sieben Tagen regnet? Es ist Juni – die Regenzeit", entgegnete Kasamatsu sachlich, ehe er sich ein Stück Gemüse aus seiner Schüssel Oden herauspickte und aus dem Fenster sah, an welchem sie saßen. Auch jetzt prasselten die dicken Regentropfen unaufhörlich auf die Erde nieder und schlugen dabei plätschernd auf. „Da steckt doch noch mehr hinter", hörte er Kenichi erwidern.

Stoisch wie der Schwarzhaarige nun einmal war, schloss er lediglich seine Augen und seufzte lautlos. Vermutlich steckte hinter seinem aktuellen Gemüt wirklich mehr als das gegenwärtige Wetter. Nicht nur vermutlich, ihn beschäftigte derzeit etwas Bestimmtes, das sicherlich der Grund dafür war, warum seine Laune ein wenig schwankte. „Ich muss in diesem Semester noch ein Projekt abschließen und offen gestanden weiß ich noch nicht so recht, wie ich das angehen soll. Bis zum Ende des Semesters ist noch Zeit, allerdings will ich es nicht länger vor mich hinschieben." Es war überhaupt nicht seine Art, sich vor Arbeiten oder Aufgaben zu drücken. Deshalb belastete ihn nicht nur seine Ratlosigkeit bezüglich des Projekts, sondern auch die Tatsache, dass er in dieser Hinsicht gegen seine eigenen Prinzipien handelte. Und das war frustrierend und demotivierend. „In was für einem Themenbereich musst du dein Projekt halten?", fragte Kenichi. Der Größere glaubte zwar nicht, dass er eine große Hilfe in solchen Angelegenheiten sein konnte – er war nicht ansatzweise so schlau, einfallsreich oder kreativ wie der ehemalige Spieler der Kaijō – doch er wollte ihm zumindest ein offenes Ohr schenken. „Sportpsychologie. Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich dabei um psychologische Aspekte wie Motivation, Selbstvertrauen, Stressbewältigung und Gruppendynamik. Ist nicht ganz einfach, darüber ein Projekt zu halten..." Es war nicht so, als hätte Yukio überhaupt keine Ideen. Er war nur nicht wirklich von diesen überzeugt. Jeder konnte ein liebloses Projekt erstellen, dass den Anforderungen genügte, sodass man bestand und weitermachen konnte. Doch das war nicht sein Ziel, so wollte er nicht sein Semester bestehen.

„Hm..." Das war zunächst alles, was Okamura dazu erwiderte. Er legte die Schüssel mit seinen Ramen an seine Lippen und trank einen ordentlichen Schluck aus dieser. Es schien fast so, als würde er währenddessen überlegen. „Ich habe keine Ahnung, wie man dir helfen kann", war dann seine stumpfe Antwort, während er die Schüssel lautstark wieder abstellte. Obwohl Kasamatsu nichts erwartet hatte, war er dennoch enttäuscht worden. Das tiefe Seufzen, das über seine Lippen kam, sprach Bände. „Aber...", fing der ehemalige Spieler der Yōsen verheißungsvoll an, „ich kenne jemanden, der dir vielleicht helfen könnte. Oder zumindest eine Anregung für dich hätte. Ein älterer Kommilitone aus den höheren Semestern; er spielt wie ich im Universitätsteam und studiert wie du Sportwissenschaften. Sein Name ist Minagawa Kentaro." Was im ersten Moment wirklich vielversprechend klang, ließ Yukio nach mehrmaligen Überlegen doch etwas zögerlich zurück. Es war nichts Ungewöhnliches, dass sich Studenten gegenseitig halfen und unterstützen, doch er wusste nicht so recht, wie er darüber empfinden sollten, einen älteren und zudem fremden Kommilitonen nach Rat zu fragen. War es nicht dreist und bequem, sich von jemand anderen inspirieren zu lassen, der sich seine gegenwärtige Lage womöglich hart erkämpft hatte? Oder ging er gerade einfach zu streng mit sich ins Gericht?

Wrong NumberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt