Wir schwiegen. Das Rauschen wurde nun immer lauter, und das Kreischen der Möwen ebenso. Es war Flut- und das Meer war noch genauso aufgewühlt wie beim Sturm. Es rief förmlich nach mir. Ich konnte dieses Gefühl nicht beschreiben, es fühlte sich wie Kaffee und Kakao gleichzeitig an. Sofie bemerkte, dass ich still wurde. ,,Alles gut, Ella?" ,,Hm-hm. Ja, geht schon." ,,Du, ich würde mich gern noch umziehen, falls du das mitbekommen hast- das Wasser ist heute relativ kalt, aber du willst sicher nicht mit Klamotten reingehen. Komm mal mit." Stimmt ja. Wie gesagt, mein Gehirn war heute wie ausgeschalten... und jetzt fiel es mir schwer, mich vom Wasser fernzuhalten. Das Gefühl und meine Neugierde ließen mich einfach nicht los! Schluss jetzt, Ella, sagte ich mir und setzte meinen Blick auf das Umkleidehäuschen daneben an.
Sofie äußerte ihre Theorien, während ich etwas länger als sie brauchte. Aber auch meine Klassenkameradin hatte irgendwann genug, und eine unangenehme Stille trat mal wieder ein. Verdammt, hatten wir nicht mehr Gesprächsthemen als das? ,,Sofie, was machst du eigentlich so in deiner Freizeit?" Ein Seufzer erklang von der anderen Seite der Kabine und sie meinte: ,,Wirklich? Fällt dir nichts mehr ein? Na gut, ist aber auch eine schwierige Frage." Warum?, dachte ich mir. ,,Ich...habe eigentlich keine richtigen Hobbys. Ich lese zwar immer mal und versuche mich dort oder dort, aber nie gefällt mir etwas. Weißt du, ich habe schon mal Klavier angefangen, genauso wie Judo und Hockey, aber das war alles Mist. Irgendwie habe ich das Gefühl, nichts passt zu mir! Dann verkrieche ich mich wieder in meine Bücher und vergesse mein gesamtes soziales Leben drumherum. Stell dir vor, meine Eltern wollten mich schon in Therapie schicken! Du brauchst mehr Freunde! Mach doch mehr in deiner Freizeit!, haben sie gesagt. Pah, ich weiß doch selbst nicht mehr, was ich machen soll...", schnaubte sie. Das hatte ich jetzt wirklich nicht erwartet. Was sollte man denn in so einer Situation machen? ,,Das tut mir leid...", kam also meine Standardantwort. Aber ich fügte noch schnell hinzu: ,,Aber ich hoffe, du findest etwas, was dich begeistert. Und sag doch deinen Eltern, dass du noch suchst und dass das nichts Schlechtes ist." ,,Schon gut, Ella. Reden wir nicht mehr drüber." Ich öffnete die Tür und entdeckte Sofie in der Ecke, wo sie ihre hellbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammenband. ,,Komm, beeilen wir uns. Ich will schließlich auch wissen, was dich infiziert hat!" Sie lachte, und ich musste innerlich grinsen. Mit einem lauten Krach rissen wir die Tür auf und rannten hinunter, in Richtung Naturstrand.
Grünsee hatte das Glück, dass viele Strände und Orte noch unentdeckt für Touristen sind. Klar, manche fanden durch Umwege immernoch hierhin, aber zumindest waren wir Einheimischen hier allein. Ich liebte es, dass hier alle Gewässer zusammenkamen- Seen, Flüsse und Meer. Aber ich konnte mich ja nicht immer wieder wiederholen... Ich nickte Sofie also zu, hatte keine Zeit für Worte. Wir legten unsere Sachen beiseite und gingen erstmal mit den Füßen ins Wasser, wir waren erstmal allein. Von der Seite traf mich ein besorgter Blick. ,,Pass bitte auf dich auf, deine Augen sehen ziemlich unnormal aus..." Ich wollte nicht mehr wissen, wie ich aussah- nein, ich wollte wissen, was mit mir los war.
Meine Füße fingen an zu kribbeln; merkwürdigerweise spürte ich die Kälte gar nicht mehr. ,,Weiter", flüsterte ich. Sofie zitterte leicht, aber sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Ich ging hingegen weiter, immer tiefer ins Wasser, bis zu meinen Schultern. Ich schwamm ein bisschen weiter hinaus, und dann fing es an.
Nun kribbelte es richtig in meinem Körper, und es fühlte sich fast taub an. Ein grüngelbes Licht verließ mich und neben mir kam ein: ,,Wow, das muss echte Magie sein...sie ist so- warm..." Ich spürte schon etwas davon, es zauberte mir ein Lächeln übers Gesicht. Das Wasser fühlte sich geborgen an, und alles schien so, als würde es mir sagen: Zuhause. Ich versuchte, den Kopf zu schütteln- was für Glücksgefühle verfolgten mich da? Das waren nicht meine, nein, es waren fremde Emotionen. Was hatte die Magie mit mir gemacht? Meine Beine bewegten sich rhythmisch zum Wellengang, damit ich mich über Wasser hielt. Wie...? Dort waren keine Beine mehr; sondern eine gelbgrün schimmernde Flosse. Meine Hände hatten Schwimmhäute zwischen den Fingern, meine Kleidung war verschwunden, und an meinem ganzen Oberkörper befanden sich Schuppen. Ich erschauderte, während ich fasziniert meinen neue Form betrachtete. Sofie war neben mir und sagte gar nichts mehr, ihr fehlten die Worte. ,,Woah...Magie...du bist ein Fabelwesen, Ella!", entkam es ihr. Ja, ich war ein Fabelwesen. Eine Meerjungfrau.
Doch, war ich jetzt Arielle und konnte nur mit der bösen Ursula das Wasser verlassen, oder Cleo aus H2O? Warte mal...hatte ich eigentlich noch eine Stimme, wenn wir schon beim Thema Arielle waren? Ich räusperte mich: ,,Das ist...Schon krass, ja. Möchtest du kurz mit mir schwimmen? Ich muss austesten, wie es Unterwasser so ist. Und dann müssen wir herausfinden, wie ich zurück an Land komme..." Also gut, meine Stimme funktionierte.
Ich versuchte, unterzutauchen und bewegte meine Flosse vorsichtig. Mist, das ging ja gar nicht so gut wie in den Filmen und Serien! Unterwasser war meine Sicht aber genauso gut wie über der Oberfläche, und ich bemerkte kleinere Flossen an Hüfte und Armen. Mein Körper hatte sich schon wieder verändert. Sofie tauchte neben mir, und holte ab und zu Luft. Zu dem Zeitpunkt wollte ich auch nach oben, um Luft zu holen, doch es war nicht nötig. Als ich in mich ging, merkte ich, wie Luft meinen Körper füllte. Das konnten doch nur Kiemen sein, oder nicht?
Ich tauchte nach oben, zu dem Mädchen, was mir den ganzen Tag über geholfen hatte. Nachher sollte ich mich vielleicht bedanken...oder nicht? Über der Wasseroberfläche holte ich Luft. Ohne Kiemen. ,,Ich hatte Kiemen, oder? Das Atmen Unterwasser war so einfach, dass ich es gar nicht gemerkt habe..." Sofie nickte, während sie sich über Wasser hielt. Sie meinte: ,,Ja, deine Augen waren auch nicht mehr so menschlich- mit Schlitzen und so. Und kein Wunder, dein Hals sah auch merkwürdig aus...jetzt ist alles normal. Boah, das ist so unglaublich faszinierend! Vor allem, wie sich dein Körper anpasst, je nach dem, was du machst. Problem nur: mir geht die Kraft aus. Bin ja leider nicht die Sportlichste. Können wir zurück zum Strand?" ,,Ja, klar. Ich warte auf dich!", ich grinste und tauchte wieder unter.
Ich schloss die Augen, schlug mit meiner Schwanzflosse...und hatte plötzlich Sand an meinen Händen. Warte mal, war ich am Ufer? Scheint so, aber warum war ich so schnell...da fiel mir Sport wieder ein. Dort war ich auch so schnell gewesen, und Sofie hatte von wellenförmiger Magie in Farbe meiner Schuppen berichtet. Gehörte das dazu? Sofie war inzwischen fast bei mir. Sie war froh, festen Boden unter ihren Füßen zu haben. ,,Perfekt, jetzt kommt die Frage aller Fragen...wie verwandle ich mich zurück?"
,,Das finden wir jetzt heraus."
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Die Welten des Wassers
FantasyEigentlich sollte es nicht wahr sein. Eigentlich sollte es nur eine Legende sein. Und doch gibt es sie- die Welten des Wassers, und ihre Geheimnisse der Tiefen... Mitten in Grünsee, einer Kleinstadt an der Nordsee, liegt der Schlüssel zu einer diese...