Teil 5

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Ōsaka, Yōsukes Wohnung

27. August 2021, 20:56 Uhr

„Nein, ich werde es nicht schaffen, dich am Wochenende zu treffen. Mein ganzer Terminplaner ist voll. Durch deine kleine Geldspritze konnte ich die Gespräche mit meinen Gläubigern wieder aufnehmen. Ich hoffe, dass ich in der nächsten Woche einen Platz für dich freimachen kann." Yōsuke pausierte und hörte zunehmend genervt der Frau am anderen Ende der Leitung zu. Hinter ihm fiel die Wohnungstür ins Schloss. Sekunden später erklang die Melodie der elektronischen Verriegelung. Das Zeichen, dass es sich verriegelt hatte. Rasch entledigte er sich seiner Schuhe und schlenderte zum Küchentresen. Neben dem Flugticket platzierte er seinen Autoschlüssel und das Portemonnaie. Ein weiteres Augenrollen folgte. Er verlor rasant das Interesse an ihrem Gesäusel. Auf diesen lästigen Part würde er zu gerne verzichten. „Ja, ich weiß. Ich weiß, dass du mich vermisst. Lass mich schauen, was ich machen kann. Du? Ich muss Schluss machen. Gerade kommt ein Anruf rein, auf den ich schon den ganzen Tag warte. Tschüss."

Er legte auf, ließ achtlos das Smartphone auf die Tischplatte fallen und öffnete den Kühlschrank. Der zischende Laut der Dose erfüllte die Stille der Wohnung. Abrupt abgelöst von der Melodie seines Handys. Unterstützt von der Vibration, die auf den Tisch überging. Er las den Namen auf dem Display, zögerte und akzeptierte seufzend den Anruf. „Ja?"

„Ich dachte schon, du hättest deine Nummer geändert, du Arsch! Überweise mir endlich mein Geld zurück. Wenn es bis Ende des Monats nicht auf meinem Konto ist, dann melde ich dich bei der Polizei!", wütete die Anruferin.

„Du hast mir das Geld geschenkt. Also wird es nichts bringen mich bei der Polizei zu melden", antwortete Yōsuke tonlos.

„Was bildest du dir eigentlich ein? Du hast mir versichert, dass du es mir wieder gibst, wenn du das Projekt durch hast. Das war vor sechs Monaten. Sechs!" Ihre Stimme durchwebten Schluchzer. Wut wich Verzweiflung. „Ich habe noch zwölf Wochen Zeit, sonst sitze ich auf der Straße."

„Das ist nicht mein Problem."

„Was?" Sie stockte. Geschockt von seiner Antwort. „Wie kannst du sowas sagen? Nach ... ." Ein Knistern hackte ihre weiteren Worte ab, bis der Funkkontakt zusammenbrach. Bevor sie abermals anrief, blockierte die Nummer und löschte hinterher den Kontakt. Auf dem Weg zum Sofa trank er einen kräftigen Schluck aus der Limodose. Das perlende Getränk kitzelte die Innenseite des Halses, als es seine Kehle hinunter ran. Er ergriff die Fernbedienung, die auf seinem Couchtisch auf ihren Einsatz wartete und schaltete die Musikanlage ein. Er warf einen Blick auf die Uhr, nachdem sein Magen knurrend nach einer Stärkung verlangte. Die Zeiger bewegten sich auf halb eins zu. Zu spät zum Essen. Doch sein Körper erhob Anspruch auf die Mahlzeit, die er vor zwei Stunden in der Mikrowelle vergessen hatte. Er stieß scharf Luft aus. Wenn er jetzt aß, war der Schlaf dahin. Mit einem leeren Magen ebenso.

Er stand vom Schreibtisch auf und trat auf die Küchenzeile zu. In seinem Rücken flackerte der Bildschirm, wechselte auf die Desktop-Ansicht, bevor die Steuerung des Smarthomes aufgerufen wurde. Einen Augenblick lang bewegte sich der Cursor zielsicher, setzte die Rauchmelder auf Wartung, stoppte die Lüftung und verriegelte die Fenster. Das Piepen der Mikrowelle ertönte, mischte sich als falscher Ton unter die Musik.

