Die Mitglieder betrachteten ihren Captain. Sein Gesicht war finster, die Augen leer. So hatten sie ihn noch nie gesehen. Er war mit Ches aus der Höhle zurückgekehrt und hatte seitdem kein Wort gesprochen.
„Wir werden zurückkehren. Hier ist nichts", erklang die gefühllose Stimme von Kellan und er stand auf. Seine Kameraden wusste nicht, was sie tun sollten, also nickten sie nur und packten alles zusammen. Ein letztes Mal schaute Kellan zu der Höhle, doch er wusste, dass er Lusca nicht wiedersehen würde. Er hatte seine Chance vertan.
Sie luden alles in das kleine Boot, machten sich bereit zum Ablegen. Der Himmel war blau und der Wind still. Nun mussten sie hoffen, dass sie keiner der spontanen Stürme erwischte.
„Kel, ist alles in Ordnung?", fragte Ches, schaute seinen besten Freund an. Dann fügte er hinzu: „Es ist besser so."
Kellan schaute seinen besten Freund an und sah es. Er weiß es. Sein Freund wollte ihn beschützen, das wusste er, doch das änderte nichts an der Leere in seinem Herzen.
Gemeinsam schoben sie das Boot ins Wasser und begannen zu Rudern, entfernten sich von der Insel der Sirenen. Sein Herz tat weh und der Wind streifte seine Haare. Moment. Wind? Er sah es in den Gesichtern der anderen.
„Beeilung!" Alle packten an, das Hauptschiff war nur noch gute zweihundert Meter entfernt, sie konnten die Belegschaft sehen, die zu ihnen winkte. Doch das Meer kannte keine Gnade. Innerhalb von Minuten wurde der Sturm stärker und die Strömungen bildeten sich. Sie würden es nicht schaffen.
„Kameraden. Es war mir eine Ehre mit euch auf dem Meer zu segeln", sagte Kellan und umarmte jeden. Die anderen nickten. „Das war es Captain." Sie falteten die Hände, beteten zu der Gottheit der Meere auf einen gnädigen Tod.
Mit einem Mal machte das Boot einen starken Ruck. Das Seil, welches am Bug angebracht war, spannte sich und das Boot wurde in Richtung des Hauptschiffes gezogen. Erstaunt schauten sie über den Rand und sahen eine große blaue Flosse, die sich schnell bewegte. Das Hauptschiff kam näher und Hoffnung keimte in ihnen auf. Alle vier wussten, dass das, was sie rettete, ihre eigentliche Beute war.
Lusca. Er sah seine Sirene im Wasser, die sie aus der Strömung zog, ihnen das Leben rettete. Ich liebe dich so. Sie waren noch gute zwanzig Meter vom Hauptschiff entfernt, sie würden es schaffen. Mit einem Mal riss jedoch das Seil. Das Boot schwankte stark, kippte scharf zur Seite. Lenora schrie, Terrel packte sie, doch Kellan sah, dass Ches das Gleichgewicht verlor.
Nein. Ich werde meinen Freund nicht sterben lassen. Kellan riss Ches am Arm nach hinten, sodass dieser im Boot landete. Dabei stürzte er über die Kante des Boots und wurde vom Meer verschlungen.
Ches sah, wie Kellan fiel, ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen. „Kel, nein!", schrie er. Die Strömung ergriff den Körper seines besten Freundes und riss ihn in die Tiefe, wo sie ihn niemals erreichen würden. Als Ches ihm nachtauchen wollte, wurde er von Terrel gepackt und zurückgehalten. „Es ist zu spät!", schrie dieser, auch wenn sich Ches wehrte. Nein. Kel.
Eine tiefe Stille breitete sich um Kellan aus. Er liebte das Meer, ging oft darin schwimmen. Er hatte es nie als Bedrohung gesehen, Angst davor gehabt. Auch jetzt nicht. Wenn es sein Schicksal war, von diesem verschlungen zu werden, dann sei es so. Er schloss die Augen und ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Dann entließ er seinen letzten Atemzug.
Warme Lippen pressten sich auf seine und Luft wurde in seine Lungen gepresst, doch es war anders. Die Luft war nass. Sein ganzer Körper verkrampfte, dann spürte er einen Schmerz an seinem Hals. Er schnappte nach Luft, doch nur Wasser drang in seine Lunge, füllte diese. Dann begann er zu atmen. Der Sauerstoff füllte seine Lungen, auch wenn es nicht möglich war. Immer wieder glitt Wasser in und aus seiner Lunge.
Langsam öffnete er die Augen und starrte in zwei marineblauen Seen. Lusca. „Ruh dich aus, mein Gefährte. Es wird alles gut", hörte er die melodische Stimme, die unter Wasser noch bezaubernder klang. Lächelnd schloss er die Augen und vertraute sich der Umarmung seiner Sirene an.
Lusca schwamm an die Oberfläche. Sie haben ein Recht, sich von ihm zu verabschieden.
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Ches und die anderen waren auf dem Schiff, ein Schatten lag auf diesen. Jeder auf diesem Schiff betrauerte ihren Captain, der sein Leben für seinen besten Freund geopfert hatte.
„Wieso?", schluchzte Ches, schlug mit der Faust auf den Holzboden. Er hätte sterben sollen, nicht Kellan. Kellan war das Herz der Mannschaft, ihr Feuer.
„Schaut", rief Terrels Stimme, der über den Rand des Schiffes gebeugt war.
Ches sprang auf, schaute auf das Meer und konnte es nicht glauben. Aus dem Wasser ragten zwei Köpfe, einer mit blauen Haaren und flossenartigen Ohren, der andere mit nassen roten Haaren. „Kel!", schrie Ches.
Darauf erklang eine helle Stimme, die sie alle erstarren ließ. Eine Melodie umschlang sie, erzählte ihnen eine Geschichte.
Hört mich an, Kameraden meines Liebsten. Kellan ist mein Gefährte, mein Herz. Ich werde ihn mit mir nehmen, denn er gehört an meine Seite. Grämt euch nicht, denn sein Lachen wird immer für euch erklingen. Findet euer Glück und behaltet ihn in eurem Herzen.
Als die letzte Note verklang, erschien ein Lächeln auf dem Gesicht der Sirene und sie tauchte mit Kellan ab. Das war das letzte Mal, dass sie ihren Captain gesehen hatten, doch jeder wusste es. Die Melodie seines Abschieds schwang für immer in ihren Herzen, verscheuchte die Trauer.
Wenige Monate später erhellten zwei weitere Stimme die helle Grotte der Insel der Sirenen – eine legendäre Insel, in deren Riffe zahlreiche Seemänner ihr Leben verloren hatten, weil sie auf der Suche nach den legendären Wesen waren. Nur einer war erfolgreich gewesen, so besagte es die Legende.
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Diese Kurzgeschichte gehört der Autorin E. M. Holland (Profil: Nezumigami).
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Marineblau
PovídkySirenen. Eine Melodie, der niemand widerstehen konnte, heißt es. Doch sollten diese Geschichten Wirklichkeit sein, denn es hatte Sichtungen gegeben. Einbildung? Vielleicht. Kellan, ein junger Pirat, begibt sich auf eine gefährliche Reise zur Insel d...