Chapter 2

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'𝐂𝐚𝐮𝐬𝐞 𝐦𝐲 𝐡𝐞𝐚𝐫𝐭 𝐛𝐫𝐞𝐚𝐤𝐬 𝐚 𝐥𝐢𝐭𝐭𝐥𝐞 𝐖𝐡𝐞𝐧 𝐢 𝐡𝐞𝐚𝐫 𝐲𝐨𝐮𝐫 𝐧𝐚𝐦𝐞

- 𝐁𝐫𝐮𝐧𝐨 𝐌𝐚𝐫𝐬

1826 Tage

Mit seinem Koffer in der Hand steigt Kai aus dem haltenden Zug. Auf dem Bahnsteig sind einige Menschen unterwegs, trotzdem ist es für ihn nicht schwierig, das Gesicht seiner Großmutter Greta unter den dutzenden Menschenköpfen zu finden. Einige steigen mit mehr oder weniger großem Gepäck in die Waggons, andere nehmen Verwandte oder Freunde in Empfang.

Kaum hat Kai seinen Fuß auf festen Boden gesetzt, zieht ihn seine Großmutter in eine warme Umarmung. Er lässt den Gurt seines Koffers los, um seine Arme um ihren kleinen Körper zu legen, und drückt sie noch enger an sich. Er inhaliert den Geruch seiner Kindheit. Lavendelseife und die Blumen des Sommers.

Es ist Anfang November. Die Luft ist nicht mehr so stickig, die Sonne versteckt sich, ihre Strahlen scheuer als je zuvor, hinter den weißen und grauen Wolken. Aber selbst von hier aus kann er spüren, wie die salzige Meeresluft in seiner Nase kitzelt. Er hat das Meer schon immer geliebt. Dieses hier noch mehr. Vielleicht, weil es die Erinnerungen an seine Jugend in sich trägt, an eine vergangene, verschwundene Zeit.

,,Hallo Oma ..."

,,Was hast du dich verändert und bist gewachsen, mein Schatz!" Greta tritt zurück, nimmt das Gesicht ihres Enkelsohns zwischen ihre faltigen Hände. Die dunklen Augenringe und die Müdigkeit entgehen ihr nicht, aber sie macht keine Bemerkung. Sie lächelt, seine Augenwinkel kräuseln sich unter den Fältchen, dann fährt sie mit den Fingern durch sein lockiges Haar. Kai schließt die Augenlider, diese Geste erscheint ihm so weit weg und gleichzeitig so beruhigend. Er fällt nicht ganz in die Kindheit zurück. Er ist erwachsen geworden, es wird nie mehr dasselbe sein. Er kann zumindest versuchen, sich daran zu erinnern.

,,Du bist noch schöner als früher, du bist deiner Mutter so ähnlich, weißt du das? Der gleiche Blick, das gleiche Lächeln ... Du musst Herzen brechen."
Er lacht. Bitterlich. Er öffnet die Augen, antwortet aber nicht. Leise, in seinem Kopf, beginnt er zu denken, ich möchte mein Herz schlagen fühlen, manchmal möchte ich mich daran erinnern, wie es ist, am Leben zu sein. Er schluckt den Speichel herunter und zwingt sich zu einem Lächeln. Greta legt einen Arm um seinen und führt ihn zum Ausgang des Bahnhofs.
,,Komm schon, ich habe dir viel zu erzählen und zu Hause warten leckere Kekse auf dich."
Allein diese Worte reichen aus, um eine vergessene Wärme in Kai zu wecken.

Die Autofahrt verläuft schweigend, er beobachtet die fast unbekannt gewordene Landschaft. Als Kai das letzte Mal hier war, war er siebzehn Jahre alt. Heute ist er zweiundzwanzig. An sich hat sich nichts verändert, und doch scheint jedes Detail neu zu sein. Er entdeckt die Bäume am Rande der Autobahn ein zweites Mal, den grauen Himmel, der sich mit dem dunklen Wasser des Ozeans vermischt, die Wellen, die vom trüben Spätherbstwetter aufgewühlt werden.
Kai kannte diesen Ort hauptsächlich unter der erdrückenden Sommersonne, unter der drückenden Hitze und dem Schweiß seiner Haut, dem Lavendeleis oder dem Minzsorbet, dem Eistee mit Pfirsichgeschmack, dem Schwimmen im Angesicht des Sonnenuntergangs, den Sandburgen mit seinen Geschwistern am Strand, den Romanen, die er stundenlang mit Blick auf den Ozean verschlang, den Fahrradtouren entlang des Deiches, die weit geöffneten Fenster in seinem Zimmer bei Nacht, die Abende, an denen er Musik auf dem alten Plattenspieler seines Großvaters hörte, den Balkon, auf dem er die Sterne und den Sonnenuntergang beobachtete, die Familienessen, bei denen diskutiert und gelacht wurde, die Fußballspiele mit seinen Freunden im Stadion an den Nachmittagen, dieser Kuss mit dem süßen Geschmack von Erdbeeren. ..
Er schließt die Augen, die Arme um seinen Bauch verschränkt, und öffnet sie erst wieder, als das Auto anhält.

𝐰𝐢𝐫 𝐰𝐚𝐫𝐞𝐧 𝐞𝐢𝐧𝐟𝐚𝐜𝐡 𝐧𝐨𝐜𝐡 𝐳𝐮 𝐣𝐮𝐧𝐠..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt