Kapitel 8 - Ein letzter Versuch

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Die letzten Tage waren die reinste Qual gewesen für die junge Okamura Hiromi. Und das in nahezu jeder Hinsicht. Das Verhältnis zwischen ihr und Yukio war nicht besser, sondern seltsamer geworden, sodass es in der Nacht vor seinem letzten Praktikumstag sogar dazu geführt hatte, dass sie vor dem Schlafengehen geweint hatte. Wieso sie plötzlich das Bedürfnis empfunden hatte, zu weinen, wusste sie selbst nicht so genau, doch diese Gefühle waren förmlich aus ihr herausgebrochen. Immer wieder hatte sie Nachrichten geschrieben, in welchen sie ihn über ihr Leiden aufgeklärt hatte, doch letztlich war keine dieser Nachrichten abgeschickt worden. Sie hatte auch oft überlegt, ob sie ihn anrufen und einfach zur Rede stellen sollte, doch letztlich hatte sie das auch nicht getan. Sie wusste, dass sie an ihrer jetzigen Situation eine Teilschuld trug, da sie genauso wenig mit ihm kommunizierte, wie er mit ihr. Doch sie hatte einfach zu große Angst, dass, wenn sie ihn jetzt bedrängte, er sich vollkommen von ihr abwenden würde. Sie hatte in den vergangenen Monaten so viele Dinge verloren – mehr ertrug sie schlicht und ergreifend nicht. Doch es konnte so nicht weitergehen und das war Hiromi mehr als bewusst. Deshalb hatte sie sich, sogar mit der Unterstützung ihres Bruders, etwas überlegt. Es war ihr nicht unangenehm, mit Kenichi über diese Dinge zu sprechen, denn, wenngleich sie in mancher Hinsicht sehr unterschiedlich waren, letztlich hingen sie doch zusammen wie Pech und Schwefel. Sie hatte ihrem Bruder bei seiner ersten Jugendromanze zur Seite gestanden – die ihm übrigens so sehr das Herz gebrochen hatte, dass man heute noch Splitter finden konnte – und nun stand er ihr zur Seite.

Jedenfalls hing ihr Vorhaben mit Yukios Geburtstag zusammen, der am kommenden Tag stattfand. Sie konnte deshalb keine Ruhe finden, blickte schon seit Ewigkeiten an ihre Zimmerdecke und versank dabei in Gedanken. Es war deutlich einfacher gewesen, als sie einander nicht persönlich gekannt hatten... Damals hatte sie ebenso in ihrem Bett gelegen wie jetzt auch, doch sie hatte von diesem fremden, jungen Mann lediglich geträumt. Seine Stimme, seine Selbstdisziplin, seine Charakterstärke... Sie hatte sich wirklich als Erstes in seine Persönlichkeit verliebt, nicht in sein Aussehen. Hätte sie aber gewusst, mit was für Qualen diese Bekanntschaft einherging, dann hätte sie ihm damals nicht zurückschreiben. Wobei... Das wollte sie auch nicht sagen. Sie hatte sehr schöne Abende gemeinsam mit ihm verbracht; Stunden, in welchen vorwiegend sie mit ihm gesprochen hatte. Damals hatte er ihr gesagt, dass sie eine sehr angenehme Stimme zum Zuhören besäße – deshalb hatte sie mit noch mehr Freude mit ihm telefoniert. Abgesehen davon verdankte sie es ihm, dass ihre Genesung so gut vorangeschritten war. So gut, dass sie am heutigen Tag ein Gespräch über den Abschluss ihrer Reha geführt hatte. Das ließ sie ebenfalls mit gemischten Gefühlen zurück, denn sobald sie ambulant behandelt werden konnte, hieß es für sie, nach Akita zurückzukehren. Sie würde vorerst wieder in ihrem Elternhaus leben, da sie derzeit nicht in der Lage war, auf eigenen Beinen zu stehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Außerdem hatte sie sich noch keine konkreten Gedanken gemacht, in was für eine Richtung sie ihr Leben nun lenken wollte, da sie auch nicht gewusst hatte, wie groß ihre Einschränkung am Ende ausfallen würde. Das alles setzte ihr zu und machte ihr gegenwärtiges Leben noch komplizierter! Mit einem lauten und genervten Stöhnen zog Hiromi ihre Decke über ihren Kopf und drückte ihr Gesicht in ihr Kissen. Warum konnte ihr Leben nicht einfach normal verlaufen?


Ähnlich wie ihr erging es Yukio, der in diesem Augenblick ebenfalls auf seinem Bett lag und in den Chat von Hiromi hineinblickte. Sein Herz wog schwer in seiner Brust – unsagbar schwer. Darüber hinaus war er mit der gegenwärtigen Situation mehr als unzufrieden. Längste Zeit hatte er nicht begriffen, was sich verändert hatte und wieso die typischen Begleiterscheinungen seiner Schüchternheit ihn befielen, wenn es um Hiromi ging. Ganz gleich, ob er an sie dachte, von ihr sprach, sich in ihrer Gegenwart befand oder sie einfach nur sah... Sie löste diese ganz bestimmte Art von Gefühlen in ihm aus. Sie waren stark, intensiv, ließen ihn eine ganze Achterbahn an Emotionen durchlaufen und manches Mal zog es in seinem Magen so sehr, dass er befürchtete, er müsste sich jede Sekunde übergeben. Das war auch der Grund gewesen, warum er sie in den letzten Tagen seines Praktikums gemieden hatte. Ihr Antlitz aus der Ferne zu betrachten war manchmal schon genug gewesen, um dieses Kribbeln wieder wahrzunehmen. Jedenfalls... Er hatte tief in sich hineingehen müssen, um herauszufinden, was mit ihm los war und wieso er Hiro nicht mehr so behandeln konnte, wie vorher. Und er war zu dem Entschluss gekommen, dass es nicht seine Schüchternheit war, die ihn so fühlen ließ... Es war Liebe. Er, Kasamatsu Yukio, hatte sich verliebt – und genau aus diesem Grund fühlte er sich in Hiros Gegenwart so ähnlich, als wäre er schüchtern. Er wusste nicht, ob er mit dieser These richtig lag, denn er war noch nie verliebt gewesen, doch sein Gefühl sagte ihm, dass es so sein musste. Es hatte damit begonnen, als er sie das erste Mal gesehen hatte; ihre komplette Erscheinung hatte ihn förmlich umgehauen. Und seither, mit jedem Mal, wenn er sie sah, wurde es nur noch schlimmer.

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