Kapitel 4 - Von Lügen und Geständnissen

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Die Tage des Junis und die damit verbundene Regenzeit hatten schließlich ihr Ende gefunden. Von da an wurden die Temperaturen stetig sommerlicher und das Wetter im gleichen Atemzug trockener. Das ermöglichte unter anderem dem Streetball-Team Strky wieder draußen auf öffentlichen Basketballplätzen zu spielen, was die jungen Männer des Teams zu Beginn des Julis auch sogleich getan hatten. Der Sommer war zweifelsohne Yukios Jahreszeit – allein das abendliche Joggen würde fortan wieder viel mehr Spaß machen, sowie sämtliche andere Aktivitäten, die nun wieder aufgenommen werden konnten. Sei es das simple Treffen mit Freunden oder Bummeln durch die Einkaufsstraßen, was er ja recht gerne unternahm – einfach alles war im Sommer besser. Es gab nur eine Sache, die unter Umständen unangenehm werden konnte... Und wie das Schicksal es so wollte, hatte Yukio mal wieder das große Los gezogen und genau dieses Vorkommnis war eingetroffen. Seine kleine Studentenwohnung heizte sich im Sommer stets unsagbar auf. Das war an sich kein Problem, wo er doch eine Klimaanlage hatte – nur leider war diese derzeit defekt und der Techniker würde erst in einer Woche vorbeikommen. Angesichts dessen mied er es derzeit tagsüber in seiner Wohnung zu sein, doch selbst abends, bei geöffnetem Fenster, ging er in der Hitze etwas ein.

„So wie du seufzt, musst du wirklich leiden", hörte er die angenehme Stimme der Frau, die sein Leben seit einiger Zeit begleitete. Sein Handy lag auf seinem Schreibtisch, während Yukio selbst über seinen Lehr- und Fachbüchern hockte und sich Notizen aus diesen herausschrieb. Zu mehr war er bei dem Zustand seiner Wohnung auch nicht imstande – seine Arme klebten bereits auf der Holzplatte des Tisches und es brauchte nicht mehr viel, dann verschmolzen sie miteinander. „Du hast gut reden... Deine Klimaanlage funktioniert", erwiderte der Student grummelnd. Was Hiro anging, so war diese ein immer größerer Teil des seines Lebens geworden. Dass ihre Freundschaft ungewöhnlich war, stand außer Frage, doch darüber dachte er nicht länger nach. Und sie tat es wohl auch nicht. Er verdankte es ihrer Existenz und ihrer Geduld, dass er allmählich das Problem seiner Schüchternheit überwältigte. Gegenüber anderen Frauen war er längst nicht gelassen, doch zumindest endete ein Großteil seiner Begegnungen mit dem weiblichen Geschlecht nicht mehr in einer Vollkatastrophe. Das war ein Anfang. Und das hatte Hiro ihm ermöglicht, indem sie ihn dazu gezwungen hatte – das hatte sie wirklich –, mit ihr zu telefonieren. Anfangs hatte sie größtenteils Monologe gehalten, während Yukio leise dahingestorben war, doch schließlich hatten sie einen Punkt erreicht, an welchem er sich daran gewöhnt hatte. Dann hatte er langsam angefangen, wenige Sätze mit ihr zu sprechen, ehe es wirkliche Konversationen geworden waren. Er war noch nicht so gut darin, manchmal verhaspelte er sich auch noch ziemlich stark und es kam vor, dass seine Nervosität zwischenzeitlich wieder Überhand gewann... Doch so frei wie mit Hiro hatte er, seitdem er jugendlich geworden war, noch nie mit einem Mädchen oder einer Frau gesprochen.

„Was ist mit Mahiro?", fragte er dann nach einer Weile, ehe er sogleich einen ablehnenden Laut von ihr hörte. „Ist das überhaupt ein Name?", stellte sie die Gegenfrage, woraufhin Yukio mit den Schultern zuckte und das Blatt zu sich zog, das seit Längerem auf seinem Schreibtisch lag. Dort waren alle Namen notiert, die er bereits genannt hatte, um Hiros richtigen Namen zu erraten. Etwas, von dem er glaubte, dass es ihm nie gelingen würde. Dabei hatte sie versichert, dass der Name nicht einmal ungewöhnlich war – Kasamatsu kam trotzdem nicht darauf. „Aber dein Name ist schon japanisch...Oder? Bist du überhaupt Japanerin?" Die zweite Frage hatte er deutlich leiser gestellt, da er sie auch mehr an sich selbst gerichtet hatte. In letzter Zeit, so hatte er bemerkt, versuchte er sich Hiro detaillierter vorzustellen: wie groß sie wohl war, wie sie aussah und all diese Dinge... Von ihr selbst hatte er diesbezüglich kaum etwas gehört. Er wusste nur, dass sie braune Haare hatte, sonst eigentlich nichts. Genauso wenig wusste Hiro, wie er aussah... In gewisser Weise waren sie einander also noch immer anonym, obwohl sie sich durch ihre vielen Gespräche, ob nun durch Text oder Telefonat, einander sicherlich nicht mehr fremd waren. „Ich bin Japanerin und mein Name ist japanisch. Du hast einfach ein Brett vor dem Kopf, Kasamatsu", erwiderte sie belustigt, wodurch ihre für eine Frau verhältnismäßig tiefe Stimme wieder angenehm zur Geltung kam. Er fand nach wie vor, dass sie dadurch etwas Erhabenes an sich hatte.

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