Blindes Herz - Kapitel 2

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Quinn wanderte nun seit Stunden tiefer in den Wald, auch wenn er nur langsam vorankam. Langsam machte sich die Erschöpfung breit. Ich werde ihn finden, oder... Er atmete tief aus und setzte sich auf einen umgefallenen Baumstamm, trank einen Schluck aus seiner Flasche.

Ein Knacken ließ ihn zusammenzucken. Wirklich? Bei einem kleinen Geräusch machst du dir in die Hose? Du Pfeife. Immerhin war er nicht zum Spaß hergekommen. Sollte er hier Rast machen und morgen weitersuchen? Quinn seufzte.

„Was machst du hier allein?", erklang eine tiefe männliche Stimme hinter ihm.

Quinn zuckte erschrocken zusammen und fiel mit einem Schrei rückwärts den Stamm hinunter. Sein Herz schlug wie verrückt und er bekam Schnappatmung. Heilige Scheiße. Ich hätte mir fast in die Hose gemacht.

Starke Arme zogen ihn nach oben, sodass er wieder auf dem Stamm saß.

„Alles in Ordnung?", fragte der Mann.

Quinn nickte und brauchte etwas, bis er seine Stimme wiedergefunden hatte.

„Ja, danke. Entschuldigung, ich habe mich nur erschrocken."

Der Mann vor ihm hatte schwarzes, kinnlanges Haar. Seine Haut war hell und er war zehn Zentimeter größer als Quinn. Sein Gesicht und sein Körper waren muskulös und wunderschön, sodass niemand die Augen abwenden würde können.

Dieser sprach: „Soll ich dich zum Dorf zurückbringen? Immerhin ist es stockdunkel und du hast nicht einmal eine Taschenlampe."

Quinn schüttelte den Kopf. „Nein danke. Ist schon in Ordnung."

Der Mann setzte sich neben ihm und plötzlich nahm er einen sinnlichen Duft wahr. Rosen.

„Hier gibt es wilde Tiere, du kannst hier nicht bleiben. Komm mit zu mir, dann kannst du morgen dort weitergehen, wohin du auch möchtest", sagte dieser.

Quinn schwieg, nickte dann jedoch. Seine Hand wurde von einer größeren umschlossen, dann wurde er tiefer in den Wald gezogen. Irgendwann erschien eine kleine Holzhütte, aus der etwas Rauch aufstieg. Der Fremde öffnete die Türe und Quinn trat zögerlich ein, während er sich an seinen Stock klammerte. Im Raum war die Aura des Fremden noch überwältigender, doch Quinn spürte keine Angst.

„Wie ist dein Name?", fragte dieser.

„Quinn", sagte er, ohne zu zögern.

„Gut, Quinn. Weißt du nicht, dass es gefährlich im Wald ist und vor allem, dass man fremden Leuten nicht folgt? Was, wenn ich dir etwas antun würde?", erklang die tiefe männliche Stimme.

Der junge Mann tastete nach einem Stuhl und setzte sich. „Ich habe in dem Wald nach etwas gesucht. Außerdem habe ich keine Angst, dass mir etwas passiert, denn das ist der Preis, den ich zu zahlen bereit bin."

Der fremde Mann stellte sich vor ihn und schaute ihn mit seinen schwarzen Augen an. Er legte seine rechte Hand an die Wange des jungen Mannes. „Dann erkläre mir, warum du dann vor Angst deine Augen geschlossen hast?", fragte der Ältere.

Quinn lachte leise, die Berührung fühlte sich schön an. „Ganz einfach, weil es keinen Unterschied macht, ob ich sie öffne oder nicht, denn ich sehe das Gleiche. Tiefgreifende, kalte Dunkelheit. Doch verrate mir deinen Namen, so wie ich meinen."

„Lace", sagte der Fremde und schaute den Menschen erstaunt an. Er ist blind? Roch er deshalb nicht den sauren Geruch von Angst? Er verwirrte ihn.

„Im Wald gibt es ein Monster, das dich töten könnte. Warum bist du trotzdem hergekommen?", fragte Lace.

Quinn schaute ihn mit geschlossenen Augen an. „Ich bin hergekommen, weil es hieß, dass dieses Monster Wünsche erfüllen kann. Kann es mir mein Augenlicht wiedergeben?", fragte er.

„Was wenn ja, was würdest du für das Monster tun? Es könnte dich sofort töten."

Der Herzschlag des jungen Mannes beschleunigte sich, aber nicht vor Angst. „Ich habe keine Angst zu sterben. Meine Familie ist vor drei Jahren gestorben und auch meine letzten Verwandten sind fort. Ich bin ganz alleine und habe den Sinn für mein Leben verloren. Wenn es mir die Blindheit nimmt, werde ich ein normales Leben beginnen können. Wenn es das nicht kann, kann es mein Leben haben. Ich bin in diesen Wald gekommen und werde mit meinem Augenlicht diesen verlassen oder hier sterben."

