Jun
Zu dritt stürzen wir auf die Feuertreppe zu. Hinter uns wird geschossen und gebrüllt. Ich bete, dass die Blauen das Gebäude nicht bereits umzingelt haben und wir ihnen gleich in die Arme rennen werden.
Wir erreichen die letzte Treppenstufe und der Platz ist zum Glück leer. Die Kerle sind jetzt alle im Quincy Market.
Wir rennen weiter. Ich habe keine Ahnung, wohin wir sollen.
Mein einziges Versteck, unser Zuhause war hier. Seit über einem Jahr. Wir sind nicht darauf vorbereitet, lange Zeit, ja gar Nächte draussen in dieser Kälte zu verbringen.
Wir mussten den verdammten Heizkörper zurücklassen.
Und mein Fahrrad.
Mein Kopf schwirrt von all den Gedanken, die gleichzeitig auf mein Gehirn einprasseln, während ich zu fassen versuche, was wir als Nächstes tun sollen.
Knox führt uns zur Congress Street. Sie scheint eine Idee zu haben.
„Wohin?", frage ich zwischen zwei Atemstössen.
Sie dreht ihren Kopf in meine Richtung. „Zum Government Center."
Ich bleibe augenblicklich stehen.
Nein.
„Da kannst du alleine rein", sage ich und will den Arm meiner Schwester nehmen, um sie an mich zu ziehen.
Knox stellt sich dazwischen und bleckt die Zähne. „Sei nicht bescheuert. Wir nehmen die grüne Linie!"
Die grüne U-Bahn-Linie hält beim Government Center und führt direkt aus der Stadt. Im Untergrund. In absoluter Dunkelheit. Ein direkter Fluchtweg aus dieser Hölle, aber viel zu gefährlich.
„Nein."
Knox verdreht die Augen und wedelt hektischer in die Richtung der Station, die auf der anderen Strassenseite liegt.
„Das, oder Nari und ich landen im Zuchthaus und du im Schredder, wenn die Sammler uns hier auflesen", faucht sie mich an. „Willst du das etwa für deine Schwester?"
Ich knirsche mit den Zähnen. „Das blüht uns auch, wenn sie uns bei Fenway Park erwischen!"
Knox lässt Nari los und packt mich am Kragen. Eine unbeugsame Entschlossenheit glüht da in diesen hellen Augen.
„Werden sie nicht!", knurrt sie mir ins Gesicht. „Und jetzt sammle deine Eier wieder vom Boden auf und mach hin, sonst sehen sie uns noch!"
Ich entreisse mich aus ihrem Griff, weiche einen Schritt zurück und schüttle den Kopf.
„Es ist zu riskant", bleibe ich bei meiner Meinung.
Ich kann Nari nicht in diese Gefahr bringen. Die grüne Linie zu nehmen ist absoluter Wahnsinn. Kein Tageslicht, stickige Luft und ein Labyrinth aus Gängen, in denen man sich verirren kann, bis man verhungert.
Wer weiss, wer sich dort unten sonst noch so versteckt. Alles, was sich nicht mehr an die Oberfläche traut. Das Gesindel der Stadt. Die Kanalratten der Apokalypse.
Knox' Gesicht verzieht sich vor Wut.
„Dann bleib halt hier, Mimose!", haut sie mir an den Kopf, nimmt Nari an der Hand und rennt einfach weiter.
Meine Schwester schaut verwirrt zurück, aber sie folgt Knox, anstatt bei mir zu bleiben.
„Hey, stopp!", rufe ich den beiden hinterher.
Da explodiert eine Bombe hinter mir im Quincy Market und zerberstet die Scheiben. Der Knall ist so laut, dass ich für einen Augenblick taub werde und nur ein lautes Piepsen meine Sinne durchsticht.
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The Green Line
Science FictionBoston, Massachussetts, 2030 Seit dem Sonnensturm, der die Welt ins Chaos stürzte, kämpft Ophelia auf den Strassen ihrer Heimatstadt um ihr Überleben. Die Gnadenlosigkeit der ersten Stunden und der Verlust ihrer Familie sitzen tief in ihren Knochen...