Roan wühlte durch sein Notizbuch — es war das erste, das er vollgeschrieben hatte; in dem er noch keine ordentliche Führung gehabt hatte und Poesie neben Notizen geschmiert war.
Er hasste die scharfkantigen Unterbrechungen, in denen Literatur von Realität abgeschnitten wurde. Nicht nur in seinem Buch. Das war vielleicht das größte Problem der Gesellschaft: der fehlende, fließende Übergang. Der Mensch war Kunst — irgendwie. Und vor allem in dieser Stadt war alles Leben künstlich. Wo war der Unterschied zwischen Kunst und sinnvoller Entdeckung?
Er hasste die Realität und die Steifheit des Verstands, die mit ihr kam. Er wollte in seinem Kopf versinken.
Doch in einer kleinen Stadt, wie Mat'Her, gab es keinen Platz für Denker.Die Stadtwacht war der richtige Ort für ihn — für jemanden, der immer zu viel wollte. Das hatte sein Vater schon damals gesagt; und nun sagte Roans Mentorin es ihm.
Roan schaute missmutig in den Himmel. Es war bewölkt; relativ windig, doch warm genug, dass er in seiner langen Uniform schwitzte.
Mitten im Stadtkern, hinter dem unscheinbaren Café, erstreckten sich gewaltige Rosenbeete, die das gesamte Haus umschlossen. Im Gegensatz zur restlichen Geschäftigkeit der Stadt war dieser Ort ein reiner Ruhepol. Hier brannten nur Kerzen in der Nacht.Einige Möbel standen draußen — leer gelassen von Besuchern. Es war der Hintereingang zum Gebäude; dort, wo der Zodiak lebte. Vielleicht also war es sein privater Garten.
Die Blumen schossen gegen die Wolken empor und baumelten über Roans Kopf, als versuchten sie den bedeckten Himmel nachzuahmen.
Seine Mentorin schnitt sich einen Blütenkopf ab und stopfte ihn in ihre Umhängetasche.
Sie klopfte anschließend an der schweren Holztür, die nach einigen Sekunden von einem Mann mit schulterlangen Haaren geöffnet wurde — etwa Roans Alter. Vielleicht war das sogar der Angestellte, mit dem er in der Bar getrunken hatte. Das würde ihn nicht wundern.
Er sah über die Schulter seiner Mentorin. »Guten Tag. Ich bin hier, um Ihnen und Ihrem Herrn einige Fragen zu stellen«
Der Angestellte zog die Wangen ein, aber öffnete die Tür, ohne zu zögern. Er murmelte eine halbherzige Begrüßung.
Dass das Café den klanglosen Titel „zum goldenen Zodiak" hatte, ignorierte Roan.
Sie befanden sich in einem kleinen, hinteren Gebäude, das sich an den Verkaufsraum anschloss.Roan hielt den Blick auf den Boden gesenkt, irgendwo zwischen der zerstörten Fliese, die nur durch zwei andere gehalten wurde, und dem zerfetzten Stuhlbein, das daneben aufragte.
Eine Katze wuselte vor ihren Beinen umher und setzte dazu an, ihre Krallen erneut an dem Holz zu wetzen, doch der Zodiak jagte sie mit einem Zischen fort.
Der Mann mit der braunen Kluft nickte wissend, ehe er auf den Tisch vor sich verwies.
Die Einrichtung war unpassend minimalistisch — als liege aller Fokus auf dem prächtigen Garten mit seinen überdimensionalen Rosenbeeten. Neben den weißen Möbeln draußen, wirkte das Esszimmer wie das Innere eines Puppenhauses: notdürftig und detaillos.
Roans Mentorin hatte sich unordentlich auf die Theke gesetzt — doch irgendwie hatte er in ihrer bekannten Nonchalance mittlerweile etwas charmantes gefunden.
Sie wies Roan an, keine Fragen zu stellen, stattdessen bretterte sie selbst durch das Protokoll — so schnell sogar, dass er kaum eine Gelegenheit hatte, mitzuschreiben.
Was hatte der Zodiak am Abend getan? Ihn mit anderen verbracht.
Ja, er war zuvor mit Eurar in der Stadt gewesen. Nein, er hat nicht mit ihr kooperiert. Ja, er bezweifelt, dass sie ihn umgebracht hatte. Nein, sie hatte keine Mordgedanken geäußert.
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Wächter der Tränen
Fantasi»Wie sollen wir uns mit unseren Leben zufrieden geben, wenn es selbst die Reichen nicht tun?« Eurar ist die Dienerin eines Zodiak. Ihre Heimatstadt ist abgeschottet vom Rest der Welt. Abseits der Mauern ist kein Leben mehr möglich - und die Menschen...