Lace schaute Quinn fassungslos an. Er hat keine Angst, weil er sein Leben bereits abgeschlossen hat. Die Worte taten in seinem Herzen weh, denn die Antwort würde dem jungen Mann nicht gefallen.

„Die Legende lügt, das Monster kann dir dein Augenlicht nicht wieder geben", sagte Lace.

Der junge Mann lächelte, womit Lace nicht gerechnet hatte. Warum?

„Gut, wirst du mich dann jetzt fressen?", fragte Quinn.

Er hat es also gewusst.

Natürlich hatte Quinn gewusst, dass das Monster aus der Legende ihm gegenüberstand. Seine Stimme, sein Duft und auch die Tatsache, dass er alleine nachts im Wald war. Zeit, zu meiner Familie zu gehen.

Zwei Finger legten sich an sein Kinn und zogen es nach oben. „Öffne deine Augen", erklang die Stimme des Monsters.

Lace spürte die Hitze und die weiche Haut, doch etwas nagte an ihm. Er musste die Augen des jungen Mannes sehen. Unbedingt. Warum, wusste er nicht. Langsam öffneten sich die Augenlider und zwei smaragdgrüne Augen schauten ihm entgegen.

Ein Keuchen entwich Lace. In diesem Moment begann sein totes Herz zu schlagen und er tat seinen ersten Atemzug seit Jahrhunderten. Das Erste, was er roch, war Quinns Geruch. Reife Kirschen mit Morgentau. Ein tiefes Lächeln überzog sein Gesicht.

„Ja, Quinn, ich werde ich fressen", flüsterte Lace und drückte seine Lippen auf die seiner zweiten Hälfte.

Quinn keuchte überrascht, wollte sich zurückziehen, doch zwei starke Arme umschlangen ihn und hoben ihn hoch.

Lace lief mit ihm in das Schlafzimmer, wo er ihn sacht ablegte. Mit schnellen Bewegungen entkleidete er seinen Gefährten, der sich nicht wehren konnte, denn er sah nicht, was kam.

Quinn lag entblößt auf dem Bett, sein Herz schlug wild. Der Duft von Rosen umgarnte ihn, was ihn entspannte. Was hat er mit mir vor? Erneut spürte er die weichen Lippen auf sich, doch dieses Mal, drang eine Zunge in ihn ein. Es war sein erster richtiger Kuss und es war intensiv. Die Zunge des Monsters streichelte die seine, liebkoste ihn.

Er spürte eine Wärme in seiner Brust, die er nicht erklären konnte. Dann berührten die Hände ihn, streichelten sanft seine Haut, während die Lippen eine Spur über seinen Hals zu seiner Brust zogen. Quinn keuchte, wand sich, als die Erregung ihn ergriff. Niemand hatte ihn bisher so berührt, nie hatte er eine solch liebevolle Berührung gespürt. Warum?

Eine Träne rann ihm über die Wange, hinterließ eine Spur und Lace hielt inne. Er fuhr diese mit der Zunge nach.

„Warum weinst du, mein kleiner Vogel?", fragte dieser mit weicher Stimme.

„Warum berührst du mich so... zärtlich? Wenn du mich tötest, bitte tu es schnell. Ich-"

„Wer hat gesagt, dass ich dich töte, kleiner Vogel?", erklang die tiefe Stimme.

Die Worte drangen tief. Er wird mich nicht töten?

„Warum nicht?", fragte Quinn.

Lace küsste dessen Wange und fuhr weiter zu seinen Lippen, auf die er einen sachten Kuss hauchte. „Wie könnte ich meinen wunderschönen Gefährten töten?", war die Antwort.

„Weil ich defekt bin, ich bin blind."

Weitere Küsse auf seinem Gesicht erfolgten, die Quinns Herz zum Flattern brachten.

„Und? Das ändert nichts, dass du das schönste Wesen bist, das mir jemals begegnet ist. Ich werde für die Ewigkeit an deiner Seite stehen, werde deine Augen sein, denn ich wurde nur für dich geboren."

Die Worte gingen tief und Quinn wusste nicht, was sie bedeuteten. Er will mich, so wie ich bin. Er wird immer an meiner Seite sein? Ich muss nie wieder einsam oder hilflos sein?

Lace nahm wahr, wie Quinns Geruch tiefer wurde. Er beginnt mich zu akzeptieren, beginnt sich für eine Bindung zu mir zu öffnen. Ich werde ihn zu dem Meinen machen.

Blindes Herz & Blinder GefährteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt