VI

31 11 23
                                    

Irgendetwas an der Aussage von Zweigesicht – mal unabhängig davon, dass ich bei seinem Namen an Batman denken muss – fühlt sich noch nicht stimmig an. Als wäre etwas nicht richtig zu mir durchgedrungen.

Daher betrete ich mit einem merkwürdigen Gefühl den Steg, der im nächsten Moment keiner mehr ist. Ups, bin ich nun doch vom Weg abgekommen? Doch auch hinter mir ist nichts mehr von der Szene, in der ich doch eben noch steckte, zu sehen. Ein völlig anderes Bild erstreckt sich schon wieder vor mir. Doch immerhin kenne ich es bereits, wenn auch nur aus der Ferne. Der See. Mit dem blutroten – ich meine – dem tiefroten Wasser.

Vogelgeräusche sind zu hören. Das ist etwas Gutes, oder? Oder es kündigt den nächsten Was-auch-immer-Typen an.

»Scheiße!«, erschrecke ich mich.

»Das ziemt sich nicht«, wird von dem Vogelkopf erwidert. Ernsthaft? In welchem Jahrhundert lebt er denn?

»Also da, wo ich herkomme, ist Scheiße ein ganz gewöhnliches Wort. Aber Verzeihung, wenn es dich vor den Kopf stößt. Apropos Kopf. In deinem Fall Schnabel. Du tust mir echt weh.« Mal echt jetzt. Mit seinem ellenlangen Schnabel könnte er wirklich mehr Abstand einhalten und mir nicht so nah auf die Pelle rücken.

Offensichtlich versteht er, denn er rückt etwas ab. Aber sein Schnabel bleibt dicht.

»Und wer bist du jetzt?«, frage ich, wobei ich genervter klinge, als ich wollte. Untermalt jedoch genau meine Stimmung. Hat das nicht irgendwann mal ein Ende?

»Thot.«

»Du bist tot?«

»Nein, ich–«

»Wäre grammatikalisch auch falsch gewesen«, antworte ich – mal wieder, ohne nachzudenken – frei raus, während er jedoch ebenso seinen Satz mit »Ich nicht« vollendet.

»Moment mal, was?«

»Was denkst du denn?« Seine Stimme ist so ruhig, derweil sich in mir ein Sturm zusammenbrauen will.

»Ist das meine Aufgabe hier? Wenn nicht, dann verschieben wir das.«

»Nicht hier.«

»Gut, wenn du mich entschuldigst, ich will weiter.«

»Wo lang geht es?«

»Immer vorwärts auf dem Weg«, entgegne ich ihm genauso provokant wie er mir.

Er nickt mir zu, breitet seinen Menschenarm aus, womit er mir bedeutet zu gehen, doch er weicht mir nicht von der Seite. Argwöhnisch betrachte ich ihn in seiner Gestalt. Ibiskopf und Menschenkörper. Thot. Wir gehen am See entlang. Das Rot – doch nicht so dunkel, wie es schien – schimmert in der langsam untergehenden Sonne. Bald werden sie die gleichen Farben aufweisen. Das Schilf, welches hochwächst, weist uns den Weg.

Nach einigen Metern und unangenehmer Stille halte ich es nicht mehr aus.

»Was ist deine Aufgabe? Oder meine bei dir? Was muss ich tun? Wird es irgendwann ein Ende haben? Bin ich wirklich da, wo ich denke zu sein? Wenn ja, warum? Und wenn nicht, wo und warum dann? Ich habe das Gefühl, so wenig zu wissen und viel zu viel nicht zu verstehen. Thot, sag doch was.«

Er sieht mich schweigend an, es sieht aus, als würde er gut überlegen, was er sagen solle. Es bildet sich ein Kloß in meinem Hals. Ich hebe den Krug an und nehme einen ordentlichen Schluck daraus. Ich habe völlig vergessen, dass das Wasser siedend heiß war. Zum Glück ist es mittlerweile abgekühlt.

»Geht es dir besser?«

Verblüfft schaue ich ihn an. 

Schritt nach vorneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt