Kapitel 3 - Ein kleiner Gefallen

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Eine falsch gewählte Nummer; ein Junge, der sich als Hiro vorstellte; ein Chatpartner, der allmählich zu so etwas wie einem besonderen Freund geworden war... Das alles entsprach der Wahrheit, bis auf ein Detail: Hiro war kein Junge. Und das war etwas, dass Kasamatsu, so lächerlich es auch klang, in seinen Grundfesten erschütterte. Das Wissen, dass es sich bei seinem anonymen Chatpartner um eine Frau handelte, ließ ihn nicht nur mit einem Schock zurück, es löste auch die Begleiterscheinungen seiner Schüchternheit aus. Er wurde allein bei dem Gedanken nervös, wieder in den Chat hineinzugehen – deshalb hatte er sich seit dieser Offenbarung auch nicht mehr in diesen gewagt. Drei Tage waren seither vergangen, doch er konnte sich nicht überwinden. Ein paar Mal noch hatte er Hiros Namen in einer Push-Benachrichtigung gesehen, doch schließlich hatte er – nein, sie – aufgehört, ihm zu schreiben. Sie musste ihn für einen absoluten Spinner halten, dass er ihr nicht mehr antwortete, nur, weil sie eine Frau war. Er konnte sich ihr Antlitz förmlich vorstellen, wenngleich er keine Ahnung hatte, wie sie aussah... Die Vorstellung einer hübschen Frau, die verärgert auf ihr Handy blickte, genügte ihm allerdings schon, damit er sich in Gedanken verrückt machen konnte.

Yukio war absolut ratlos. Einerseits wollte er diese ungewöhnliche Bekanntschaft nicht verlieren, andererseits wusste er nicht, wie er damit umgehen sollte. Er hatte nun einmal dieses Problem und das konnte er nicht einfach abstellen... Deshalb hatte er etwas getan, von dem er eigentlich gehofft hatte, dass es niemals dazu kommen würde: Er hatte Kise Ryōta um Rat gebeten. Nicht nur kratzte das an seinem Ego und Stolz, es pisste ihn zudem auch extrem an, in das grinsende Gesicht dieses blonden Trottels zu blicken. „Ich kann nicht glauben, dass du einen Ratschlag von mir möchtest – und dann auch noch zu einer Mädchenangelegenheit!" Ryōta versuchte sein Amüsement nicht einmal zu verstecken, ebenso wenig sein Prusten. Am liebsten würde Yukio ihm einen Basketball ins Gesicht werfen, so wie er es zu Oberschulzeiten immer getan hatte. Nur hatte er im Augenblick leider keinen zur Hand. „Von mir aus kannst du dir den Tag im Kalender markieren und dir einen Keks backen... Nur könntest du jetzt endlich aufhören, so dumm zu grinsen?!", fragte der Schwarzhaarige leicht gereizt.

„Na dann, ich bin ganz Ohr..." Der Blick des Blonden wandelte sich; sein bisheriges Amüsement verschwand, stattdessen wurden seine Züge ernst und wirkten fast schon etwas zu kalt. Es war nicht so, dass er Kasamatsu gegenüber keine Empathie empfand, doch so sah Kise Ryōta nun einmal aus, wenn er sein Schauspiel als Sonnenschein einstellte. Yukio seufzte noch einmal tief und während er sich die Worte in seinem Kopf zurechtlegte, ließ er seinen Blick noch einmal über die Umgebung schweifen. Sie saßen auf einer Bank im Setagaya-Park; vor ihnen erstreckte sich ein riesiger Platz, in dessen Mitte ein Springbrunnen aktiv Wasserfontänen in die Luft stieß; über ihnen ragten die grünen Äste einer großen Buche, die den Blick auf den grauen Himmel versperrten, der bereits baldigen Niederschlag vermuten ließ – oder wohl eher ein vorsommerliches Gewitter, so schwül wie die Luft war. „Es fing damit an, dass Okamura mir eine falsche Handynummer zugeschickt hat..." Und damit begann Kasamatsu zu erzählen, was in den vergangenen Wochen so passiert war. Sein ungewöhnliches Kennenlernen mit Hiro, wie diese ihm geholfen hatte, sein Projekt voranzutreiben, wie er immer mehr Zeit damit verbracht hatte, mit ihr zu schreiben... Und zu guter Letzt, wie er herausgefunden hatte, dass Hiro eine junge Frau war und kein Junge, wie ursprünglich angenommen.

Ryōta hatte den Erzählungen seines ehemaligen Schulkameraden aufmerksam zugehört, ohne ihn zu unterbrechen oder sonst eine Reaktion von sich zu geben. „Mehr gibt es an dieser Stelle nicht zu sagen. Ich glaube, ich habe Angst vor der Reaktion, wenn ich in den Chat zurückkehre. Aber je länger ich warte, desto schlimmer wird es doch, oder nicht?" Es fiel dem Schwarzhaarigen nicht leicht, seine Gefühle diesbezüglich so offenzulegen. Was hatte er aber sonst für eine Wahl? Er brauchte einen Ratschlag – vielleicht sogar einen Stoß in die richtige Richtung... „Bei allem Respekt, Senpai", fing Kise an und blinzelte einige Male, „kann es sein, dass du dumm bist?" Yukios blaue Augen wurden immer größer, während er die Worte des Blonden langsam realisierte. Man konnte die Ader, die sich langsam auf der Schläfe des Älteren abzeichnete, förmlich pochen sehen. „Wie war das?!", fragte er noch immer ungläubig. Scheinbar gingen die Schüler an der Kaijō zu gnädig mit Kise um! Anders konnte er sich nicht erklären, warum sich dieser sonst traute, eine so freche und dreiste Frage zu stellen.

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