,,Das hier ist Grünsee. Unser kleines Städtchen ist bekannt für unsere unberührten Strände, unsere Buchhandlungen und unsere verwüsteten Ruinen." Lautes Lachen. Ja, die Häuserruinen wollte niemand mehr renovieren...sie waren mittlerweile alle so bunt, dass die Graffitikunst viele Leute anlockte. ,,Aber ich hoffe, Sie wollen ein bisschen länger bleiben! Schließlich sind wir hier an der Nordsee. Diese einzigartige Natur gibt es sonst nirgends! Wir haben um die Ecke auch ein kleines Museum, was sich mit der Geschichte des Ortes, der Natur und der vielen Legenden befasst. Ich schlage vor, wir gehen dahin und unterwegs können Sie sich etwas zu Essen holen." Zustimmendes Brummen.
Boah, diese Touristen und diese Führungen...Ich wollte doch einfach nur meine Ruhe haben, hier, an dem langweiligsten Fleck Grünsees. Mit Handy, Buch, Notizzetteln und Stift. So gern ich jetzt Musik hier haben würde- aber die ganzen Tiere hier würde es erschrecken. Hier, am grünen See duftete es nach Salz, aber auch nach sumpfigem Morast. Und genau das war es auch: ein See, der mit der Nordsee und einem Fluss verbunden war. Er vereinte zwei Welten in sich, und die Tiere liebten es. Ich hatte es mir beim Aussichtspunkt (angeblich für Ornithologen und Naturforscher) gemütlich gemacht, denn hier war eh niemand. Na ja, außer die Führungen, die jeden Tag zweimal hier starteten, um dann die Tour nach Grünsee zu beginnen. Da konnten sich die Touristen den Leuchtturm anschauen, gleich ein bisschen wandern und echte Natur sehen. Für viele war es ein Weltwunder, mal von Weitem eine Graugans zu sehen. Ich machte mittlerweile eine Strichliste, wie viele Gänse heute vorbeigekommen waren. Mittlerweile müssten es über fünfzig sein, oder? Ach, egal.
Geistesabwesend nahm ich mein Handy und checkte die Nachrichten. Wetterbericht (Sturm für heute Nacht war angekündigt), WhatsApp (Klassengruppe, wir hatten offenbar eine Hausaufgabe, von der ich noch nichts wusste) und ein verpasster Anruf von meiner Mutter. Natürlich hatte ich es stumm geschaltet, Natürlich. Also packte ich meine Sachen und lief die Straße zur Stadt entlang, während ich meine Mutter anrief. Die Möwen riefen nach mir, als sie mir entgegen warf: ,,Na endlich! Du musst dein Handy echt mal laut machen. Ich erreiche dich nie! Egal, du musst nach Hause kommen." ,,Hm..." ,,Hörst du mir überhaupt zu?" ,,Ja!", antwortete ich genervt. Ein Stöhnen kam aus dem Lautsprecher zurück. ,,Beeil dich bitte, ja! Es fängt gleich an zu stürmen, du weißt, was das bedeutet."
Nachdem ich mich schnell von meiner Mutter verabschiedet hatte, begann ich mitsamt meines Rucksacks zu rennen. Ich sah die Wolken kommen, und auch das Meer, was sich langsam auftürmte und zu einer tiefschwarzen Dunkelheit wurde. Ein mulmiges Gefühl breitete sich aus, mein Bauchgefühl schlug Alarm. Zum Glück war ich bald zuhause! Die wenigen Leute auf der Straße schauten mich schräg an- mich, das Mädchen mit den braunen Haaren und dem blaugrauen Anorak, dessen Kapuze in ständiger Einsatzbereitschaft war.
Ich klingelte Sturm. Wo waren meine Eltern denn gerade, dass sie die Klingel nicht hörten? Unsicher blickte ich gen Himmel. Dieser war nun ziemlich dunkel und ich glaubte, Donner aus der Ferne zu hören. Der salzige Geruch des Meeres war nun so deutlich wie seit Langem nicht mehr. Ich wendete mich wieder dem Klingelschild zu und wartete. Plötzlich ertönte der wohlbekannte Piepton, und ich drückte die Tür auf. Endlich drin!
Die warme, trockene Luft des Hauses empfing mich, als ich die Tür schloss. Mein Vater stand im Türrahmen und zog die Augenbrauen hoch. Während ich mir die Schuhe auszog, murmelte er: ,,Gerade noch rechtzeitig. Hör mal!" Ein etwas lauteres Donnern erfüllte den Raum. Ich folgte ihm in unser Wohnzimmer und starrte auf das Fenster, an dem die Regentropfen sich niederschlugen.
,,Na super", murmelte ich und schmiss meinen Rucksack auf mein Bett, nachdem ich in meinem Zimmer angekommen war. Ich nahm mir mein Handy und las mir in Ruhe den Chatverlauf der Klassengruppe durch- wir hatten offenbar eine Hausaufgabe in Deutsch. Einen Aufsatz mit Argumentationen, mit dem Thema ,,Dein größter Wunsch". Also setzte ich mich an meinen Schreibtisch, mit meinem geliebten Kugelschreiber und einem Blatt Papier. Ich grübelte...Mein größter Wunsch? Hatte ich überhaupt so einen? Vielleicht, ein Geschwisterchen zu haben...aber das kann es nicht sein. Geld brauch ich zumindest noch nicht und sowas wie Liebe steht zwar auch auf meiner To-do-Liste, aber das ist es auch nicht. Ich kam einfach nicht darauf!
Plötzlich durchflutete Licht mein dunkles Zimmer. Das müsste der erste Blitz gewesen sein. Meine Gedanken schweiften nun völlig ab- meine (ohne hin schon schwache) Konzentration blieb nun völlig aus. Meine Eltern hatten es mir verboten, bei starkem Regen oder Gewitter rauszugehen. Geschweige denn das Meer zu besuchen, denn das war in dieser Situation unmöglich. Sie schlossen die Haustür zu und nur im Notfall verließen sie das Haus. Warum? Vielleicht, weil sie mich vor Stromschlägen schützen wollten. Oder eine Erkältung verhindern sollten. Es hatte bestimmt einen vernünftigen Grund, denn sonst hatte ich ja keine großen Verbote. Aber für mich war es nicht schlimm, ich brauchte keine riskanten Ausflüge und Mutproben. Ich war auch kein Mensch für ,,Tanzen im Regen". Mein Blick fiel wieder auf den Deutschhefter, ich schloss ihn und ging in unser Wohnzimmer.
In dieser Nacht fiel es mir schwer, einzuschlafen. Die Blitze, der Donner und der Regen hielten mich wach...Ich konnte die Wut des Meeres förmlich spüren. Meine Augen wurden immer schwerer, aber ich musste immerzu an das Wasser denken. Das dunkle, fast schwarze Meer...Ich fiel in den Schlaf und es begann ein Traum, den ich nie vergessen würde.
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Die Welten des Wassers
FantasíaEigentlich sollte es nicht wahr sein. Eigentlich sollte es nur eine Legende sein. Und doch gibt es sie- die Welten des Wassers, und ihre Geheimnisse der Tiefen... Mitten in Grünsee, einer Kleinstadt an der Nordsee, liegt der Schlüssel zu einer diese...