Ein weiteres Flackern störte das scharfe Bild des Desktops, bevor sich der Bildschirm verdunkelte. Die Schüssel, die ihren wohlduftenden Geruch in der Wohnung verströmte, fand auf dem Schreibtisch Platz. Yōsuke setzte sich, griff nach den Stäbchen und hielt inne. Ein Schreck durchfuhr seinen Körper und ließ ihn frösteln. Mit aufgerissenenAugen starrte er auf das Display. Wieder und wieder las er die weißen Worte auf schwarzem Grund.

Erinnerst du dich?

Seine Erschrockenheit wich. Ein ungläubiges Lachen hüpfte über seine Lippen. In seiner Intention beschwingt, in der Ausführung stolpernd. Die Worte verschwanden.

Er blinzelte mehrmals und massierte seine Nasenwurzel. Wie es aussah, spielte sein Gehirn ihm einen Streich. Der Tag war anstrengend und nicht vorbei. Unabhängigdavon gab es reichlich zu tun, bevor er morgen Mittag seine Reise in Richtung Khao Lak antrat. Das Hirngespinst seiner Müdigkeit hielt ihm vor Augen, wie dringend er diesen Tapetenwechsel benötigte.

Yōsuke setzte sich an den Schreibtisch, zog die Schüssel näher und betätigte die Leertaste, um seinem Laptop zu signalisieren, dass er gewillt war, den Ruhemodus zu beenden. Trotz seiner Bemühungen blieb der Bildschirm schwarz.

Der Cursor erschien. Ein blinkender senkrechter Strich, der verbissen auf eine Eingabe wartete. Nacheinander tauchten Zeichen auf.

Erinnerst du dich, Yōsuke?

„Was zur ...", murmelte er.

Den Blick gebannt auf den Bildschirm geheftet, drückte er unnachgiebig auf den Ausschalter. Der Hintergrund wechselte. Ungläubig schaute Yōsuke sich selbst entgegen. Auf dem Titelbild der Homepage prostete er ausgelassen in die Kamera. Unumstößlich galt dies dem Fotografen. Unter seinem Bild guckten ihm die vertrauten blauen Iriden seiner Kollegin an. Seine Augen huschten weiter zur Bildunterschrift. Leuchtend rot sprangen ihn die Begriffe 'Betrüger' und 'Mörder' an.

„Wenn das ein Scherz ist, kann ich nicht darüber lachen." Seine Hand suchte sein Smartphone. Der Desktop wechselte wieder ins Schwarz.

Erinnere dich daran, was du getan hast!

„Ich habe nichts getan", blaffte er seinem Laptop entgegen. „Wenn diese Homepagean den Start geht, werde ich rechtliche Schritte einleiten. Hörst du!" Drohend hob er seine Hand und war sich deutlich unsicher, in welche Richtung er sich wenden sollte. In seiner Abwesenheit musste jemand sein Apartment mit Wanzen und Kameras ausgestattet haben. Nicht zu vergessen das Hacken seines Laptops.

Der Bildschirm flackerte. Verzerrte Linien in den unterschiedlichsten Grautönen durchzogen waagerecht das Schwarz.

„Erinner dich, Mörder!" Blechern schrill hallten die Worte aus den bis zum Anschlag aufgedrehten Boxen. Der Ton zerriss beinah seine Trommelfelle. Schützend legte er die Hände auf die Ohren. Den Blick hielt er auf die hypnotisch tanzenden Streifen gerichtet.

Für die Dauer zweier Wimpernschläge zerfetzten die Linien und er sah in das kalkweiße Gesicht einer Frau. Ihre langen schwarzen Haare flossen über ihre Schultern und verbargen dabei den Großteil ihres Angesichts.

Yōsuke erkannte die Person, die mit ihrem alten Ich wenig gemein hatte. Der Schreck ließ ihn aufspringen und rückwärts taumeln, ohne das Bild der Frau aus den Augen zu lassen. Sie öffnete den Mund, dem ein Schrei entkam, der sich tief in seine Eingeweide grub und ihn von innen heraus zu zerreißen drohte.

Verbrannte TräumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt